Von W. D., Crottendorf.
Wenn den fremden Wanderer seine Schritte durch das obere Zschopautal führen, so versäumt er wohl nicht, auch Crottendorf, einem der ältesten und größen Dörfer des oberen Erzgebirges überhaupt, einen kurzen Besuch abzustatten. Ist doch Crottendorf bekannt durch seine riesigen Nadelwaldungen, die sich bis jenseits der Grenze ins Böhmerland hinziehen. Bekannt ist es weiter als guter Ausgangspunkt für Ausflüge nach dem zwei Stunden entfernten Fichtelberg. Rühmlichst bekannt war es aber ehedem durch seinen leider jetzt stillgelegten Marmorbruch (jetzt hier nur Kalkofen genannt). Mitten im Walde versteckt zwischen alten, sturmerprobten, zerzausten Fichten, die mit jungen aufstrebenden Tannen wechseln, entzieht er sich zunächst den flüchtigen Blicken des Wanderers. Aber schon die ganze Anlage und die zum Teil noch stehenden alten Baulichkeiten deuten darauf hin, daß man sich auf einem Boden befindet, auf dem der Erde in mühsamer, beschwerlicher Arbeit Stück für Stück des einst so kostbaren Gesteins abgerungen worden ist. Während in früheren Zeiten hier Hammer und Feustel in frischem Klang durch den stillen Forst erscholl, liegt der Bruch seit Beginn dieses Jahrhunderts einsam und verlassen.
Entdeckt wurde der zuletzt etwa 30 Meter tiefe Bruch 1575. Seine rationelle Ausbeute begann nach alten Aufzeichnungen durch Johann Nosseni. Versprach doch zu den damaligen Zeiten Kurfürst Christian I. (1586 bis 1591) denen, die Marmor fanden, ein Gnadengeld. Crottendorfer Marmor hat an den Höfen der Wettiner überhaupt eine große Rolle gespielt. Waren sie es doch, die den hiesigen rein weißen Marmor zu gutem Ansehen brachten und sonit die Gewinnung und den Vertrieb desselben außerordentlich förderten. 1662 besichtigte Kurfürst Johann Georg II. (1656 – 1680) den Bruch und ließ, wie der bekannte obererzgebirgische Chronist Lehmann erzählt, von hier eine 36 Zentner schwere und 9 Ellen runde Marmorschüssel auf einem Schlitten nach Dresden bringen. Verwendung fand Crottendorfer Marmor in der mannigfachsten Weise, so beim Rathausbau in Amsterdam (Holland), in der Fürstengruft des Freiberger Doms, zur Statue des Königs Friedrich August vor dem Peterstor zu Leipzig, zu Gellerts Denkmal ebenfalls in Leipzig, in der Dresdener Hofkirche (Platten), in Berlin zum Reichstagsgebäude und zur Mosaikpflasterung des Platzes vor dem Reichstagsgebäude in Kopenhagen (Dänemark) und in Italien.
Um die Jahrhundertwende wurde die Marmorgewinnung eingestellt, da das Gestein in größeren Mengen rein nur noch selten vorkam und sich deshalb die Ausbeute nicht mehr verlohnte. Außerdem machte auch der bessere italienische Marmor dem hiesigen Marmor starke Konkurrenz, sodaß man sich schweren Herzens entschloß, zum Brennen von Kalkstein überzugehen, der ja ein wesensverwandter Stoff des Marmors ist. 1825 errichtete man daher in Pyramidenform den Kalkofen, der 3 Schürlöcher aufwies, ca. 150 hl Gestein faßte und den älteren Crottendorfer Einwohnern noch bekannt sein wird. Vorher versuchte man das Kalkbrennen behelfsmäßig in einem sogenannten „Meilerofen“. So war wieder reichlich Arbeit für die vor der Entlassung stehenden Marmorbruch-Arbeiter gefunden worden, ja man konnte sogar Neueinstellungen von Arbeitskräften vornehmen. Der Versand des Kalkes erfolgte hauptsächlich nach Annaberg, in die Schwarzenberger Gegend u. ins nahe Böhmerland. In dem Doppelwohnhause, was heute fast noch unverändert steht und welches jetzt als idyllisch gelegene Gaststätte freundlich zur Einkehr einladet, wohnte damals der Lokalaufseher und der Kalkvermesser. Der letzte Lokalaufseher Herr Friedrich Groß ist am 9. August 1906 hier gestorben. Wer entsinnt sich nicht noch der mächtigen Stöße von Stockholz vor dem Ofen, das in der Regel unzerkleinert die Glut für einen guten Brand der Steine abgeben mußte? Die Kohlenbeschaffung war damals zu kostspielig und der Transport wegen des stetig steigenden Geländes und der schlechten Wegeverhältnisse auch mit ziemlichen Beschwernissen verbunden. Abbaukräftigere Brüche mit neuzeitlichen Maschinen und modernen Verkehrsmitteln haben dann schließlich zu Beginn dieses Jahrhunderts zur Stillegung auch dieses Betriebes geführt.
So haben wir also in Kürze eine alte Stätte rührigen Fleißes und rastloser Arbeit kennen gelernt, die einst im weiten Lande einen guten Ruf genoß und heute ein nur beschauliches Dasein führt und auf dem besten Wege ist, in Vergessenheit zu geraten. Und daß dem nicht so wird, dazu sollen in erster Linie diese Zeilen dienen. –
Infolge seiner herrlichen Lage ist der Bruch als Ausflugsziel bestens zu empfehlen. Man erreicht diese Stätte vom Bahnhof Obercrottendorf aus bequem in 30 Minuten. Der Weg führt die Annaberger Straße dorfaufwärts bis an die Scheibenberg – Neudorfer Staatsstraße. Man folge dieser etwa 5 Minuten im Zuge nach Scheibenberg, biege dann beim Gasthaus zur Glashütte in die Oberwiesenthaler Straße und folge dann am Wasserwerk Obercrottendorf rechts dem Waldweg, der direkt auf den Bruch stößt. Ortskundige Personen vermögen diesen auch auf kürzeren Wegen zu erreichen.
Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 31 – Sonntag, den 1. August 1926, S. 1