Christian Lehmann. Historischer Schauplatz des Obererzgebirges (6)

Erzgebirgische Heimatblätter. Nr. 47 – Sonntag, den 18. November 1928. S. 2.

Daß die Erde sehr spröde, mit vielen mineralischen Säften und Sand angefüllt, auch ungeschlacht sei, erscheint vieler Orten an den Wurzelgewächsen, Meerrettich oder Kroen, Möhren, Rettichen usw., welche alle knötzlich, ungestalt und vielschwänzig wachsen, auch einen viel herberen Geschmack haben als im geschlachten Boden. Jedoch läßt sich das Land meistenteils durch Kunst und Fleiß also zurichten, daß auch zarte und fremde Gewächse mit Verwunderung fortkommen, wie davon anderswo soll gemeldet werden. Es ist auch dieses zu merken, daß die Fruchtbarkeit des Bodens sich an vielen Orten, nach dem das Lager desselben ist, ändert. Die Orte, die auf Höhen und Blößen und an Gebirgen liegen, da die Winde ihre freie Fahrt haben, sich auch wohl stoßen, und des Sommers den Regen und Nebel zusammentreiben, im Winter aber den Schnee aufeinandersetzen und solch Gestöber treiben, daß oft weder Mensch noch Vieh fortkommen kann, sind gemeiniglich so fruchtbar nicht als die, welche in der Sänfte, Geduld und Tälern, zwischen den Bergen, in der Aue, an Wassern und Brunnen liegen, da sie Wind und Wetter nicht so sehr treffen, hingegen die an Bergen und Felsen zurückprallenden Sonnenstrahlen mehr erwärmen, welche gemeiniglich des Sommers Saat- und Erntezeit um etliche Wochen eher genießen als die vorgedachten. Wenn man um Schwarzenberg, Sachsenfeld, Lauter und Aue schon mit Saat und Ernte fertig ist, müssen Scheibenberg, Annenberg, Wiesenthal und andere noch etliche Wochen das Nachsehen haben, dürfen auch wegen der rauhen Winde und langsam abschiednehmenden und früh wiederkommenden Fröste ihrem Boden so viel nicht zutrauen, als wohl in den benachbarten Orten geschieht, obgleich sie nur ein oder zwei Meilen voneinander liegen.

Auch ist hierbei nichts zu vergessen, daß man hin und wieder in diesem Gebirge Merkmale der grausamen Sintflut spürt, nicht nur über der Erde, da man an den hohen Gebirgen merkt, wie die Felsen abgestürzt und in viele tausend schreckliche und häusergroße Stücke zerteilt und hin und her verstreut übereinanderliegen, hingegen aber, wo die grausame Flut hergewütet und angestoßen, Stein, Erde, Schlamm, Sand und Land angeschlemmt und aufeinandergesetzt und damit gemacht, daß Menschen und Vieh gemächlicher auf die Höhe steigen können, sondern es wissen auch die Bergleute unter der Erde, und wenn sie durch die Dammerde einschlagen, gar wohl zu unterscheiden, wie weit die von der Sintflut angeschwemmte Erde und die von ihr zusammengeschobenen Wacken und Steine gehen, ehe sie auf den Erdboden kommen, wie er vor der Sintflut mag gewesen sein. Dahin ziehen sie auch, daß man unter der Erde bisweilen ganze Bäume, Tiere, Fische oder dergleichen etwas findet, das in Stein verwandelt worden, nachdem es durch die Flut überschwemmt, unter solcher Last in eine solche Härte zusammengepreßt und endlich gar zu Stein geworden.

Kapitel 6.
Von den Zwergen und ihren Felsenlöchern im Gebirge.

