Aus der Geschichte Cranzahls.

In einer älteren Chronik, aus dem Jahre 1839, finden sich mancherlei Nachrichten über Cranzahl, das freundliche, schmucke Dorf an der Sehma. Sie lagen gleichsam im Schutt der Zeit begraben und werden den meisten meiner Leser unbekannt sein. Zwar sind sie etwas einseitig abgestellt; denn sie beziehen sich in der Hauptsache auf die Kirche, die Geistlichen und sonstigen kirchlichen Verhältnisse. Trotzdem werden diese Nachrichten nicht des Interesses entbehren und seien deshalb mitgeteilt.

Unser Vorfahre führt im Anfange aus, daß Cranzahl sonst auch Kränzahl, Krauenzahl genannt und in Urkunden schon 1397 erwähnt wird. Cranzahl ist also ein sehr altes Dorf, älter als z. B. Annaberg oder Buchholz. Wir erfahren ferner, daß es 1839 einige Mühlen und nicht unbedeutenden Feldbau gehabt hat. Außerdem soll es damals 1000 Einwohner gezählt haben.

Dann wendet sich unser Chronist den kirchlichen Verhältnissen zu. „In kirchlicher Hinsicht war es (Cranzahl) sonst nach Schlettau eingepfarrt und ist erst nach der Mitte des 16. Jahrhunderts (also nach 1550) nach viel Widerspruch von Schlettau eigene Parochie (Kirchspiel) geworden, in die damals noch Stahlberg und Niederschlag eingepfarrt gewesen seyn sollen. Jetzt (1839) besteht sie noch aus Cranzahl, vier Häusern vom Ritterguthe Habichtsberg, das seit 1811 Cranzahl besitzt, und dem obern und niedern Grunde, die nur aus einer Mühle am Walde und einer Wirtschaft bestehen.

Die Kirche selbst ist 1556 erbaut worden und zwar „von 3 Einwohnern des Dorfes auf ihre Kosten.“ „Diese Nachricht“, heißt es weiter, „ist noch jetzt am Deckenunterzuge der Kirche zu lesen. An dem vor wenig Jahren durch den Herrn Pfarrer Müller abgenommenen, zum Andenken aber an einer Seitenwand der Kirche aufgehängten Obertheile des Altars finden sich (ferner) 3 kleine Brustbilder mit den Unterschriften: Jakobus, Reppel, Richter. Dieses sind ohne Zweifel die Abbildungen und Namen der Ehrenmänner gewesen. Einer derselben soll ein reicher Köhler gewesen seyn.“

„Die Kirche, sonst geräumig, will doch jetzt für die Gemeinde fast zu klein werden. Der Dachthurm ist 1806 wieder neu erbaut und vor einigen Jahren mit einem Geländer versehen worden. Auf ihm hängen drei Glocken, 2, 4 und 6 Ctr. schwer. Die 2. und 3. hat Weinhold in Dresden gegossen. Die große sprang 1701 und ward 1728 neu gegossen. Sie bilden ein harmonisches Geläute. Die Uhr ist sehr alt und bedarf es einer neuen.“

Nun wird das Innere der Kirche besprochen. Wir hören, daß früher ein Taufengel gewesen sein soll. Dieser sei jedoch „weggenommen und der alte, sehr schön massive Taufstein wieder hergestellt worden.“ Ferner wird erwähnt, daß der Altar aus der ehemaligen Klosterkirche zu Grünhain stamme. Er sei mit 4 geschnitzten weiblichen Figuren geziert: den 3 Marien und der Salome, und trage die Jahreszahl 1520.

An heiligen Gefäßen besitze die Kirche u. a. einen silbernen, vergoldeten Kelch mit der Aufschrift: „Von den insgesammten Steierschen Erben wird verehrt der Kirche in Cranzahl zum Gedächtniß 1652 von Hrn. Hieronymo von Steig, Bürgermeister zu St. Annaberg Seligen; von Frau Maria Steigin, geb. Jahnin und Salomo von Steig.“

Das Pfarrhaus muß damals in einem sehr schlechten Zustand gewesen sein; denn es wird folgendes berichtet: „Die Pfarrwohnung ist sehr alt und baufällig, besonders großen Schneewehen ausgesetzt, und wird die wackere Gemeinde gewiß bald darauf bedacht seyn, solche für ihren Lehrer fester und freundlicher zu gestalten.“

