Die Umgegend von Lößnitz galt noch in den siebziger Jahren als das wichtigste Schieferbruchgebiet Sachsens. Es versorgte Dörfer mit dauerhafter Dach- und Giebelbekleidung sowie mit allerhand Baustücken und Hausgeräten. Die Brüche wurden entweder von den Eigentümern selbst abgebaut oder an andere gegen einen Zins von 10 bis 12 Pfennigen für die Truhe, d. i. 60 Stück fertigen Schiefers, verpachtet. Um das Jahr 1840 traten durch die Erbauung von Eisenbahnen der englische und französische Schiefer mit dem hiesigen in Wettberwerb, und es machte sich eine Umgestaltung des bisherigen Betriebes notwendig. Das ganze Gebiet umfaßte 44 einzelne und fast ebensoviele verlassene Brüche. 1856 entstand die „Sächsische Schieferbruchkompanie“, die mit einem Aktienkapital von 1 200 000 Mk. die Ausbeute von 6 der größten Brüche in Angriff nahm. Das Unternehmen war vielverheißend und erfreute sich eines raschen Aufschwunges. Während 1857 noch 327 Mann anfuhren, betrug deren Zahl 1859 schon 554. Die Errichtung einer Plattenschneiderei und einer Steindreherei mit Maschinenbetrieb waren weitere Fortschritte. Ein Geschäftsbericht setzt die Lieferungen eines Jahres fest mit 242 809 Truhen Dachschiefer, 3777 Kehlsteinen, 474 Zentnern Zentnerschiefer und 547 635 Stück Schablonenschiefer. Für das Wohl der Arbeiter sorgten eine Knappschaftskasse und ein Konsumverein. Am 23. Juni 1864 besuchte König Johann Lößnitz und schenkte dem Hasenschwanzbruche und dem Dreihanser Bruche die eingehendste Beachtung; auch gab er den „zu ehrfurchtsvoller Begrüßung erschienenen Mitgliedern des Verwaltungsrates Seine Befriedigung über den Befund auf das Huldenreichste zu erkennen.“
Die Jahre 1872 bis 75 schufen in der großartigen Entwicklung des deutschen Schieferbaues einen neuen Wettbewerb für Lößnitz. Schon 1879 und 80 war der Betrieb so beeinträchtigt, daß ernste Klagen laut wurden. Ein Eingangszoll von 50 Pfennigen auf 100 Kg. fertigen Schiefer brachte keine Wendung zum bessern. Nach Ansicht der damaligen Werksverwaltung hatten die ausländischen Schiefer das Uebergewicht gewonnen nicht durch ihre Vorzüge, sondern hauptsächlich, weil fast zu allen Reichs-, Staats- und anderen öffentlichen Bauten ausländischer Schiefer verwendet wurde. Hierdurch wurde auch bei Privatleuten das Ansehen des einheimischen Schiefers herabgedrückt. Daß bei dem letzteren 90 Prozent als wertlose Masse auf die Halde wanderte und durch die Bearbeitung weitere 5 Prozent verloren gingen, war für die Zukunft unseres Schieferbaues auch wenig verheißungsvoll. So kam es, daß am 27. April 1882 die Auflösung der Gesellschaft beschlossen wurde. Ein weiterer Versuch eines einzelnen Unternehmens war nur von kurzer Dauer. Der Schieferbau kam so gut wie ganz zum Stillstande. Aus dem Kirchengebete verschwand die Fürbitte „für die hiesigen Schieferbrüche“.
Heute zeugen noch mächtige Halden und weitgähnende Bingen bei Dreihansen, im Hasenschwanze und an der Berglehne zwischen Affalter und Lenkersdorf von dem Umfange und dem hohen Alter dieser ehemaligen Industriestätten. Noch erkennt man an den stufenmäßig über einander liegenden, 3 bis 4 Meter hohen Absätzen, Strossen genannt, die Art des Abbaues. In einzelnen Fällen wurden zur Vorbereitung Schrammen eingehauen; das waren grabenartige Vertiefungen von 30 bis 60 Zentimeter Breite, 2 ¼ bis 4 ½ Meter Länge und 60 bis 170 Zentimeter Tiefe, durch welche die Platten in ihrem tiefsten Punkte vom Felsen getrennt, durch Eintreiben mehrerer Keile in der Richtung der Schieferschichten gelockert und durch Brechstangen vollends gelöst wurden. Pulver wurde selten angewendet. In besonderen Abteilungen wurden nun die gewonnenen Blöcke zu Platten gespalten, abgeschabt, behauen oder zu rhomboidförmigem Dachschiefer zugerichtet. So bildet der Schiefer noch jetzt in unserer Stadt und Umgegend tausende von schützenden und schirmenden schuppigen Panzern auf Dächern und an Giebeln und wird wie die schiefernen Hausflurbelege, Treppenstufen, Essenkränze, Wassertröge, Gartensäulen und Grenzsteine ein augenfälliges Wahrzeichen für den ehemaligen ausgedehnten Lößnitzer Schieferbau.
Die verlassenen großen Schieferbrüche sind heute von innen und außen eine landschaftliche Sehenswürdigkeit. An dem Hasenschwanzbruche hat die derzeitige Besitzerin, Familie Baumann aus Aue, in überraschender Weise gezeigt, wie ein ödes und sprödes Grundstück durch Fleiß und Kunst gefügig gemacht werden kann, neue Schätze zu erschließen, die das Auge entzücken und die Hände mit reichen Gaben füllen.
E. Sch.
Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 51 – Sonntag, den 19. Dezember 1926, S. 2