Das Radiumbergwerk von Joachimsthal.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 32. — Sonntag, den 5. August 1928. S. 2 – 3.

Es ist eine alte Erfahrung der Medizin, daß Gift durch Gift geheilt werden kann, Zerstörung durch Zerstörung beschränkt oder aufgehoben wird. Die gesamte Radiotherapie beruht auf diesem Grundsatz. Während es aber gelungen ist, für die zu medizinischen Zwecken einigermaßen rein dargestellten Radiummengen Aufbewahrungsformen zu finden, in denen sie nicht allzu schädlich wirken können, und auch Methoden zu ersinnen, durch die Arzt und Patient bis zu einem großen Grade vor den verheerenden Wirkungen des Radiums geschützt werden, gilt nicht gleiches für die Menschen, die mit dem Abbau der radiumhaltigen Erze beschäftigt sind. Madame Curie hat um die Wende des Jahrhunderts ihre ersten Versuche an den Abfallprodukten der Joachimsthaler Gruben gemacht, und noch heute ist die kleine nordböhmische Stadt der hauptsächlichste Lieferant dieser Mineralien, denn wenn auch an manchen anderen Stellen der Erdoberfläche radiumhaltige Erze aufgefunden wurden, so hat sich doch kein Bergwerk für diesen Zweck als abbauwürdiger herausgestellt, als die Gruben am Südabhang des Keilberges. Doch zugleich mit Weltberühmtheit und reichem Verdienst ist in die kleine Stadt der Tod eingezogen.

Mehr als man es früher beobachten konnte, wo man ja mit den radiumhaltigen Gesteinsmassen nichts anfangen konnte und deswegen derartige Stollen vernachlässigte, kommen die Bergarbeiter heute mit diesem Gestein in Berührung. Obwohl aus tausend Kilogramm Joachimsthaler Pechblende nur 0,22 Gramm Radium gewonnen werden können und auch dies noch nicht das kostbare Element in reinster chemischer Darstellung ist, so wirkt sich doch die unerhörte Ausstrahlung des radiumhaltigen Erzes nur allzubald und allzu verhängnisvoll an den Arbeitern aus. Hunderte von Leichensteinen auf den Friedhöfen in dieser Bergwerksgegend bezeichnen den Weg, auf dem dies Heilmittel für die leidende Menschheit gefunden wird. Nach zehn- bis zwanzigjähriger Tätigkeit in den Gruben sterben die Bergarbeiter, und alle Grabinschriften sprechen von Tod in jungen Jahren; kaum einer der Bergleute wird älter als vierzig Jahre, und manche sterben schon in der Mitte der zwanziger Jahre. Nun weiß man, daß es gelungen ist, durch Bleiplatten die Gefährlichkeit des chemisch verarbeiteten Radiumerzes beträchtlich herabzusetzen. Man hat auch versucht, durch eine Art Erzpanzer die Bergleute bei ihrer Arbeit zu schützen. Doch die Erfolge dieser Abwehrmaßnahmen entsprechen nicht den Erwartungen. Weiter und weiter fordert das Heilmittel seine Opfer, und es ist eine ungeheure Erregung in den Kreisen der Bergleute entstanden. Zurzeit bereiten verschiedene Parteien eine Interpellation im Parlament der tschecho-slowakischen Republik vor. Es wird gefordert, daß neben äußerst hoher Bezahlung den Hauern die Arbeitszeit dreifach angerechnet wird, so daß ein Dienstjahr für drei gilt. Außerdem sollen die Bergarbeiter nach 10- bis 15jähriger Tätigkeit pensioniert werden. Gerade nach dieser Zeit macht sich ja die tödliche Wirkung des radiumhaltigen Gesteins bemerkbar, und wenn vielleicht auch der Arbeiter selbst nicht zu retten ist, so soll doch wenigstens seine Familie sichergestellt sein. Immer den nahen Tod vor Augen, ist diese Arbeit auch dann noch geradezu ein langjähriges Martyrium. In der Interpellation wird auch gefordert, daß möglichst schnell neue technische Sicherungsmittel zum Schutze der Bergarbeiter bereitgestellt werden. Hier aber geht der leicht begreifliche Wunsch weiter, als wir mit unseren heutigen Hilfsmitteln reichen können. Alle Schutzmaßnahmen, über die wir heute verfügen, sichern nur bei kurzdauernder Berührung mit Radium und radiumhaltigen Erzen; aber es ist noch nicht gelungen, einen Schutz für andauernde Einwirkung der Strahlen zu finden, da auch das Blei nach einiger Zeit von den Radiumausstrahlungen durchdrungen wird. So werden sich wohl auch weiterhin Bergarbeiter opfern müssen, damit anderen Menschen aus ihrer Arbeit Gesundheit und Heilung erwächst.

Zeitungsbericht (Dresdner Nachrichten v. 17. Juni 1928.)