Die Eisjungfrau (2)

Weihnachts-Erzählung aus dem Erzgebirge von Ch. Engel.

(Fortsetzung.)

Mißmutig saß er nach dem Essen wieder auf der Ofenbank im Steebl und blies dicke Rauchwolken aus seiner Pfeife, die feierlich erwartungsvolle Stimmung der andern war ihm unerträglich. „Wenn sie sich doch bald zur Ruhe begeben möchten“, dachte er, aber da konnte er lange warten. Die Bäuerin hatte noch allerhand für die am nächsten Morgen stattfindende Bescherung zusammengetragen, und die Mägde wollten heute ewig nicht mit dem Aufwaschen des Geschirrs fertig werden, dabei kicherten sie immer so geheimnisvoll, daß er sich mehrmals versucht fühlte, an seiner stämmigen Gestalt herabzusehen, ob da vielleicht etwas Lächerliches dran wäre.

Schließlich hatte der Himmel aber doch ein Einsehen. Er ließ den Gutsbesitzer kurz nach 10 Uhr erklären, es sei nun Zeit, daß man zu Bette gehe, da morgen früh zur Christmette alles beizeiten wieder auf den Beinen sein müsse. Bruno atmete erleichtert auf. Es war die höchste Zeit, denn bis zum Nonnenfelsen, der drüben in seinem Vaterlande, hart an der Grenze gelegen war, hatte er eine volle Stunde zu gehen, und ehe alles fest einschlief, verging auch noch eine Weile. Er begab sich als erster hinauf in seine Kammer und wartete dort, eingehüllt in seinen dicken Winterrock und dazu gehörigen Fuhrmannsschal, bis im ganzen Hause alles still war, dann schlich er sich lautlos in Filzschuhen die Treppe wieder hinunter und zur Haustür, an der er am Tage vorher die Klingel abgestellt hatte, hinaus.

In demselben Augenblicke sprang eine bis zur Unkenntlichkeit in Jacken und Tücher gehüllte Gestalt durch eins der Fenster im Steebl, das auf der Rückseite des Hauses lag und eilte im Schutze der Finsternis querfeldein.

Vorsichtig schritt Bruno über den nach der Straße zu offenen Hof. Auf einmal stutzte er.

„Do drüb’n bei dan Wassertrug Do stieht a langer Mah,
Un war net rachte Totschen hot, Dan läßt er gar net nah”,

hieß es am „Heiling Ohmd“. Stand nicht einer dort drüben am Wassertrog? — Ja wirklich, da stand ein langer Mann, genau so lang, wie der Friedrich von drüben! Bruno stockte das Herz. Im ersten Augenblicke wollte er zurück ins Haus fliehen, er hatte schon die Haustür ein wenig geöffnet, da knarrte diese so laut, daß er sie erschrocken wieder schloß. Nein, zurück konnte er nicht mehr; was würden die anderen sagen, wenn sie ihn im vollen Staate ertappten! Jetzt mußte er vorwärts auf alle Fälle. Einen entschlossenen Anlauf nehmend, rannte er hinaus auf die Straße. Hinter ihm plätscherte und rieselte das Wasser ganz unschuldig und lustig in den Trog hinein wie alle Tage, ja es plätscherte so lustig, daß es manchmal beinahe klang als lache es. Doch er hörte nicht darauf. Mochte seinetwegen heute in allen Brunnen der köstlichste Wein fließen, er holte keinen.

In den Häusern war es zumeist finster, nur da und dort war noch eine Hausfrau beschäftigt, die Geschenke für ihre Lieben, die ihnen das Christkind nach der Mette bringen sollte, zurecht zu legen. So war die Dorfstraße heute noch finsterer als sonst, denn kein einziges goldenes Sternlein grüßte freundlich vom nachtdunklen Himmel herab. Doch Bruno hielt nicht einen Augenblick in seinem Laufe inne.

Im Sturmschritt ging es immer vorwärts. Einmal war es ihm, als fiele von rückwärts ein langer Schatten auf seinen Weg. Sollte ihm der Lange vom Wassertroge folgen? Er wagte gar nicht, sich umzusehen.

(Fortsetzung)

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 1 – Sonntag, den 1. Januar 1928, S. 3