Vom Leben und Wirken M. Christian Melzers (5)

Von Stud.-Rat A. Schuster, Annaberg.

(4. Fortsetzung.)

Nach Herausgabe dieses gewaltigen Werkes ruhte der 61jährige Heimatfreund noch nicht. Er begann jetzt die oben erwähnte: „Historische Beschreibung des St. Catharinenberges im Buchholz“, an der er bis zum Ende seines Lebens arbeitete. Der zweite, bis zum Ende sauber geschriebene Band führt bis zum Jahre  1732, er bricht mit dem Worte „und“ ab, offenbar hat das Schicksal ihm hier den Griffel aus der Hand genommen. Es ist also das letzte und reifste Werk des begeisterten Bergfreundes und sorgfältigen Altertumsforschers, und es lohnt sich der Mühe, unter seiner Führung den Geist früherer Zeiten kennen zu lernen.

Melzer ist zunächst ein wirklich tiefschürfender Häuer in dem Gebäu der Vergangenheit, und dabei doch bescheiden und freundlich. Er hat bemerkt, daß Petrus Albinus in seiner Meißner Bergchronik die Ausbeuten zu hoch berechnet hat, er berichtigt das, aber mit dem Ausdrucke der Hochachtung für den Gelehrten, der sich hier einmal geirrt habe. Nie bringt er ein hartes, unfreundliches Urteil über andere Gewährsmänner, wenn er sie berichtigen muß.

Erstaunlich ist, was er alles gelesen und verarbeitet hat, meist wird auch die Seite angegeben, wo die Angabe zu finden ist. Neben den Annaberger Chroniken von Jenisius, Wahl, Arnold, kennt er die Schmidtsche Chronik von Zwickau und die Mollersche über Freiberg und viele andere, er suchte aber auch neben gedruckten Werken allerhand Urkunden auf, so führt er den Erbverbrüderungsvertrag zwischen den Landgrafen von Hessen und den Herzögen von Sachsen vom J. 1520 im Urtexte an, ein Zeichen seiner Genauigkeit. Er kennt die alten Gerichtsbücher, Lehnbücher und Kirchenbücher der Umgebung, alte Notizbücher, ein altes Handwerkerbuch, ein Kontobuch werden als Quellen genannt, über den Stadtbrand in Annaberg von 1664 berichtet ein Brief eines Kaufmanns an seinen Freund in Wien. Als er 1724 hört, daß ein Mann in Temesvar 185 Jahr alt geworden sei, schreibt er dahin und fügt die bejahende Antwort mit Angabe über die Lebensart dieses Mannes in seine Chronik mit ein. — Wer sich dafür interessiert: Der Mann hatte einen grünlich-weißen Bart, bettelte noch bis zuletzt an der Poststation, er lebte einfach, Milch, Colatschen von türkischem Weizen und Branntwein waren seine Nahrung.

Auch Werke, die nicht nur Geschichte behandeln, interessieren ihn und werden angeführt.

Carpzow’s Werk Criminalia, in denen das Strafrecht an Einzelbeispielen erläutert wurde, kennt er, und er fügt einen solchen Fall aus dem Jahre 1630 [II, 1630] an: Eine Frau in Annaberg A. S., deren Mann als Soldat vor Stralsund lag, verging sich mit einem Barbier S. K.  Da sich herausstellte, daß der Ehemann beim Vergehen seiner Frau schon vor Stralsund gefallen war, ergab sich die Rechtsfrage, ob die Frau wegen Ehebruchs bestraft werden könne. Melzer hat hier die Namen der Beteiligten, die Carpzow nur mit Anfangsbuchstaben nennt, ergründet und mitgeteilt.

Neben juristischen Schriften nennt Melzer vielerlei andere, z. B. solche über Waldwirtschaft, über die Kornwürmer, über das Polarlicht und über medizinische Fragen. Er führt über letztere das Werk eines Dr. med. Venette, Professors in Rochefort, an, von dem Teil 3, S. 445 angeführt wird, also offenbar ein sehr umfangreiches Buch.

