Im Reiche der heimatlichen Berggeister.

100 Meter unter der Erde in der Erzgrube „Herkules-Frisch-Glück“ am Fürstenberg.

Wenn wir das Bild auf der Titelseite unserer heutigen Heimatblattausgabe betrachten, erinnern wir uns wohl des alten Bergwerkes, das hie und da neben der Christgeburt auf den Böden unserer erzgebirgischen Hütten und Häuser steht und das im stillen Winkel schon wieder von Weihnachten träumt. Ist’s nicht, als ob in den Felsspalten Kobolde ihr Wesen treiben, als ab der Bergmann den einsam hier stehenden Huntwagen schwerbeladen durch den Stollen fahren will. Ja, die alte Bergmanns-Zeit wird wieder lebendig, wenn wir dieses Bild betrachten, das eine Ansicht darstellt von der ganz in unserer Nähe liegenden Erzgrube „Herkules Frisch-Glück am Fürstenberge“. Von nah und fern kommen gerade jetzt zur Wanderzeit fahrende Gesellen, Vereine und Schulklassen, um das Bergwerkswunder bei den einsamen Ruinen der sagenumwobenen Oswaldskirche zu beschauen. Es ist dies doch noch etwas ganz anderes, als der Blick ins Bergwerk unseres Weihnachtsberges, in dem wohl auch alles fein durchdacht ist und in Miniatur gut nachgebildet sich dem Auge präsentiert. Im Reiche der Natur offenbart sich die Gewalt der Felsenblöcke und Steine unseres Erdinnern gleich einem großen Wunderwerk aus Gottes Hand.

Ruine der Oswaldkirche am Fürstenberg.

Wer in des Bergriesen Reich unter der Erde eindringen will, muß selber Bergmann werden, oder muß doch wenigstens den schlichten Bergmannskittel anlegen, die Grubenlampe umhängen und fröhlich zur Bergmanns-Barte greifen, sonst nimmt ihn der alte Steiger Richter, der alte 60jährige Hüter der Erzgrube am Fürstenberge, nicht mit. Wer aber wohlausgerüstet, mit schwarzem Schurzfell angetan, sich vor dem Mundloch der Grube einfindet, dem öffnet sich bald auch das Tor zu dem finsteren Reiche der Berggeister. Ein kalter Hauch aus Grabestiefen weht uns an, wenn wir den langen Marmorstollen durchwandern. Einsam klingt der Schall unserer Tritte; wir fühlen wohl selbst, daß wir hier Bergwerksstille stören. Ewiger Feierabend umgibt uns. Fäustel und Meiselschlag unterbrechen nicht mehr die Stille der „Herkules Frisch-Glück“-Grube, in der es doch bis anno 1918 noch so lebhaft zuging, um wertvolles Gestein zutage zu fördern.

Einsam und leer liegt hier die alte Pulverkammer, aus der sich die Bergleute Dynamit für ihre Sprengungen etc. entnahmen. Wir sichten ein Arsenkieslager, das unmittelbar im Glimmerschiefer steckt und seltsam leuchtet; dort liegt eine abgebaute Kalkinsel mit Ockererde, grünliche Kupferadern und dort wieder blendend weiße Kalksinterstreifen an den Wänden – das alles beleuchtet von farbigen´Lampen bietet einen so eigenartig geisterhaften Anblick, daß wir bald vor den Wundern der Natur erschauern, die sich tief unter der Erde uns hier offenbaren. Ein großer Felsdom öffnet sich und wir sind im „Ersten Bau“ des „Frisch-Glück“-Lagers. Wir bewundern hier den prächtig gefalteten Marmor. Teiche mit klarem grünen Wasser liegen zwischen den Felswänden. Man sieht ganz deutlich auf den Boden und wähnt, nur ein flaches Wasser vor sich zu haben. Doch wehe dem, der es wagen wollte, dem falschen Lied der Nixen hier zu folgen. Die Wasserjungfrauen zögen den armen Knaben wohl viele, viele Meter tief hinab in die Flut. Unter den Wassern träumen alte, nicht mehr zugängige Bergstollen und Baue, der Bremsberg und wie sie alle heißen, von alter längst vergangener Bergmannszeit. Nach einsamer Wanderung öffnet sich bald ein zweites großes Marmorlager, über das sich eine seltsamfarbene Grünsteindecke wölbt. Das große Gewölbe eines dritten großen Baues helfen Stützpfeiler aus feinstem Marmor tragen.

Ein großer grüner Teich träumt auch hier in aller Stille vom alten Bergsegen der Heimat und siehe da, wie reizend, hier stehen versteckt in den Felsnischen von magischem Licht bestrahlt Gnomen und Berggeister. Ein Angler, hier und dort ein Zwerg mit voll beladenem Karren und dort ein Bergmannswichtchen, alles so wunderbar gruppiert, daß man sich weit, weit ab fühlt von der lärmenden Welt.

Bergmannsstille hier – 100 Meter tief unter dem Grünhainer Wald sind wir, was Wunder, daß wir im Reiche der Berggeister losgelöst sind von aller Wirklichkeit. Der alte Steiger zeigt auf die Bergkanzel des großen Felsdomes, von der in stiller Stunde manch armem Bergmann Trost und Segen wurde. Eine alte Holztreppe führt zum Oberstock. Hier haben zur Vesperzeit die Bergleute geruht und über ihnen schaute von der Wand herab das scharfgeschnittene Gesicht des Berggeistes, welches durch eine Sprengung seltsam erzeugt wurde. Auch Rübezahl erblicken wir in einer wundersamen Felsgestaltung. Das Reich der Märchen aus frommen Kindheitstagen wird wieder lebendig und wir fühlen den Schauer einer gewaltigen Felsnatur in uns wirken. Wie von Riesenhand hingeschleudert liegen mächtige Felsblöcke in wildem Gewirr durcheinander. Ein Schillern und Glitzern ist um uns, daß wir Rübezahls Gold- und Silberkammer hier verborgen wähnen. Neben dem Marmorlager hat Herkules Frisch-Glück noch manch reiche Erzader und wer weiß, hätte der Bergmann bei uns doch noch eine glückliche Hand, wer weiß, welch reicher Bergsegen unter der heimatlichen Erde noch verborgen liegt.

Aber Hammer und Meisel ruhen nun einmal, Bergwerksstille ist. Drum wollen auch wir in dem stillen Reich der Berggeister nicht länger mehr stören. Bald geht’s zurück, vorbei an unzugänglichen Stollen und Schachtbauten, vorbei an neuen Marmorlagern nach der Mündung des langen Stollens wieder hinaus zu Tage. – Die Sonne hat sich längst zu Tal gesenkt und still ists auch da draußen in der Welt geworden. Um ein Wunder Gottes reicher drücken wir dem alten Steiger Richter die Hand. Einem Bergmann von altem Schrot und Korn, einem, der schon um 1890 als Steiger in den Erzgruben am Fürstenberg gewesen, waren wir gefolgt. Das Bergwerk ruht, aber Rübezahls alter treuer Wächter, der 60jährige Steiger Richter lebt, und wer auch immer nach dem Fürstenberg kommt, der geht mit ihm gern zur Herkules-Grube und tauscht mit dem alten Steiger nach altem Brauch den frohen Bergmannsgruß: „Glückauf!“

S. Sdl.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 36 – Sonntag, den 18. September 1927, S. 1