Streiflicher über erzgebirgische Verhältnisse vor 150 Jahren.

Als Unterlage zu den folgenden Ausführungen dient eine wenig bekannte Schrift Oesfelds, der von 1769 – 1801 als Pfarrer und geistlicher Inspektor in der Stadt Lößnitz wirkte. Dieser Geistliche betätigte sich neben seinen Amtsverpflichtungen auch vielfach auf schriftstellerischem Gebiete. Freilich sind die meisten der schriftstellerischen Erzeugnisse Oesfelds in Vergessenheit geraten. Höchstens die Heimatforscher schätzen ihn als Verfasser einer gediegenen Chronik von Lößnitz, die er 1776/77 herausgab unter dem Titel: „Historische Beschreibung einiger merkwürdigen Städte im Erzgebirge insonderheit der Hochgräfl. Schönb. freyen Bergstadt Lößnitz im Erzgebirge“. Ein ähnliches Stoffgebiet finden wir behandelt in einer kleineren Schrift, betitelt: Der Erzgebürgische Zuschauer von Mag. Gotthelf Friedrich Oesfeld (Halle 1773/74, 2 Teile). Hierin gibt er uns Bericht von allerhand Zuständen und Begebenheiten, deren Augenzeuge er gewesen ist. Wir bringen daraus einige für die Geschichte unseres Gebirges nicht ganz uninteressante Streiflichter.

Wegeverhältnisse.

„Die Wege und Landstraßen bei uns sind berüchtigt und wenigstens den Gästen, welche in das Carls-Bad reisen, bekannt genug. Sie sind erstlich sehr steinicht und uneben, zum andern haben sie viel schmaler Gleis als anderswo. Deswegen müssen auch Reisende, die unser Gebirge mit eigenem Wagen durchreisen wollen, denselben auf doppeltes Gleis einrichten. Die Wege gehen über hohe Berge und durch tiefe Täler, daher die Räder oft ein- und ausgehemmt werden müssen. Sie sind meist sehr hohl und tief, welches deswegen kein Wunder ist, weil sie teils durch die Länge der Zeit sehr ausgefahren, da insonderheit wegen der Berge keine Nebenwege möglich sind. Die Fuhrleute müssen wegen des schlimmen Weges oft die Nacht unter freiem Himmel zubringen und durch vielfältige Erfahrung überzeuget werden, daß ihre angewöhnten Flüche weder die fehlende Kraft der Pferde, noch die unterirdischen Geister sich durch dieselben zur Hilfe herbeirufen lassen. Uebrigens sind unsere Wege ein gutes Mittel wider das „malum hypochondriacum“. Ich glaube sicher, daß manche Carlsbader Badegäste schon ihre halbe Gesundheit durch die erschütternde Leibesbewegung erhalten, ehe sie noch das Bad brauchen. Vielleicht wäre die Wirkung noch stärker, wenn sie zuweilen eine Stunde neben ihrem Wagen hergingen und ihre zärtlichen Füße aus der gewohnten Untätigkeit setzten. Es würde dadurch der Kreislauf des Geblütes und der so nötige Schweiß gefördert; und überdies würde mancher überstiegene sauere Berg ihnen zu Hause den angenehmsten Stoff der Erinnerung und Unterhaltung geben, noch mit mehr Recht, als mancher junge Held sich rühmet, Festungen erstiegen zu haben, welche er niemals gesehen. Wegen des Ausweichens geraten die Fuhrleute gar oft in ein Handgemenge, und die Schimpfreden, damit sie bei solchen Gelegenheiten einander beehren, sollen den Herren Advokaten soviel einbringen, als sie bei Abwartung auswärtiger Termine Fuhrlohn gebrauchen. Oft wählen die Fuhrleute daher lieber die Art der Rache, welche im Interregno Mode war: Faustrecht! Ein Grundsatz bei dem Ausweichen ist dieser: Zwei Wagen haben einander auf halbem Wege auszuweichen; aber einem Holz- oder Mistwagen müssen alle Luxuswagen ausweichen.“

Feuergefährlichkeit der Häuser und Wohnungen.

