Die alte Buchholzer Kirchgasse.

Nach den Erzählungen alter Buchholzer Einwohner.

Hatten wir in unseren letzten Heimatblättern den Buchholzer Engpaß besprochen, so zeigen wir heute unsern Lesern, wie dieses Verkehrshindernis der alten Zeit fallen mußte. Auf dem Bild sind die beiden Häuser – das Ickengelb Rudolf Lötsch-Haus als auch das Seifensieder Lötsch-Görlich-Haus – verschwunden und ein freier großer Platz ist entstanden. Unsere Stadtväter hatten damals – bevor man die Post hier erbaute – die löbliche Absicht, den Buchholzer Marktplatz hier anzulegen, ein Plan, dessen Ausführung leider nicht zustande kam. Jedenfalls wäre der Platz hier an der Hauptstraße im Zentrum der Stadt sehr schön gewesen. Nach Niederreißung der Engpaßhäuser hat der Platz längere Zeit frei gestanden und ist, wie das Bild zeigt, durch gärtnerische Anlagen verschönert worden.

Bild 1: Das Gottlob Burkertsche Restaurant „Zum Felsenkeller“ und das Bäckermeister Hempel-Haus in Buchholz nachdem die beiden Engpaß-Häuser (Lötsch und Görlich) niedergerissen waren. (Der ehemals geplante Buchholzer Marktplatz, auf dem heute die Post steht.)

Etwas einsam steht der Giebel des „Felsenkellers“ nach der Karlsbader Straße. Aber die Bewohner dieses Hauses – insbesondere der allbeliebte Wirt, der Gottlob Burkert und die liebenswürdige Wirtin, eine Tochter des damaligen Viehhändler Sühnel, der sein Gewerbe in dem Hause betrieb, auf dem heute die neue Schule steht, sorgten dafür, daß der „Felsenkeller“ nicht einsam blieb. Unsere Buchholzer Bürger kehrten mit besonderer Vorliebe zum Dämmerschoppen beim „Burkert Lob“ ein. Im „Felsenkeller“ hat es manch lange Sitzung gegeben und es soll bis zum frühen Morgen munter dort gezecht worden sein. Auch die Schlettauer und Scheibenberger Bürgersleute kamen Donnerstags gern zu Gaste nach Buchholz, weil sie an diesem Tage mit der Postkutsche wieder heimfahren konnten. Aber ein schlauer Wirt hat seinen Trick und es wird erzählt, daß der „Felsenkeller“-Wirt mit dem Postillion einen Pakt geschlossen habe. Er schenkte dem Postillion manches Schnäpslein, damit er sein Posthorn erst weit hinterm Engpaß erklingen ließ und ihm nicht die Gäste herauslockte. Zu gönnen wars dem Burkert-Lob, daß sein Wirtshaus recht gut ging, denn er hat viele Jahre neidlos zusehen müssen, wie es seinem Annaberger Bruder gar wohl erging.

Bild 2: Der Felsenkeller und das Bäckermeister Hempel-Haus an der Kirchgasse.

Gottlob Burkerts Bruder war der Wirt der „Goldenen Gans“ in Annaberg, ein Mann, dem Fortuna besonders hold im Leben gewesen ist. Die Geschichte dieses Mannes ist im Zusammenhang mit dem Leben des alten Buchholzer „Felsenkeller“-Wirtes jedenfalls sehr interessant. Zwischen dem Annaberger Markt und dem Fleischermarkt, dort, wo heute der Eingang zur Spar- und Girokasse ist, war früher ein großes Gewölbe – genannt die „Garküche“. Gottlob Burkerts Bruder war hier Fuhrwerksbesitzer und verrichtete nebenher die Hausknechtsdienste. Der Wirt mit seiner weißen Zipfelmütze, dem roten Wams, den kurzen Hosen und langen weißen Strümpfen, war ein gestrenger Herr und sah auf Ordnung. In seiner Küche praktizierte ein sauberes Frauenzimmer, die Köchin Ullrich aus Frohnau. Blitzsauber soll das Mädel gewesen sein, was Wunder, wenn Burkert Gottlobs Bruder hier sein Herz verlor. In dem heißen Wunsche, sich selbständig zu machen und dann heiraten zu können, nahm Burkert zusammen mit seiner Herzallerliebsten in der Verzweiflung ein Los der Landeslotterie, spielte – und, o Glück – ein Hauptgewinn fiel auf dieses Los und unser Freund Burkert mit samt der hübschen Köchin bekamen, trotzdem sie nur 1/4 des Loses gespielt hatten, 22 000 blanke Taler ausgezahlt. Die Freude kannte schier kein Ende und das Paar heiratete und kaufte in Annaberg am Markt das heute noch bekannte Hotel zur „Goldenen Gans“ für 6000 Taler.

