Christian Lehmann. Historischer Schauplatz des Obererzgebirges (3).

Kapitel 3.
Wie lange diese südliche Waldecke unbewohnt geblieben?

Die erste Welt ist bis auf die Sintflut 1657 Jahre gestanden, und Noah hat mit seinen Leuten allein Asien bewohnt, dagegen sind die andern Teile der Welt damals leer und wüste gelegen wie auch dieser böhmische Waldkranz, der etliche tausend Jahre zu wenig gedient, denn daß ihn die Winde bestürmt, die Wetter bestrahlt, die Nebel und Schnee bedeckt und die Sintflut so häßlich und gräßlich zerrissen hat, daß die Felsen zerschleift, die Berge mit Wacken und Sand übersät, die Wälder von Fluten unterwaschen, die Auen von Bäumen und abgerissenen Steinklippen ausgefüllt, teils Hügel zerbrochen, und alle Orte über Berg und Tal unwegsam worden, daß kaum ein Mensch da wohnen können. Nach des Patriarchen Noah Tod, der nach der Sintflut noch 368 Jahre gelebt, bis auf Christi Geburt sind 1942 Jahre; darinnen haben sich zwar die Menschen heftig vermehrt, daß sie fortrücken und sich in die wüsten und unbewohnten Oerter begeben müssen, also daß wegen des steten Fortziehens der stärkere Haufen den andern fortgetrieben und die vordern weichen müssen; doch ist vermutlich, daß Europa und folglich Deutschland, Böhmen und Meißen als die von Asien sehr entlegenen und kalten Länder sehr spät und langsam bewohnt worden. Es gebens so viel tausend wunderbare Namen der Berge, Wälder, Ströme und Plätze, die niemand verstehen will, ob sie deutsch oder slawonisch oder was anders sind. Nicht weniger ist zu glauben, daß das Böhmerland als eine gute Schmalzgrube viel eher als das Meißnerland von Noahs Nachkommen sei eingenommen worden. Anno 930 hat Kaiser Heinrich der Vogler das Schloß zu Meißen an der Elbe angelegt und in einem dicken Wald erbaut. Anno 1100 sind Lößnitz, ein Hauptstädtel in der Schönburgischen Herrschaft, und das Dorf Lößnitz und Lusitz, wo die Stadt Freiberg hernach erbaut worden, schon gestanden, und sollen beide den Namen von ihrem Lager am Holz haben. So nun die Leute an der Elbe und andern Strömen in Meißen und Böhmen sich so langsam angebaut und armselig beholfen, ist leicht zu erachten, was Herrlichkeit sie hieroben im wilden Gebirge suchen können, ohne daß sie ihr Vieh darum geweidet oder an beiden Mulden ihr Eisen geschmelzt und geschmiedet. Sonst ist in diesem Oberharzgebirge und Waldkranz keine Menschenstimme gehört worden, sondern nur ein pur lauter, wilder Schall, Geheul, Rauschen, Pfeifen, Brüllen und Brummen. Wenn dieser Wald also dreihundert Jahre gestanden, wie dann ein Baum so alt werden, Mensch und Vieh, Städte und Dörfer überdauern kann, so hat er binnen viertausend Jahren, solange er gestanden, über dreizehnmal veralten, verbrechen, verderben und sich wieder verjüngen müssen.

Kapitel 4.
Dieses Südödischen Gebirges alte Wüstung.

Als Tacitus von ganz Deutschland geschrieben, es sei vorzeiten ein wildes, wüst, rauh und ungebautes, unfreundliches Land voller Wälder und Pfützen gewesen, das hat insonderheit diese obererzgebirgische wilde und furchtsame Ecke bewiesen. Denn da ist auf dem Lande nichts als eitel unebenes verwildert Gebirge gewesen, mit dicken grausamen Wäldern bedeckt, mit rauhen Stückelfelsen und gefährlichen Schrofen geharnischt, mit unzähligen Armeen der Wacken und Steine von den durch die Sintflut zerissenen Gebirgen übersät, wie an unterschiedlichen Bergen noch der Augenschein erweist, auch viel Orte und Schlösser daher ihre Namen haben als Rauen-, Harten-, Lichten-, Wolken-, Lauter-, Porsten-, Bären-, Katzen-, Toden- und Frauenstein, Wildenfels, Raben- und Greifenstein, Pil-, Schnee-, Schwartzen-, Ziegen- oder Zechenberg usw.

Man bedenke ferner die unzähligen Moräste, Sümpfe, Moosräume, Bruchwerke und Weichen in Räumen und Wäldern um und unter Platte und Gottesgabe gegen die Johanngeorgenstadt, um Scheibenberg, Grünhayn, Elterlein, Schlette, Geyer, Buchholz, Zöblitz, Lengefeld Kühnheyde, was für eine schreckliche Wüstung gewesen, ehe die hohen Wälder abgetrieben, die Waldpässe gedrückt, die Wildberge nach ihren Flügeln und Rundungen abgezogen, so viel Floß- und andere Teiche gemacht und durch die Röschen und Stollen die Wasser abgezapft worden. Dahin ziehen abermal einige Benennungen der gebirgischen Situation als der Moosraum, die rote Pfütze, das Saubad, die Sauschwemme, die Sausudel, der Crotensee, der Törichte See und der Filtz-Sumpf, darinnen nicht nur Lastwagen, sondern auch Menschen und Vieh versinken, hingegen die wilden Säue sich gebadet, die Bären abgekühlt, die Hirsche und Wölfe sich gesühlt.

(Fortsetzung folgt.)

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 44 – Sonntag, den 28. Oktober 1928, S. 2