Das „Vater Unser“ in Bildern (2)

von Ludwig Richter und nach einer Predigt-Textauslegung von Sup. Robert Lischke-Plauen.

(1. Fortsetzung.)

Geheiliget werde Dein Name

Wir wollen in seine Wohnung gehen und anbeten vor seinem Fußschemel
Psalm 132, 7.

Der erste Stern aus diesem Siebengestirn funkelt hell und klar: „Geheiliget werde Dein Name.“ Ueber all die großen und kleinen Sorgen Deines Lebens hinaus weist Dich diese erste Bitte empor an den Thron des himmlischen Vaters droben. Er ist ja nicht ein verborgener Gott, dem gegenüber wir mit dem Dichter fragen müssen: „Wer will ihn nennen, wer ihn bekennen?“ Er hat sich uns geoffenbart, und sein Name soll genannt und bekannt sein, bis dereinst kein Land sein wird, da man nicht seine Stimme höre. Und nicht bloß die Prediger und Lehrer sollen seinen Namen lauter und rein verkündigen, nicht bloß in schönen Sonntagsstunden sollen wir in seinem Heiligtum dem Namen Gottes lobsingen mit Gebeten und Liedern, für jeden Stand, für jedes Alter, für jedes Haus und jeden Tag gilt es aufs neue: „Geheiliget werde Dein Name.“ Wenn Du Hausvater die Deinen um Gotteswort am Morgen sammelst, wenn Du Hausmutter die Hände Deines Kindes zum Gebet faltest, wenn ein jeder, hoch oder niedrig, an seinen Beruf geht mit einem innigen „Das walte Gott, der helfen kann,“ wenn der Arbeiter unter seinen Genossen, der Meister unter seinen Gesellen die Arbeit, statt mit schlimmen Reden, Zanken und Fluchen, mit guten Reden, mit einer lehrreichen Erzählung, einem kernigen Sprichworte würzt, oder wenn Du wanderst durch Gottes schöne Welt, durch Flur und Wald und Feld und einmal dabei unwillkürlich Deine Hände faltest zu einem: „Herr, wir sind Deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weislich geordnet, und die Erde ist voll Deiner Güter“ – siehe, dann heuligst Du den Namen Deines Gottes.

Darum denke daran: niemals gedankenlos seinen Namen mißbrauchen, als leere Formel „Ach Gott,“ „Herr Gott“ etc.! Niemals seinen Namen in Deine Reden einmischen als bloße fromme Färbung, das ist der Anfang von Heuchelei oder Mangel an heiliger Scheu! Denn was ist es, was dem zagenden, bangenden, trauernden Menschenherzen in aller Nacht immer wieder als heller Stern entgegenstrahlt? Gottes heiliger Name, wie er in seiner Schöpfung, Erhaltung und Führung und vor Allem in seiner barmherzigen Erlösung uns hat kund getan. Nicht um seinet-, sondern um unsertwillen ist es nötig, daß dieser Name geheiliget werde; denn unantastbar und unerreichbar wie der funkelnde Stern am Firmament steht seines Namens Ehre da, eingeschrieben im Buch der Natur wie im Buch der Menschheitsgeschichte und am leuchtendsten über dem Kreuz von Golgatha. Aber wie es nichts Seligeres gibt für ein Menschenherz, als Spiegel und Echo dieses heiligen Namens zu sein, so gibt es auch nichts Unseligeres, als ihn vergessen, von ihm sich verirren, vor ihm fliehen. Dort wird lauter Nacht! Wo aber dieser Stern leuchtet, erfüllt er Himmel und Erde mit seinem Glanz, möge er fortan damit auch Dein Haus und Dein Herz erfüllen!

Dein Reich komme

Wer nicht das Reich Gottes nimmt als ein Kind, der wird nicht hinein kommen.
Lukas 18, 17.

Dein Reich komme, das ist der 2. Stern des Siebengestirns am Gebetshimmel des Christen.

Wir alle haben ein „Reich“ in unserm Haus, unsere Familie, unsrer Arbeit und unserm Beruf. Aber wie leicht gehen wir darin auf und zuletzt unter, und das soll nicht geschehen; unser Haus ist nur ein Punkt auf der Erde, und diese Erde ist nur eine kleine Provinz in Gottes unermeßlichem Reiche. Ueber dieser Welt hebt eine andre Welt an, über unserem Reich noch ein anderes, großes Gottes- und Gnadenreich, und dazu sind wir alle berufen schon in der Taufe, für dieses Reich sollen wir alle arbeiten an uns und andern, für dieses Reich sollen wir alle beten, Tag für Tag, daß es immer mehr zu uns komme. Dieses Reich ist das Ziel aller seiner Wege; denn er hat nur die Welt gewollt und geschaffen, weil er das Reich der Seligkeit gewollt. Das stammt nicht von der Erde. Es ist nicht mit irdischen Mitteln begründet; seine Gründe liegen im Ratschluß ewiger Liebe, und seine Macht ist Wort und heiliger Geist. Dieses Reich des Geistes und des Friedens schwebt über allen irdischen Reichen, und wenn einst die Welt zu Ende geht, wird die Zeit dieses Gottesreiches erst recht kommen.

Jetzt aber, das beten wir, soll es kommen zu allen Völkern, zu all‘ den 800 Millionen Heiden, Muhamedanern und Juden. Hand auf’s Herz, Du hast schon manches Vaterunser in Deinem Leben gebetet, hast Du bei den Worten: „zu uns komme Dein Reich“ wirklich an all‘ die Millionen gedacht, die nichts von Gott und einem Heiland wissen? Man hat ausgerechnet, daß an jedem Tag auf Erden durchschnittlich 100 000 Menschen sterben. Weißt Du schon, daß noch immer über 75 000 darunter sind, die nichts wissen von einem himmlischen Vater, nichts wissen von einem Retter und Erlöser, nichts wissen von Ewigkeit und Gericht? Willst Du nicht von heute an mit an alle diese Armen fürbittend gedenken?

Aber auch zu uns soll sein Reich kommen, in unser Haus, in unser Herz und Volk. Wisse, Dein Haus soll ein rechtes Gottesreich werden, und ein jeder, der bei Euch eintritt, soll etwas spüren von dem Geist des Friedens, der Wahrheit und der Liebe, der da weht. Darum Hausvater, Hausmutter, über aller Arbeit und aller Marthasorge vergeßt die Bitte nicht: „zu uns komme Dein Reich.“ Und auch Dein Herz soll ein Reich Gottes werden, da will er allein wohnen und thronen; darum muß alles Sorgen und Grämen, aller Eigenwille, alle Weltlust hinaus. Falte also fleißig Deine Hände und sprich: „zu uns komme Dein Reich“. Ja, unser ganzes, liebes, deutsches Volk und Reich soll auch je mehr und mehr ein „Reich Gottes“ werden. Tut das nicht Not?

Jetzt soviel Unzufriedenheit und Verbitterung, wohin man blickt; jetzt soviel Unglaube und Aberglaube, wohin man kommt; jetzt soviel Abfall vom lebendigen Gott hier und soviel Bosheit und Gleichgiltigkeit da, ist es ein Wunder, daß es an Segen und Frieden fehlt? Laßt uns mit doppelter Inbrunst täglich flehen: „zu uns komme Dein Reich“ – Und wo kommt sein Reich? Dort, wo sein Wille geschieht.

(Fortsetzung folgt.)

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 46 – Sonntag, den 27. November 1927, S. 1