Aber – nicht Unglück kommt selten nur allein, nein, auch das Glück. Auch das Glück hat oft neues Glück im Gefolge. Burkert wollte seinen Gasthof vergrößern und modernisieren und entfernte die über dem Portal als Sinnbild in einer Nische stehende Gans, um das Sinnbild durch eine Aufschrift zu ersetzen. Doch als man die schwere Gans herunterholte, zeigte sich, daß der seltene Martinsvogel schwer vergoldet war und Burkert bekam abermals ein gutes Sümmchen Geld.

Bild 3: Die Rückansicht des Bäckermeister Hempel-Haus und des Felsenkellers von der Irmerseite aus.

Ueber das Leben des Buchholzer Gottlob Burkert, der viel gereist war und seinen Stammtischgästen viel erzählt hat von der Aequatorlinie und von fernen wunderbaren Landen, der vor allem auch einen gesunden Lokalhumor besaß und eine weit und breit im Ort beliebte und bekannte Persönlichkeit war, behalten wir uns vor, in einem besonderen Bericht aus berufener Feder in einer späteren Ausgabe unserer Heimatblätter zu unseren Lesern zu plaudern. Jedenfalls hat die „Goldene Gans“ seines Annaberger Bruders auch für ihn einmal goldene Eier gelegt, sodaß er in Buchholz in den „Felsenkeller“ einheiraten konnte. Der frühere Wirt, ein gewisser Schramm, war hier gestorben und Burkert-Lob heiratete die Witwe, die geb. Sühnel. Eine Tochter dieser Wirtin war nach Leipzig an einen Beamten verheiratet und ist, wie wir übrigens auch in unserer „O. Z.“ berichteten, erst kürzlich gestorben.

Jedenfalls ist der „Felsenkeller“, der auf dem ersten und auch auf dem zweiten und dritten Bild zu sehen ist, unseren alten Buchholzern in recht guter Erinnerung.

An der Kirchgasse stand neben dem „Felsenkeller“, gegenüber dem späteren Friedrich Hunger-Haus, wie unsere Bilder zeigen, noch ein zweites Gebäude, das Haus des Bäckermeisters Hempel. Ein alter Einwohner von Buchholz erzählte uns, daß er als Schuljunge dort oft seinen „Pfengstollen“, der nach Art eines „Quärkels“ gebacken war, gekauft habe und daß der Bäcker Hempel weit und breit in gutem Ruf gestanden habe.

Unser drittes Bild zeigt die Rückseite der beiden Häuser. Das Haus mit dem Holzanbau ist das Hempel-Haus. Bäcker Hempel hielt sich in diesem Holzstall einiges Vieh. Das Haus mit dem weißen Anbau ist der „Felsenkeller“. Ganz früher soll in diesem Hinterhaus der Seifensieder Lötsch sein Handwerk betrieben haben.

Gleich den Engpaßhäusern sind heute auch diese Gebäude längst verschwunden. Ein schönes, stolzes Bauwerk steht an ihrer Stelle: das Buchholzer Postamt. Unsere Streifzüge zurück in die alte Zeit unserer Großväter und Urgroßväter wird aber auch dem heutigen Geschlecht sehr anschaulich und interessant gewesen sein. Und das ist Zweck und Ziel unserer „Erzgebirgischen Heimatblätter“. Sie sollen der Geschichte unserer Heimat dienen und Liebe erwecken für den Grund und Boden, auf dem auch wir bauen und schaffen, zum Segen für ein neues Geschlecht, welches unsere Zeit trotz all ihrer Fehler ebenso ehren und achten mag, wie wir froh und dankbar das Lied heute singen von der guten alten Zeit!

S. S.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 19 – Sonntag, den 9. Mai 1926, S. 1