Pfingstgebräuche im Erzgebirge.

Wohl in wenigen Gegenden wird das Pfingstfest mit solch inniger Freude begrüßt, wie im sächsischen Erzgebirge. Hat doch um die Osterzeit die Erde in jenen rauhen Landstrichen noch wenig den Winterschlaf abgeschüttelt, und da der Erzgebirgler an seiner spröden und doch herrlichen Natur mit allen Fasern seiner Seele hängt, so ist es wohl begreiflich, daß er dem Pfingstfest um so freudiger zujubelt.

Leider haben sich im Laufe der Jahrhunderte die alten Sitten zum Teil verwischt, wie ja auch die urtümliche Tracht unserer städtischen Kleidung hat weichen müssen. Doch gibt es noch Familien, in denen die liebgewordenen Bräuche geübt und gepflegt werden und mancher weißhaarige Bauer des Erzgebirges erzählt von diesen Erinnerungen seiner Jugend mit verklärtem Angesicht.

Das Einbringen des Pfingstbaumes war ein besonderes Fest. Meist wurde der Baum aller Zweige bis zur Krone beraubt, an welcher allerhand gute Dinge, wie Eier, Würste, Kuchen, auch Bänder und bunte Seidentücher befestigt waren. Unter großem Jubel wurde die so geschmückte Birke nach dem Dorfplatz gebracht, und nun begann unter Lachen und Scherzen ein Klettern nach den verlockenden Dingen.

Oft wurde das schönste Mädchen der Gemeinde als Pfingstkönigin aus dem Walde geholt, andernorts wohl auch ein Bursche oder gar ein junges Pärchen, welches gesucht werden mußte und mit Musik und großem Jubel als Pfingstbrautleute Einzug hielt.

Vom Humor der Erzgebirgler zeugt die weitverbreitete Sitte, den „Pfingstlümmel“ zu suchen. Dieser schöne Name galt demjenigen, welcher am Pfingstsonntag als letzter im Bett angetroffen wurde. Er mußte allerlei Spott und Schabernack über sich ergehen lassen, den zweifelhaften Ehrentitel aber behielt er bis zum folgenden Jahr.

So begann das Fest. Nach dem Gottesdienst erschallten vom Turm herab Choräle und Lieder, es wurde wohl auch im Gedenken an die lieben Toten auf dem besonders geschmückten Kirchhof gesungen.

Nach dem reichen Pfingstmahl daheim begann der „Laubtanz“. Die Mädchen wurden von den jungen Burschen mit Musik aus ihren Wohnungen geholt. Sie trugen Laubkränze, die mit bunten Bändern schön geschmückt waren, am Arm, und jede hängte ihrem Burschen einen gleichen Kranz um die Brust. So ging es zu Tanz und Schmaus nach der Schenke. Der Hauptspaß bestand nun darin, daß die Mädels sich ihre Tänzer selbst wählen und holen durften. Die vier zuerst tanzenden Paare bekamen besonderen Schmuck, und der Jubel dauerte bis in die späte Nacht.

Sehr drollig sind auch die Pfingstsitten der verschiedenen Handwerker, am eigenartigsten, jedoch ernst und weihevoll die der Bergknappen. Am zweiten oder dritten Feiertag zog die Bergknapp- und Brüderschaft mit der Bergfahne unter den Klängen des Bergmannsmarsches zur Predigt in die Kirche, zu welcher der Pfarrer in feierlichem Zuge eingeholt wurde.

Die Posamentiergesellen hatten ihren besonderen Pfingstumzug. Zwei Harlekine, deren Anzug aus lauter bunten Tuchfleckchen bestand, eröffneten den Zug, dann kamen Fanfarenbläser, und nun folgten die übrigen Gesellen, welche die Insignien ihres Handwerks und hohe Trinkkannen trugen. So bewegte sich der Zug durch die Stadt nach der Herberge. Vor dieser bestieg einer der Harlekine einen Stuhl und brachte in drolliger Rede verschiedene Gesundheiten aus. Tanz und allerlei Belustigungen, meist in Verkleidung, beschlossen den Tag. Noch eine besondere Pfingstsitte hatte sich bei diesem Handwerk lange erhalten, sämtliche Lehrlinge, die Gesellen geworden waren, mußten sich in der Herberge einfinden und wurden, nachdem sie Platz genommen hatten, von dem Altgesellen mit einer kräftigen Maulschelle begrüßt. Sodamm trat ein anderer Geselle, als Zimmermann verkleidet, heran und hieb mit einem hölzernen Beil an den armen Jungens herum, damit ihnen, wie es hieß „keine Späne“ mehr anhingen. Noch mehr derartige derbe Scherze folgten, von lustigen Versen begleitet; dafür durften die so in die Gesellenzunft Aufgenommenen an dem nachfolgenden Trinkgelage teilnehmen.

Ob denn alle diese ernsten oder heiteren Volksgebräuche ganz verschwunden sind? O nein. – Da gibt es Bauernhöfe, die, an schöner Berglehne von tiefdunklem Wald bekrönt, schon jahrhundertelang sich vom Vater auf den Sohn vererbt haben. Dies sind die Stätten, wo liebgewordene Sitten heilig gehalten und noch geübt werden. Möge doch die neue Zeit, trotz ihres Fortschreitens, der alten Sitten und Gebräuche nicht vergessen!

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 23 – Sonntag, den 5. Juni 1927, S. 3