Das Werk Venettes, das von der Entstehung des Menschen handelte, ist für Melzer deswegen interessant, weil er eine Erklärung für Mißgestalten suchte. Der französische Gelehrte behauptet:

„Die ungestalten Kinder und welche man vor Mißgeburten hält, werden anders nicht als durch natürliche Ursachen empfangen, es mögen auch etliche Gelehrte hiervon sagen, was sie wollen.“ Dagegen führt Melzer an, was der Sup. Dr. Christian Lehmann in Annaberg über solche Wahrzeichen an Kindern geäußert hat: [I, p.326 ff.]

„Ob es nun wohl von seiten der Weltklugen an natürlichen Ursachen nie fehlen wird, solche Geburt zu extenuieren (abzuschwächen, für unbedeutend zu halten) und die lieben Weltkinder in der süßen Sich(er)heit zu erhalten, wozu heut zu Tage der Fürst der Welt kluge und gelehrte Leute gebrauchet, die unter dem Schein natürlicher Ursachen alle göttlichen Warnungen in denen Kreaturen entkräften, gottseliger Herzen Besorglichkeit geringe achten und dem mit vollem Lauf einreißenden Atheismo den Weg beßern, auch was in der Furcht Gottes von gottseligen Leuten zur Beßerung des ruchlosen Lebens erinnert wird, nur hönisch verlachen. So bin ich doch diesfalls anderer Meinung, verachte zwar die natürlichen Ursachen keineswegs, halte aber dafür, daß Gott niemals an der edelsten Creatur auf Erden, dem Menschen, einen solchen monströsen Mangel geschehen lasse, der nicht die Sichern zu mehrerem Nachdenken aufzuwecken gemeinet sei.“

Nach dieser Meinung seines verehrten Superintendenten glaubt der Chronist, daß sonderbare Schädelbildungen bei Neugeborenen einen warnenden Hinweis auf die damalige Mode hohen Kopfputzes geben sollen. Der Fürst der Welt aber, der Teufel, benutze kluge Leute, um alles natürlich zu erklären. So berichtet Melzer auch über das Annaberger Gespenst ruhig und sachlich, er ist aber jedenfalls der Meinung, daß der Verüber dieses Unfugs vom Teufel angestachelt war. Im J. 1691 spukte im Hause des M. Enoch Zobel, Archidiakonus in Annaberg, auf der Buchholzer Gasse ein Gespenst. Es stellte sich später heraus, daß ein Posamentier diesen Unfug verübt hatte. M. Zobel, ein schwächlicher Mann, der auch früh starb, beschrieb dieses Gespenst in einem besonderen Büchlein und wurde deshalb kräftig angegriffen. Der Streit drehte sich schließlich darum, ob es überhaupt Gespenster gebe. Melzer wirft hier seinem Amtsgenossen keinen Stein in den Weg, sondern urteilt ruhig und klar nach Anschauung seiner Zeit. er berichtet:

„Im Monat September gab es viel zu reden von einem Hexen-Gespenst zu Annaberg in M. Enoch Zobels Bürgerhauß auf der Buchhölzer Gaßen, wovon dieser gelehrte Besitzer selber eine Historiam mit allerhand observationibus (Bemerkungen) abgefaßet und hernacher eine sonderliche Apologiam (Verteidigungsschrift) dazu geschrieben. In Wiesenthal aber hatte der damalige Diaconus M. J. C. in seiner Diakonat-Wohnung auch eine ungewöhnliche Anfechtung, mit schlagen, poltern, heulen, pörlen, item Verunreinigung der Haußthür, mit Excrementis humanis etc., darein sich niemand finden kunnte. In eines erfahrenen Theologi Brief aber habe ich dieß Judicium geleßen. Das der Teufel dies gethan habe durch seine bösen Werkzeuge, permittente deo (mit Gottes Erlaubnis).“

Melzer hält also das ganze für keinen unerklärlichen Zauber, sondern für das Werk eines vom Teufel getriebenen Menschen. Man dachte sich ja den Teufel damals meist als sichtbares Wesen. Manche Erscheinung mochte den Leuten der damaligen Zeit als übernatürlich erscheinen, doch ist Melzer mit ein dem Urteile hierüber sehr zurückhaltend, er sucht zunächst immer nach einfacher Erklärung.

(Fortsetzung folgt.)

18) II, 1630.

19) I, p. 326 ff.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 15 – Sonntag, den 8. April 1928, S. 3