Die Donnerwache.

Von Max Rothe-Buchholz.

Bis in die 70er Jahre hinein bestand in Buchholz die Einrichtung, daß während der Jahrmärkte und bei schweren Gewittern eine Wachmannschaft den Feuerbereitschaftsdienst zu versehen hatte, den man die Donnerwache nannte.

Die Wachstube befand sich im Erdgeschoß des alten Rathauses.

Das alte Buchholzer Spritzenhaus.

Der Kommandant der Donnerwache war der jeweilige Adjutant der Feuerwehr. Mit zweistündiger Ablösung hatte jeder Mann auf Wache am geöffneten Spritzenhaus, das neben der Kirche stand, zu ziehen. Das Häuschen galt als ein etwas anrüchiger Ort, weil es neben den Feuerlöschgeräten auch den Transportsarg für Selbstmörder barg. Im Wachlokal ging es oft lustig zu. Der Bierhumpen kreiste und Tabakwolken verdunkelten den Raum. Man ulkte sich gegenseitig an. Keiner blieb die Antwort schuldig, am wenigsten der Köhler Karl, der seinerzeit den Adjutanten spielte und wegen seines schlagfertigen Humors ebenso beliebt als gefürchtet war. Er hatte alle Mann auf seiner Seite, wenn es galt, einen lustigen Streich auszuführen. — Auch an dem Tage, von dem ich erzählen will, war ein solcher geplant. Zu den Wachleuten gehörte der Eisenschmidt Henner, von dem man wußte, daß er abergläubisch und des Nachts sehr furchtsam war. Ihn hatte der Köhler Karl als Opfer ausersehen. Er setzte ihm von 11—1 Uhr, also über Mitternacht hinaus, Wache an, und Henner hatte sich zu fügen. — In aller Stille wurde vereinbart, daß der Krämer Moritz, ein Schalk, der zu jeder Schandtat bereit war, vor 11 Uhr heimlich verschwinden und sich in den Selbstmördersarg legen sollte, eine Rolle, die er bereitwillig übernahm und glänzend durchführte. Um mitternächtiger Stunde eine Wache lang in einem fragwürdigen Sarge liegen, machte ihm gar nichts aus. Ihn reizte der Erfolg seines Gaunerstreiches.

Als der Eisenschmidt Henner also seine Wache antrat, hatte der Krämer Moritz sein wenig beneidenswertes Lager bereits bezogen. Über der Tür des Spritzenhauses hing eine düster brennende Öllampe. Im Innern herrschte nur dunkles Dämmerlicht.

Eine volle Stunde schon war Henner mit Zittern und Zagen auf- und abpatrouilliert. Der geringste Laut, der sich bemerkbar machte, schreckte ihn auf. Überall sah er Gespenster, und mit Grausen erwartete er die Geisterstunde um Mitternacht. Jetzt war es so weit. Die Turmglocke setzte mit ihren dumpfen Schlägen ein. Da — was war das? Die Haare sträubten sich unter seinem Feuerwehrhelm, kalter Schauer rieselte über den Rücken: In dem berüchtigten Sarg hatte sich eine dunkle Gestalt aufgerichtet, die mit Donnerstimme rief: „Heinrich, ich hole dich!“ Der leibhaftige Gottseibeiuns wollte ihn von dieser schönen Erde in sein Höllenreich verschleppen.

Das war zuviel. Wer weiß, ob da ein anderer standgehalten hätte.

Der Eisenschmidt Henner jedenfalls nicht. Er rannte, was ihn die Beine trugen, hinüber nach dem Hause der Frankschen Bäckerei und sank auf der davorstehenden Bank mit schlotternden Knieen zusammen. Kalter Schweiß perlte von seiner Stirn, und stieren Auges sah er hinüber nach dem Schreckensort, aus dem jeden Augenblick der Satan mit Feuer und Schwefel springen und ihn beim Kragen packen konnte. Aber der Höllenfürst kam nicht. Statt seiner stieg der gestrenge Herr Adjutant den Berg herauf, um den Wachtposten zu kontrollieren. Erleichterten Herzens atmete der Geängstigte auf. Der Vorgesetzte jedoch drehte seinen gewaltigen Schnauzbart und rasselte den armen Sünder an: „Henner, was sei das for Sachen! Worim bist du net of dein Posten! Hast wuhl geschlofen? Gelei machste diech nieber ans Spritzenheisel!“ — Der Schreckensbleiche verweigerte ihm den schuldigen Gehorsam. Mühsam stieß er die Worte hervor: „Mog nieber gieh, war will. Miech brenge kene sechs Pfar von dr Stell!“ — Der Adjutant herrschte ihn in strengem Ton an: „War sein Posten in Stich läßt, is e ganz trauriger Mond. Ich frog dich’s letztemol: „Giste nieber oder net?“ — Henner blieb fest entschlossen bei seiner Weigerung. Auch auf die Frage, was denn vorgefallen sei, verweigerte er die Antwort. — „Gut!“ sagte der Gestrenge, „dodrfir zohlste en Toler Strof!“ — „Meitwahng kennt’r mr 100 Toler aufbrenne, ich gieh net wieder nieber, war Henners letztes Wort. Weder Drohung noch gütliches Zureden half. Der so schmählich Angeführte war nicht zu bewegen, seiner schweren Pflicht nachzukommen. Ein anderer Wachmann mußte seine Stelle vertreten. — Neun Tage darauf begegnete der Eisenschmidt Henner dem Köhler Karl. Er zog ihn beiseite und berichtete. Auf die Frage, warum er dies heut‘ erst tue, meinte der Genarrte: „Ehngtlich darf mr suwas ieberhaupt net drzehln. Odr wenn nein Tog im sei, hot dr Teifel kene Gewalt meh, denn de Neine is ene heilge Zohl.“

Er ist nie dahinter gekommen, welch bösen Streich man ihm gespielt hatte, und ist mit der Überzeugung gestorben, daß ihn einstmals der Teufel habe holen wollen.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 16 – Sonntag, den 15. April 1928, S. 1 – 2.