Weihnachten im oberen Erzgebirge.

Von Hofrat Prof. Dr. Seyffert.

Endlich befand ich mich auf der Gebirgsbahn, und um mich herum sitzen und stehen glückliche Menschen, die zum Heiligabend nach ihrer Heimat fahren. Allerhand Schachteln, Koffer und Körbe füllen den Wagen erdrückend aus: Weihnachtsgeschenke. Da gibt es fröhliches Grüßen, Jugendfreunde und Gespielinnen treffen einander nach Jahren zum ersten Male wieder. Ein junges Mädchen mit roten Backen zeigt stolz ihren Freundinnen eine Photographie, die sie sorgsam aus der Watte enthüllt. Mit Blicken verschlingen diese das Bild und auch die Burschen schauen neugierig darauf. Es ist das Konterfei ihres Bräutigams, das den Eltern zu Weihnachten gezeigt werden soll. Das Original konnte leider nicht mitkommen, da es keinen Urlaub erhalten hatte.

Mit ziemlicher Verspätung gelangt der Zug an das Ziel meiner Wünsche. Das Dorf ist lang hingezogen und besteht zumeist aus einer von kleinen Häusern eingerahmten Straße. Es dämmerte schon. Kleine Kinder ziehen auf der Straße erwartungsfroh auf und ab und singen:

Du lieber, guter, heil’ger Christ,
Weil heute dein Geburtstag ist.

Ich sehe durch die Fenster in einige Stuben. Ueberall beschäftigte man sich mit den letzten Vorbereitungen zum Christfest. Die ganze Familie war eifrig tätig. Auch die Kinder halfen. Es ist nicht wie in der Stadt, wo die Kinder den Lichterbaum fertiggeputzt vorfinden, wenn sie zur Bescherung in das bis dahin verschlossene Zimmer treten. Hier ist jeder, auch der kleinste Knirps, hilfreich, das Fest so schön wie möglich zu gestalten, und es wird schon wochenlang vorher gebästelt und geschaffen.

Es ist hier anders wie z. B. im Grödener Tal. Dort sind die Krippenverfertiger Leute von Beruf. Im Erzgebirge wird aber Jeder vor Weihnachten zum eifrigen Künstler. Bei solchem Fleiß, der die Abende bis zur Mitternacht verlängert, kann der Lohn nicht ausbleiben und die Arbeit lobt den Meister. Und mehr wird nicht erwartet, denn keiner denkt daran, seine Schätze zu verkaufen.

7 Uhr abends ist das Dorf am schönsten beleuchtet, wurde mir gesagt. Ich trat also, beschwert mit einem Kistchen Schokolade und anderen Süßigkeiten, einen Rundgang an. Tausende von Lichtern brennen, Bergmanns-Leuchter, Türken und weiße große Weihnachtsengel mit Lichtkränzen stehen auf den Fensterbrettern. Ueberall kann man ungehindert in die Stuben blicken, kein Vorhang verhüllt neidisch die Weihnachtspracht. Bergspinnen (Hängeleuchter), Pyramiden strahlen ihr Licht aus, und die Familienmitglieder stehen bewundernd vor den selbstgeschaffenen Werken. Da sitzt ein altes Paar stillvergnügt vor einer Krippe. Niemand ist sonst im Zimmer, kein Enkelkind – nur für die Alten brennen die Lichter und leuchten die glitzernden bunten Christsterne. Sie haben das alles nur für sich aufgebaut, ohne Krippe wär’s ja kein richtiges Weihnachtsfest gewesen, und die Krippe kann ja so gut erzählen, viel besser als alle Menschen von vergangenen Tagen.

Dort hält ein kleines Mädel ein bausbäckiges Bischekind empor und erklärt ihm umständlich aber ohne bemerkenswerten Erfolg, wie der Engel den Hirten die frohe Mär verkündet, wie die drei Könige zum Stall ziehen, in dem das Jesuskindlein liegt und wie sie es dann anbeten.

Ich ging in viele Stuben hinein. Und welche Abwechslung fand ich: einige Krippen zeigten fleißig arbeitende Bergleute, sogar Springbrunnen sprudelten empor, in einer kamen die Pilger in einer Pferdebahn gen Bethlehem gezogen – die großen und kleinen Kinder setzen sich über Zeitverhältnisse ja leicht hinweg.

Wir in den Städten kaufen uns das Weihnachtsfest, hier wird es geschaffen, welch ein Unterschied! Wir sind arm gegen diese Leute. Waren nun auch die Schnitzereien oft entfernt von Kunstwerken, uns waren sie in einer Beziehung lieber als die herrlichsten italienischen Krippen, denn wenn diese auch mit allem Raffinement hergestellt sind, hier blickt die kindliche, naive Freude am Schaffen treu und ehrlich hervor. Es waren in Holz geschnitzte Volkslieder. Es war ein Märchen in unserer Zeit.

Nun noch einen Blick in die anderen Teile der Stube. Ein Tisch war gedeckt mit vielerlei Gerichten. Semmelmilch darf dabei nie fehlen und bleibt die ganze Nacht über stehen. Oft waren die Dielen mit Stroh belegt, ein Gebrauch, der an den Stall zu Bethlehem mahnen soll. Manche Familien bleiben die ganze Nacht munter, läuten doch bereits frühzeitig die Glocken zur Christmette. Ueberall flimmerten dann kleine Erdenlichter, von den fernen Bergen und aus dem schwarzen Wald glitzerte es. Die Kirchgänger sind’s, ein Licht in der Hand. Auf dem Kopfe trugen die Mädchen goldene Kronen und goldene Flügel machen das Engelbild fertig. An den Füßen aber tragen die Engelein große, dicke Filzschuh, denn sie mußten durch Schnee pilgern. Manche hatten einen langen Weg hinter sich und vor Kälte sich rote Näschen zugelegt. Die Jungen standen den Mädchen an Engelhaftigkeit nicht nach, was ich mit Freuden berichten muß. Auch sie trugen lange weiße Gewänder (bei einigen waren es die Feiertagshemden ihrer Väter mit bunten Schärpen). Auf dem Kopfe hatten sie hohe, güldene Pappmützen. In der Mitte dieser Kopfbedeckung brannte ein Licht, und da hieß er hübsch gerade einhergehen.

In der Kirche war schon lange vor Anfang der Frühmette jeder Platz besetzt. Unter Orgelton und kräftiger Musik mit Paukenbegleitung kommen die Engel in langem Zuge auf den Altarplatz, wo sie sich aufstellen. Das feierliche Spiel beginnt: Ein Engel singt mit frischer Stimme die Verkündigung von der Kanzel. Die Hirten und die drei Könige treten auf und sagen Rede und Gegenrede. Der Pfarrer hält eine zu Herzen gehende Predigt. Kurz und gut eine schlichte aber ergreifende Feier, wie man sie sich schöner nicht denken kann, echte und rechte Weihnacht, wie sie kein Stadtkind in allen seinen Märchenaufführungen mit Balletteinlagen erlebt.

Wenn die Mette beendet ist, da leuchtet mit schwachem Schein schon die Sonne hinter den Waldungen hervor und begrüßt die Menschen, die nach Hause ziehen.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 52 – Sonnabend, den 25. Dezember 1926, S. 2