Die letzte Hinrichtung in Schellenberg bei Augustusburg.

Von Kurt Neustadt, Augustusburg.

In der Nacht vom 6. zum 7. November 1831, kurz nach Mitternacht schreckte Feueralarm die Bewohner des Städtchens Schellenberg auf. Die aus Holz gebauten Häuser waren alle mit Schindeln bedeckt, auch die Kirche, und da es an Wasser fehlte, war an ein Löschen nicht zu denken. Nur dadurch konnte man den Brand eindämmen, daß man das Heschkesche Haus rechts an dem Steige „der Reihe“ nach dem Pfaffstein zum größten Teile abbrach. Als der Morgen anbrach, war eine schaurige Brandstätte der Ueberrest von 9 Wohnhäusern mit fünf Hintergebäuden und der Kirche. Die Not war groß, da das Städtchen nur 100 und einige Häuser hatte, in denen schon alle Stuben dicht besetzt waren. Ein Glück war es, daß der auf den Dächern liegende Schnee die anliegenden Gebäude vor dem Feuerfangen schützte und der Wind sich drehte, sonst wäre die ganze Stadt abgebrannt.

Schellenberg und die Augustusburg.

Wie war nun das Feuer entstanden? Das Feuer konnte nur angelegt sein. Schon am Morgen nach dem Feuer ward im Städtchen der Verdacht laut, daß der frühere Leineweber Eller der Brandstifter sei. Der Verdacht erwies sich auch bald als begründet.

Karl Gottlob Eller, gelernter Leinweber aus Arnsfeld bei Annaberg, war 1813 nach Schellenberg gezogen und hatte sich hier als Witwer mit der drei Jahre älteren Witwe des Schornsteinfegermeisters Barthel verheiratet. Sie hatte ihm zwei Kinder zugebracht: eine Tochter, die später nach Freiberg heiratete, und einen Sohn, Gotthold Barthel. Nachdem Eller 2 1/2 Jahre als Weber gearbeitet hatte, ward ihm die Weberei bei Strafe untersagt. Ellen war nicht in die Innung der Stadt aufgenommen worden, weil er angeblich nicht zünftig gelernt hatte. Vielleicht war auch bekannt worden, daß er früher wegen Pferdediebstahls eine zweijährige Zuchthausstrafe auswärts verbüßt hatte. Darum war Eller sehr erbittert auf das ganze „Weberhandwerk“. Er fing nun Viehhandel an, wies den Stadtfleischern Schlachtvieh aus den Dörfern an und gab sich mit allerlei kleinen Geschäften ab. Da ihn sein Gewerbe viel in die Schänken führte ergab er sich immer wieder dem Trunke. Außerdem lebte er mit seiner Frau in Unfrieden. So geriet Eller immer mehr in Not durch den Trunk. Arbeit fand er nicht und zu verkaufen hatte er auch nichts mehr. Da kündigte ihm sein Hauswirt im September auch noch die Wohnung, weil sich Ellers Frau mit den Mietern nicht vertrug. Das machte das Maß seines Unmuts voll. Eine andere Stube zum Wohnen bekam er nicht, auch keinen Bauplatz, um sich ein Häuschen zu bauen. Seinem Aerger über seine Not, an der er zwar die Hauptschuld trug, machte er gegen seinen Stiefsohn Barthel auf seinem Erdäpfelacker Luft. Dabei geriet er auf den teuflischen Plan, im Städtchen Feuer anzulegen, damit er zu Logis und Arbeit komme. Zur Ausführung ersah er sich Rockstrohs Scheune, da er glaubte, wenn das Feuer etwas entfernt von seiner Wohnung ausbräche, werde der Verdacht nicht auf ihn fallen. Am 26. September kaufte er sich auf dem Oederaner Jahrmarkt ein Feuerzeug mit Schwefelhölzchen und Schwefelfaden. Bei sich trug er bereits ein Bündelchen gebrauchte, zusammengewickelte Pechfäden. Er band alles in ein Tuch und versteckte es in einem Steinhaufen auf seinem Felde. Dort zeigte er es am 27. seinem Stiefsohne, holte es abends und ging damit auf den Pfaffstein. Lange saß er hier und überlegte, ob er die Freveltat begehen sollte oder nicht. Endlich sprang er zu der Rockstrohschen Scheune herab und steckte das angebrannte Pechfadenbündel durch ein Loch der Scheunenwand ins Stroh. Fläschchen und Hölzer schaffte er eilig in den Steinhaufen seines Feldes zurück. Dann ging er in die Stadt, half sogar beim Ausräumen der Brandstelle mit. Da es noch nicht zu spät am Abend, 10 Uhr, war und der Wind nur schwach ging, blieb der Brand auf vier Hintergebäude beschränkt.

