Christian Lehmann. Historischer Schauplatz des Obererzgebirges (4).

Im Kapitel 4 heißt es nun weiter:

Dazu kommen soviel grimmige reißende Tiere, die sich in einem so alten und rauhen unbewohnten Waldgebirge unzählig vermehrt, sich untereinander selbst die Hälse gebrochen, niedergerissen, gefressen und aufgerieben, vor deren Grimm, Naschen und Fressen man weder von wildem Obst noch von Vogel-, Heidel-, Hind-, Preußels- und andern Beeren das Geringste behalten können, die wilden Katzen, Marder, Wieseln, Haselmäuse, Fischottern, Eltisse und so viel Arten der wilden Stoß- und Raubvögel, Ottern, Schlangen, Molche und andere Ungeziefer, dadurch die Erdgewächse befressen, begeifert und vergiftet worden, zu geschweigen. Davon sind dann vieler Berge und Hölzer Namen entsprungen als auf den Lautersteinischen Wäldern: der Drachenwald, der Rabenberg, die Dachslöcher; auf das Crottendörfischen Oberförsters Revier: die Vogelleite, die Hirsch- und Auerhahnpfalz, der Säu- und Bärenfang, der Lachsbach, der Tier- und Säugarten; in dem Grünhainischen Revier: der Bärenacker, der Fuchs- und Wolfsstein; auf dem Lauterschen Revier: das Wolfslager, die Dachslöcher, der Hirschstein, das Habichtsbüschel, die Bärenstallung, der Wolfsgarten, der Rabenberg, die Drachenleite, sonst die Bärenlag, die Sauwiese, der Hirschberg, der Bärenstein usw. Was soll ich sagen von den weiten und breiten, ungeheuren, hohen und aneinanderhangenden rauhen und unsicheren Wäldern, tiefen Tälern, furchtsamen Gründen, Stickelgehegen und grausenden, unheimlichen Strecken, darinnen die bösen Geister und monströse Teufelslarven gespukt und ihren Tummelplatz gehalten, unter abenteuerlicher Gestalt der Schlangen und großen Würmer, Bären und Wölfe jedermann Schrecken und Furcht eingejagt? Daher führen noch der Teufels- und Höllengrund, das Höllbächel, die Drrachenleite, der törichte See, die Teufelssee, die Höllwiese, der Teufelsstein und -brunn ihre Namen. Zumal hat auch auf einem so weitläufigen, wilden Gebirge der Mangel der Sicherheit und Pässe viel Jammer und Unglück gestiftet, und bei so vielfältigen feindlichen Ein- und Ausfällen, Massakrieren und Schlachten der alten böhmischen und meißnischen Völker sind soviel Hunderttausende ermordet worden, wie etliche Orte als der Streitknochen, der Kriegwald, die Hundsmarter, der Hundsrücken (von den Hunnen!) der Geräderte Mann, der Haderwinkel, das Raupennest genugsam andeuten. Die Einsamkeit selbst in einer so ungeheuren, unbewohnten Wildnis erweist, daß dieses alte Gebirge fast allen fünf Sinnen des Menschen entgegen und verdrießlich gefallen. Da ist auf viel Meilen weit und breit über Berg und Tal kein Muttermensch etliche und mehr tausend Jahre lang anzutreffen gewesen, der einem Irrenden hätte zugerufen und ihn zurecht gebracht. Da hörte man nichts als der Raben Rappen, der Bären Brummen, der Wölfe Heulen, der Hirsche Börlen, der Füchse Bellen, der Auerhähne Balzen, der Ottern Zischen, der Frösche Quaken und Naken, das machte einen Reisenden so lustig, als hätte er Fliegenschwämme und Krähn gefressen. Das waren damals die Lauten, Zithern, Violen, Posaunen, Trompeten, Zinken, Flöten, Schalmeien, Baßgeigen, Trommeln, Heerpauken, Sackpfeifen, Orgeln, Glocken und musikalischen Waldinstrumente, die unter dem Sausen der Winde, Gebrülle der Donner, Gebrülle der Bestien, Geschnatter der Enten, Geächze der Hohlkrähen, Uhuhen der Eulen, Scharren der Schnärrer, Geschrei und Geschwirr der Buchfinken, der Quäker, der Zippen, der Schneppen und anderer Vögel eine gräßliche Harmonie gegeben.

