Christian Lehmann. Historischer Schauplatz des Obererzgebirges (2)

Kapitel 2.
Von mancherlei Benennung dieses waldigen Obererzgebirges.

Gott hat die Völker nicht nur mit hohen Gebirgen, tiefen Flüsse und weitschweifenden Seen, sondern auch mit eigenen Sprachen und Mundarten unterschieden. Nun ist der böhmische Waldkranz ein Stück von dem in Europa lang und hoch berühmten Schwarzwald, von welchem so viel Autoren erwähnt. Sauer schreibt schön davon, Schwarzwald fange ich nach der alten Geographen Meinung an in Schwaben um Speyer und Basel und mache mit dem einen Horn einen langen Strich in Siebenbürgen, mit dem andern Horn streiche ich nach Bayern und werde durch die Donau geschieden. Er liege wie ein Herz und umgebe das Böhmerland in Gestalt eines Kranzes, wie die Alpen das Königreich Frankreich umzäunen, und habe auch, nach dem er liege, mit seinen Strichen unterschiedliche Namen. Um Frankreich heißt es das Alpengebirge, in Breisgau bei Freiburg der Schwarzwald, um Heidelberg der Odenwald, in Franken und Bayern der Gabreta, um Würzburg der Steigerwald, bei Koblenz der Westerwald, bei Frankfurt am Main der Spessart, auf dem Eichsfeld Semana, bei Mansfeld der Harz oder Thüringer Wald, nach Schlesien das Riesengebirge, nach Polen das Asziburgische Gebirge, zwischen Meißen und Böhmen der Böhmische Wald, das Sudödische Gebirge, der Schwarzwald, darauf der kleine Fichtelberg und die Superintendur um St. Annaberg zwanzig Meilen im Umkreis bis an St. Joachimsthal, die böhmische Bergstadt, liegt, welches Stück ich mir zu beschreiben vorgenommen habe. Ich lasse den verständigen Leser erachten, woher eigentlich dieses Sudödische Gebirge seinen Namen empfangen. Wir wollen der deutschen Heldensprache die Unehre nicht antun und derselben Stammworte aus fremden Sprachen herführen, sondern es nach gemeiner Meinung von „Sud“ und „Oede“ zusammengesetzt erkennen, gleichwie man sonst allerlei von „Sud“ benannte Orte und Sachen findet als „Sudland“, „Sudsee“, „Sudwind“ und dgl. Also heißt dieses Gebirge eine „Mittagswüste“, weil diese vorzeiten sehr wüste und wilde Waldkette, vom Niederkreis des Meißnerlandes zu rechnen, mittagwärts aufsteigt, ungeachtet sonst das Sudetengebirge nach seiner Erstreckung viel mehr als diese Grenz- und Waldecke begreift. Gegen Morgen sondert es Böhmen und Schlesien voneinander, gegen Abend läuft es ins Vogtland, gegen Mitternacht neigt sich’s in Meißen und scheidet daselbst die böhmische und meißnische Grenze.

Der erzgebirgische Kreis aber begreift sonst viel mehr Aemter außer und über diesen unsern Annabergischen Superintendurkreis, nämlich Altenberg, Augustusburg, Chemnitz, Freiberg, Grünhain, Frauenstein, Lauterstein, Lichtenwalda, Nossen, Schwarzenberg, Stollberg, Tharant, Wolkenstein bis Zwickau. Der Oberkreis der Annabergischen Superintendur, darinnen der kleine Fichtelberg südlich liegt, hält in sich einen Bezirk umher von zwanzig Meilen, und wird insgemein genannt „das Gebirge“, weil’s gegen den Niederkreis hoch und bergicht ist und darinnen immer ein Berg hinter dem andern steckt. Ebenso hält er in sich die böhmische Grenze, auf welcher die Rainsteine richtig stehen von Johanngeorgenstadt bis an den Bach Flöhe und Böhmen von Meißen scheiden. Von den Alten ist dieser Ort vor Anbauung der Bergstädte wegen des unfreundlichen Ansehens aus dem Niederlande genannt worden „die wilde Ecke“, weil man sonderlich wegen der Mörder und Raubtiere nicht ohne große Gefahr dadurch reisen können. Spottweise haben’s etliche neidische Nachbarn das „Hunger- und Haberland“ geheißen, weil sie den armen Exulanten, die sich Anno 1624 – 50 meist in diesem Gebirge niedergelassen und mit Gottes Hilfe wieder angebaut, den Aufenthalt nicht gegönnt und wegen einiger Überläufer, die sich wieder zu den ägyptischen Fleischtöpfen gewendet, das ganze Gebirge geschimpft und gesagt: „Solange die böhmische Exulanten in Beckers Psalter singen können und etwas zuzubüßen haben, solange bleiben sie gute Lutheraner; wenn sie aber müssen im Habermann beten, schmal leben und sich den Rauch beißen lassen, so fallen sie wieder ab wie das unreife Obst und laufen wieder nach dem böhmischen Mehl und Knödlein.“ Wir wollen aber mit der Hilfe Gottes diese Schmachrede genugsam beantworten.

(Fortsetzung folgt.)

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 43 – Sonntag, den 21. Oktober 1928, S. 3