So hatte Eller seine schändliche Absicht nicht ganz erreicht. Seine Frau kam nach dem Brande auf den Gedanken, daß ihr Mann betreffs des Feuers nicht ganz rein sei. Beim Einräumen seiner Kommode bemerkte sie, daß Eller seine Papiere und eine Menge von ihm sehr hochgehaltene Färberrezepte beiseite geschafft hatte. Von ihr zur Rede gestellt, gab er die Tat halb und halb zu. Ebenso merkte sie, daß ihr Sohn davon wußte. Eller fand keine Ruhe, immer sann er darüber nach, wie er mit besserem Gelingen seine Tat zum zweiten Male ausführen könne. Da fand er eines Tages an der Röberschen Scheune lose Bretter. Sofort war sein Plan fertig. Am Sonntag, den 6. November, während des Vormittagsgottesdienstes traf er seine Vorbereitungen. Er zerschnitt vor Barthels Augen ein sogenanntes Leinweberblatt und machte aus den mit Pech und Fett bestrichenen Fäden mehrere Bündelchen, die er mit Schwefelfaden umwickelte. Dies trug er alles in seine Scheune und versteckte es dort. Nachmittags und abends vertrank er sein aus Kartoffeln gelöstes Geld. Bis nachts 12 Uhr hielt er sich noch im Rockstrohschen Gasthofe auf und suchte allerlei Händel mit den Gästen. Dann holte er aus seiner Scheune sein Brandgerät und zündete die Röbersche Scheune an. Aber seine Stunde hatte geschlagen. Als er nämlich nach begangener Tat aus „der Reihe“ heraus über die Gasse nach Morgensterns Haus zusprang, sah ihn der Nachtwächter Hunger, der kurz zuvor die 12. Stunde im Vorderstädtchen ausgerufen hatte. Er fragte ihn, wo er herkäme. Da antwortete ihm Eller, aus der „Jägerhofschänke“. Während des Brandes begegnete Hammerschmied Weinhold aus Erdmannsdorf, der nach der Stadt wollte, dem Eller oberhalb der Scheunen, der ruhigen Schrittes die Straße heraufging und nicht wissen wollte, wo es brenne.

Eller hatte sich gegen Morgen in seiner Kammer auf Stroh schlafen gelegt. Von da weg wurde er auf Hungers Anzeige hin arretiert. Zuerst leugnete er beim Verhör alles. Am 13. November, wieder an einem Sonntage, machte er im Gefängnis den Versuch, sich zu erhängen, wurde aber durch den Amtswachtmeister Kotte, der dazu kam, daran gehindert. Am 15. November gestand er seine Schuld. Aus seiner Erzählung ging hervor, daß seine Frau und auch sein Sohn Mitwisser seiner Taten waren. Beide wurden gefangen gesetzt. Eller wollte die ganze Schuld auf beide abwälzen, als hätten diese ihn erst angestiftet. Aber dies ließ sich nicht beweisen. Der Schöffenstuhl zu Leipzig sprach im April 1832 das Urteil: Eller ist dem Gesetze nach „mit dem Feuer vom Leben zum Tode zu richten und zu strafen“ (zu verbrennen), die Eller aber und Barthel zwei Jahre in ein Zuchthaus zu bringen und dort zur Arbeit anzuhalten. Als die Verurteilten den Gnadenweg beschritten, wurde zwar Ellers Feuertod in die Strafe „durch das Schwert“ verwandelt, Frau und Sohn aber wurden abgewiesen. Die Hinrichtung ward auf den 20. November festgesetzt und dem Scharfrichter Oette in Meißen übertragen, weil dieser der Besitzer der Schellenberger Scharfrichterei war.

Am 14. November war Eller durch den Justizamtmann Weißbach der Tag der Enthauptung und des vorhergehenden Halsgerichtes verkündet worden. Mit großer Fassung hörte Eller dies an. Aus dem Gefängnis ward er nun in die sogenannte Armsünderstube gebracht, wo er nun nicht mehr angeschlossen war und auch besucht werden durfte. Sehr betrübt war Eller, daß ihn weder seine Tochter aus erster Ehe, noch seine beiden verheirateten Schwestern besuchten. Vom 18. November an trug er bereits die Armsünderkleidung: Jacke und Hose aus weißem Flanelltuch, mit schwarzem Band benäht. Am folgenden Tage beichtete er und empfing das heilige Abendmahl. Abends nach dem Läuten sangen die Schulknaben vor der Frohnfeste zwei Lieder, die er sich selbst gewünscht hatte.