Noch heutzutage gilt die Erfahrung, daß der rauhe und wilde Anblick dieses obwohl nunmehr angebauten, volkreichen Gebirges dennoch einigen durchreisenden Fremden und Ausländern ein Grauen gemacht. Dr. med. Johannes Salianus, ein Oesterreicher, dedizierte 1507 dem Rat zu Annaberg ein „carmen heroicum“, darinnen er bekennt, er habe den unermeßlich wüsten und großen Harz- und Schwarzwald, auf dessen Gebirgen die Stadt Annaberg gegründet, durchreist und sich gewundert, daß die Stadt innerhalb zehn Jahren mit Mauern, Wällen und Gräben wider der Feinde Anfälle sowohl auch mit so herrlichen Häusern erbaut, mit Ratsverwandten und bürgerlichen Rechten versehen und von einer so volkreichen Gemeinde bewohnt worden. Er habe die Historien gelesen, auch selbst viele Städte gesehen bei unterschiedlichen Nationen und gemerkt, daß alle auf gutem Grunde oder auch an schiffreichen Wassern, an gesunden Orten, da Luft und Himmel es gütig erachtet, da Handel und Wandel kann getrieben werden, erbaut sind. Diese Stadt sei auf einem wilden, unfruchtbaren Boden, in Bergen und unter rauhem Himmel angelegt, da vormals Herzog Georg unter lauter rohem Walde viel hundert Stück Bären, Hirsche, Wölfe und andere wilde Tiere gejagt, und niemand vermeinet, daß daselbst eine Stadt sollte angelegt werden. 1578, den 4. Mai, wurde in Neustadt-Wiesenthal begraben ein Mann von Erfurt, genannt Gregorius Tobias, der aus dem Kaiser-Karlsbad trank zurückgekommen und in besagtem Wiesenthal in Hans Rosenkranzes Gasthof die Schuld der Natur bezahlen müssen, ungeachtet daß er in seiner Hinreise sich über diesen rauhen und kalten Ort beschwert und gesagt, er wolle sich in Wiesenthal nicht tot wünschen. 1631, den 20. Mai, war zum breiten Brunnen, einem sehr kalten, ungestümen und unfreundlichen Orte der Schulmeister Oswald Klügel, ein Exulant, den sein Bruder von Petersom aus Böhmen besuchte. Dieser sah die Rauhigkeit des Ortes, die Wildzäune, die geringen Häuser mit Verwunderung und sagte: „Mein Gott, Bruder, du bist an einem wilden Orte; sieht man hier doch nichts als Berge und Wälder, Wasser und Höhen. Was macht ihr mit so vielen mühseligen Zäunen? Müßt ihr in diesem Bären-, Schwein- und Wildlande nicht elende Leute sein? Armselig Korn eßt ihr und müßt dazu noch wachen, daß ihr’s behaltet, und in solcher Kälte halb erfrieren. Ei, wollt ich mich doch hier nicht tot wünschen! Lieber, wo geht hier doch die Sonne auf? Es ist die Wahrheit, ich könnte hier nicht bleiben!“ Es sind noch nicht zwei Jahre verflossen, da Friedrich Wilhelm, der glorwürdige Kurfürst von Brandenburg, über das Gebirge nach Karlsbad gereist, und zwar gegen Johannistag, da gleichwohl am Fichtelbergischen Schlachten- und Kerlgebirge noch einiger Schnee lag, auch eben den Tag, da der Durchzug in Wiesenthal geschah, eine ungemeine Kälte einfiel, daß sich unterschiedliche kurfürstliche Bediente heftig verwundert und mit großem Unwillen gesagt: „Wat die Tübel mackt ih Lüte in dem wilden kahlen Orte? Steckt dat Lumpennest mit Füer an und kommt in mins Hern Land!“ Dies alles wird noch glaubwürdiger erwiesen sein, wenn wir die Rauhigkeit des Gebirges mit vielen Exempeln der grausamen Windstürme, kalten Frostnebel, stinkenden Dämpfe, kurzen und kalten Sommer, harten und langen Winter u. dergl. unfreundlicher Witterung werden angeführt haben.

Im übrigen hat man in dem wilden Gebirge vorzeiten weder zu brocken noch zu beißen gefunden. Wildbret und Vögel waren ohne Gerät, Kunst und Hilfe schwerlich zu fangen, Schwämme und süße Berren wurden vom giftigen Ungeziefer begeifert und vergiftet, auch von Bären und Vögeln abgefressen, Holzäpfel, Bucheckern und Wurzeln von Schweinen aufgezehrt, ganze Wälder und Wiesen umgeackert. Hatte ein Reisender kein Brot im Ranzen, so mußte er da lange auf Semmeln warten und durfte sich des Verlangens nach süßem Obst, Melonen, Trauben und dergleichen delikaten Früchten nur kühnlich entschlagen. Die von hungrigen Bären umgerissenen wilden Bienenstöcke, die blutigen Wolfsrisse, die kämpfenden Mordhirsche, das giftige Geschmeiß, welches auch die frischen Quellen infiziert, die brausenden Gewildnäst, der furchtsame Widerschall der brüllenden Bestien haben mehr Schrecken zur Flucht als Appetit zum Essen und Ergötzlichkeit zum Verharren verursacht. Kalter Nebel, stinkende Dämpfe, giftige Bergwitterung, bockenzender Gestank von Hirschbrunst, Wölfen und Bären, verfaulte Wildäser, Harz und Vogelmist geben schlechten Balsam, Herz und Hirn zu erquicken; vielmehr ist den Reisenden die Empfindlichkeit durch Furcht und Schrecken, sonderlich durch harte, unerträgliche Mordfröste gar entgangen.

(Fortsetzung folgt.)

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 45 – Sonntag, den 4. November 1928, S. 3