Von den Geistlichen Cranzahls, die unser Vorfahre jetzt aufzählt, interessiert uns besonders der Pfarrer Caspar Prätorius, von dem er folgende Geschichte erzählt:

„Caspar Prätorius lebte am Ende des 30jährigen Krieges als protestantischer Pfarrer in Michelsdorf auf der böhmischen Grenze. Da der Kaiser den westfälischen Friedensschluß nicht länger verzögern konnte, gab er ein sogenanntes Reformationspatent heraus, in dem allen Protestanten befohlen wurde, entweder katholisch zu werden oder mit Zurücklasssung aller Habe und Güther auszuwandern.

Die katholischen Emissäre (Abgesandten) drängten Prätorius, bald durch Verheißung guter christlicher Pfründen, bald durch Drohung mit Absetzung und Einkerkerung, katholisch zu werden. Da er sich weigerte, sollte das Letztere geschehen. Aber Prätorius, heimlich davon unterrichtet, entfloh zu einem befreundeten Steiger auf einer Zeche bei Michelsberg, der ihn als Bergmann verkleidete und verbarg. Auch hier suchten ihn die Prager Inquisitoren (Ketzerrichter) auf. Der Steiger aber, ein wackerer und besonnener Mann, verrieth sich mit keiner Miene, keinem Wort. Da trat Prätorius, von der Inquisitoren Gegenwart nicht unterrichtet, in die Stube. Schnell wandte sich der Steiger zu ihm und fuhr ihn als einen Untergebenen mit harten Worten an: „Was hast Du hier aufzuschnappen? Pack Dich an Deine Arbeit!“ und soll ihm dazu noch eine Ohrfeige gegeben haben.

Diese Behandlung ließ die Inquisitoren in dem Bergarbeiter nicht den Verfolgten ahnen und – zogen weiter. Später bat der Steiger den Pfarrer Prätorius um Verzeihung. Dieser aber dankte ihm reichlich für seine Rettung und entfloh glücklich nach Sachsen, wo er hier (d. h. in Cranzahl) Pfarrer wurde, aber schon nach 3 Jahren 6 Mon. starb. Sein Bildniß befindet sich noch in hiesiger Kirche.“

Ferner verdient der Pfarrer Zillich (von 1792-1808 Pfarrer in Cranzahl) hervorgehoben zu werden, unter dem in Cranzahl die Christmetten eingeführt wurden.

Am Schlusse der Aufzeichnungen wurden mir mit den Schulverhältnissen bekannt gemacht. „Im Schulhause ist 1835 die Schulstube und 1836 das ganze Gebäude repariert und schön und bequem eingerichtet worden. Dabei ist eine Wiese und 2 Gärten. Unter dem Pf. Zillich wurde die Schule in 2 Klassen, seit einigen Jahren aber in 3 Klassen getheilt, die aus 81 Schülern und 74 Schülerinnen bestehen.“

Von Lehrern werden u. a. erwähnt: Christian Kunitsch, der „viel Lehrertalent“ gehabt haben soll; Freudenberg, ein „guter Musikus“; Lorenz, von 1835-1836 Schulvikar, der die „Cantorei umorganisiert“ hat.

Nur ein kleiner Ausschnitt aus der Geschichte Cranzahls konnte geboten werden. Aber er gewährt doch Einblick in wichtige Verhältnisse vergangener Zeiten und regt uns zu Vergleichen mit heute an. Unser Wissen wird zweifellos in vieler Beziehung bereichert oder wenigstens aufgefrischt. Und, was die Hauptsache ist, das Interesse an dem Heimatort wird gestärkt und damit die Heimatliebe gehoben. Jedenfalls ist dies mein inniger Wunsch. „Vergiß die Heimat nicht!“, dieses Wort kann dem heutigen, so schnell vergessenden und leider oft so oberflächlichen Geschlecht nicht oft genug zugerufen werden. In der Heimat stecken die Wurzeln unserer Kraft. Mögen diese wenigen Zeilen dazu beitragen, daß wir uns mit unserer Heimat, unserem Heimatort, wieder verwurzeln. Sonst wäre es besser, sie wären überhaupt nicht geschrieben.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 19 – Sonntag, den 9. Mai 1926, S. 2