„Es ist fast keine Stadt im Erzgebirge, welche nicht ein oder mehrere Male der schrecklichen Verwüstung durch Feuersbrünste ist unterworfen gewesen. Die gebirgischen Dörfer zwar, in welchen die Häuser einzeln und in ziemlicher Entfernung von einander gebaut sind, sind diesem traurigen Schicksal weniger unterworfen. Wenn auch eine Feuersbrunst daselbst entsteht, so wird sie doch bei dem Vorrat an Wasser und weil man von allen Seiten dem Feuer mit Löschen Einhalt tun kann, bald gelöschet, daß selten mehr als ein Gut niederbrennet. Aber in den Städten sind die Gassen sehr eng und gar wenig Hofraum ist vorhanden, daher die Einwohner ihr Reisig und kleingemachtes Holz auf dem Oberboden zu haben pflegen. Und unsere Städte bestehen größtenteils aus hölzernen Häusern, weil man das Holz hier im Ueberfluß hat. Es ist zwar hier auch kein Mangel an Steinbrüchen und Kalk, aber es ist dort nicht so wohlfeil und hehet auch nicht so geschwinde von statten, wenn man steinerne Gebäude aufführet. Zwar werden istzt viele durch Schaden klug und führen steinerne Häuser auf; doch ist die Zahl der hölzernen noch weit größer.

In vielen Holzhäusern sind auch die Wände nur von Klebewerk gemacht oder bestehen aus starken Bohlen und Pfosten. Die Häuser sind mit Schindeln gedeckt, weil diese nicht nur ein leichtes, sondern auch ein wohlfeiles Dach abgeben. So finden die Flammen an allen Seiten unserer Häuser die geschwindeste Nahrung. Man braucht zudem – was aber verboten – an manchen Orten kieferne und buchene Späne anstatt der Lichter und geht damit im Hause und in den Ställen herum. Auch sind in vielen Häusern die Feueressen aus Holz (!) und weil nur weiches Holz gebrannt wird, setzt sich in wenig Tagen dicker Ruß an, daß sie ganz enge werden. Die Bauernstuben auf dem Lande sind daher meistens schwarz. Sie sind nur mit hölzernen Bohlen ausgetäfelt und werden selten geweißet. Auch das schwärzet die Stuben, daß hier lauter Fichtenholz gebrannt wird und zum Teil noch grün in den Ofen geworfen wird, welches viel Rauch machet. Wenn nun in den Oefen mit Fichtenreißig eingeheizet, mit Wacholdersträuchern geräuchert und zudem scharf Tabak gerauchet wird, auch lange kieferne Späne anstatt des Lichtes in den Stuben gebrannt wird, so ist es kein Wunder, wenn die Stuben wie schwarze Höhlen aussehen. Aber unsere Landleute sind in ihren schwarzen Stuben vielleicht vergnügter als manche in einem Zimmer, dessen Wände goldene Tapeten bedecken.“

Schule.

„Im Jahre 1773 ist eine neue Periode für die sächsischen, also auch für unsere gebirgischen Schulen angegangen, inden die erneuerte Chursächsische Schulordnung in das Land ergangen ist. Seit der Zeit sind auch die heilsamen Schulpredigten, welche am Sonntag Miseric. Dom. und am Michaelisfeste jährlich gehalten werden sollen, wieder mit viel Segen angefangen worden. Da auf eine wohlfeineingerichtete Schule der Flor des ganzen Ortes, die gesittete Art der Einwohner und der bessere Eingang des Predigtamtes ankommt, so ist diese neue Einrichtung von sehr ausgebreitetem Nutzen und verspricht viel gesegnete Folgen für die Zukunft.“

Landwirtschaft.

„Mit den Erdäpfeln ist bisher mancher neue Versuch im Gebirge gemacht worden. Herr Major von Römer auf Alberoda hat die im Keller von den Erdäpfeln abgefallenen Keime geleget. Er hat davon ebensoviele, ebenso große Erdäpfel und ebenso zeitig dieselben erbauet, als ob die Erdäpfel selbst wären geleget worden. Solches haben hernach einige andere in hiesiger Gegend nachgetan. Man hat dabei den Vorteil, daß die Erdäpfel selbst gefüttert oder zu Mehl gemacht werden können und dies ist ein sehr beträchtlicher Nutzen. Auch hat allhier jemand von ohngefähr Erdäpfelkraut ausgejähet und Land darauf geworfen und nach 6 Wochen, da er das Land hat wegfahren wollen, wahrgenommen, daß sich an dem Kraut viele kleine Erdäpfel gefunden haben.

(Fortsetzung folgt.)

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 36 – Sonntag, den 18. September 1927, S. 2