Der Morgen des 20. November, ein Dienstag, brach an. Als die Turmuhr mit lauten Schlägen die neunte Stunde verkündete, schrak Eller zusammen. Er mußte ja nun vor das Halsgericht. Durch lautes Gebet aufgerichtet, befahl er dem Beifrohn die Verteilung seiner wenigen Habseligkeiten, nahm dankend Abschied von den Bewohnern der Frohnfeste und ließ sich von den beiden Pfarrern die Treppe hinabführen. Vor der Tür erwartete ihm eine Kavallerie-Eskorte, die ihn in ihre Mitte nahm, während Eller heftig die Hände der ihm zur Seite gehenden Geistlichen ergriff und festhielt. Ihm folgte Amtswachtmeister Pötzsch aus Wolkenstein und der Scharfrichter.

Unter Bedeckung ward er auf den Gerichtsplatz geführt. Hier hatte unterdessen das Gerichtspersonal an der um einige Stufen erhöhten Gerichtstafel Platz genommen. Auf der Tafel lagen Schwert und Stab. Amtswachtmeister Kotte stand davor. Außen an der Barriere stellten sich die Stangenleute auf. Drei Schläge von der Schloßglocke verkündeten den Anfang des peinlichen Halsgerichts. Dem Verurteilten wurden seine Verbrechen vorgehalten, zu denen er sich mit lautem „Ja“ bekannte, und dann das Urteil verkündet. Hierauf brach der Justizamtmann den Stab über ihn und warf ihm die Stücke vor die Füße, zum Zeichen, daß er sein Leben verwirkt habe und aus der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen sei. Dann übergab er ihn dem Scharfrichter, welchem auf seine Bitte freies Geleit zugesichert wurde, daß sich bei strengster Strafe niemand an ihm vergehen solle, falls sein Werk mißlänge. Nun wurden alle Stühle umgelegt, das Halsgericht war zu Ende.

Durch das jetzt geöffnete schwarze Tor gingen die Zuschauer ab. Der Zug mit dem Verurteilten zwischen den beiden Geistlichen in der Mitte ging durch das vordere Tor herab in die Stadt nach dem Richtplatze am Galgenberge. Dort stand das Schaffot in einem großen, umfriedigten Raume. Eller ging ruhig mit gesenktem Haupt den Todesweg, hörte auf die ihm zuredenden Geistlichen und sprach zu ihnen. Erst als er das von den Strahlen der Sonne erleuchtete Blutgerüst sah, verfärbte er sich und seufzte schwer. Endlich war man am Ziele. Die Begleiter des Zuges nahmen ihre Plätze ein. Der Verurteilte wurde von den Geistlichen über den Platz geführt und die Treppe zum Schaffot mehr hinaufgeschoben als geleitet. Die Knie wollten ihm den Dienst versagen. Oben angekommen, wendete er sich nach Osten und betete leise mit erhobenen, gefalteten Händen. Dann nahm er dankend von den beiden Geleitsmännern Abschied, knöpfte sich selbst die Jacke auf und setzte sich auf den Stuhl. Hier wurde er festgebunden und empfing die letzte Tröstung. Ein Streich des blitzenden Schwertes – und dem Gesetze war Genüge getan. Der Scharfrichter fragte: „Habe ich recht gerichtet?“ Der Justizamtmann antwortete: „Ihr habt recht gerichtet!“ Das war die letzte Hinrichtung in Schellenberg am 20. November 1832.

Der Leichnam des Brandstifters wurde sofort an die chirurgisch-medizinische Akademie in Dresden abgeliefert, um dort seziert zu werden. Trotz der ungeheuren Menschenmenge, die zusammengeströmt war, geschah weder ein Unglück, noch kam eine Ruhestörung vor.

Die Schuldigen hatten ihre Strafe empfangen. Nun erhielten auch die Entdecker der Freveltat ihren Lohn. Nachtwächter Hunger und Hammerschmied Weinhold aus Erdmannsdorf bekamen je 100 Taler aus der Landesbrandversicherung zu Dresden. An Stelle der eingeäscherten Gebäude wurden neue errichtet, auch ein neues Gotteshaus wurde aufgebaut. Als am 23. Juli 1834 die Witwe Eller mit ihrem Sohn aus der Strafanstalt zurückkehrte, herrschte im Städtchen große Aufregung. Obwohl Barthel ein gutes Zeugnis vom Zuchthause mitgebracht hatte, so hegte die Gemeinde doch noch großes Mißtrauen gegen ihn, so daß er zunächst keine Wohnung erhielt und vorläufig im Gemeindehause untergebracht wurde. Später wurde Barthel noch Meister und verheiratete sich. Im Jahre 1872 starben er und seine Frau.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 47 – Sonntag, den 21. November 1926, S. 1