Der gemeine Mann trägt sich mit einer fabelhaften Tradition, als wenn vor alten Zeiten, ehe dieses Obererzgebirge angebaut worden, auf dem Waldgebirge und in dessen Felsenlöchern Zwerge gewohnt hätten, welche aber durch Aufrichtung der Pochwerke, der Eisenhämmer und des Klippelwerks sollten sein verjagt worden. 1605 bekam Mag. Laurentius Schwabe, Pfarrer in Scheibenberg, etliche Gäste von Annenberg; dessen Eheweib führt etliche Matronen, ihre Gäste und Freundinnen, über und um den Scheibenberg, ihnen dessen Gegend zu zeigen, sie treffen aber ein Zwergloch an darein drei Stufen gingen, und lag darinnen ein glänzender Klumpen wie glühendes Gold; davor erschraken sie, gingen eilends herein, führen den Pfarrer samt den Gästen hinaus, allein sie konnten das Loch nicht wiederfinden. 1648 starb Hans Haß, ein alter, ehrlicher Bürger daselbst, der mir auf seinem Siechbette seine Armut im Anfang seines Ehestandes und zugleich auch dieses erzählte: „Als Wolf Köhler seine Tochter Elisabeth weggab, wären wir jungen Eheleute gern mit zu Ehren gezogen, aber wir hatten kein Geschenk. Wir gingen am Berge grasen und wurden eines Lochs gewahr, das gleichsam mit einer eichenen Tür verschlossen war, und gingen etliche Stufen hinein. Da wir Wunders halber hineinsehen, liegt ein Fuchs auf einer Stufe. Wir erschraken darüber, gleichwohl weil sich der Fuchs nicht rührte, gaben wir ihm einen Stoß und befanden, daß er tot war; ich verkaufte den abgestreiften Balg, wir gingen auf die Hochzeit und waren lustig, aber nach selbiger Zeit habe ich das Loch nicht wiederfinden können, wie fleißig ich auch gesucht habe.”

Wir wollen über dieses alte Fabelwerk unsere Meinung auch eröffnen. Daß einige Völker kleiner und abenteuerlicher Figur in der Welt bevor gegen den Nordpol unter den Samojeden und Grönländern sind, läßt sich wider die Erfahrung nicht leugnen. Ich setze auch außer Zweifel, daß die Unfruchtbarkeit eines wilden und kalten Ortes die wachstümliche Kraft ziemlich schwächen, dahingegen der Einfluß eines gütigen und warmen Himmels die Samenkraft vermehrt. Es ist auch aus der Erfahrung bekannt, daß der Genuß des mineralischen und kiesigen Bergwassers Kröpfe und Kontrakturen der Glieder, sonderlich der im Gebirge grassierende Skorbut der Samenkraft und Stärke der Natur sehr schade, daß vor wenig Jahren ein gebirgischer Arzt vermeinte, wofern die Scharbockskrankheit weiter und stärker einreißen sollte, würde man mehr schwache und zwergförmige als große und starke Leute im Gebirge haben. So ist es der Wahrheit ganz gemäß, daß sich wohl ehemals zur Pest- und Kriegszeit die Leute haufenweise ins Felsen- und Waldgebirge salviert und daselbst durch langes Verharren eingewohnt. So finden sich denn ausgehauene Höhlen und unterirdische Schlupflöcher in den Bergen, davon man sagt, daß darinnen die Zwerge sich aufgehalten.

Allein, ich halte die Zwergtradition für ein Altweibermärlein. Denn wer hat jemals dergleichen Bergzwerge im Obererzgebirge gesehen, oder, da er einige abenteuerliche Männchen oder Weibchen angetroffen, ihren Zustand umständlich erforscht? Das Gebirge ist nun über zweihundert Jahre mit so vielen Schürfen, Stollen und Schächten erschrotten, ersunken und durchfahren, darinnen man niemals einige Zwerglein, wohl aber Bergmännchen, Bergmönche, Kobolde und andere Teufelslarven angetroffen. Es arbeiten zur Sommerszeit etliche tausend Feld-, Berg- und Waldarbeiter auf dem Gebirge, Handel und Wandel geht fast Tag und Nacht im Schwange, daß die Straßen über Wald und Feld, Berg und Tal selten leer liegen; so hat man durch Abziehung und Bereitung, sonderlich aber durch die Hauptjagden alle Berge und Hügel, Felsen und Höhlen, Moräste und Gehänge entdeckt, die Bären- und Hirschlager, die Wolfs- und Luchshöhlen, die Fuchs- und Dachslöcher durchstöbert und außer einigen wundersamen Kreaturen weder Zwerge noch Zwerginnen gefunden. Wo wären denn diese vermeinten alten Bergsassen hingekommen? Und weil sie hier im Gebirge gewohnt haben sollen, möchte einer wohl fragen: was es für eine Nation, ob es Böhmen oder Wenden oder Deutsche gewesen? Oder ob sie wie die Schwämme und Pfifferlinge selbst aus dem Gebirge gewachsen seien? Ja, wie haben sich diese Zwerge vermehren und fortpflanzen können? Man findet ja wohl viele und mancherlei Zwerge an fürstlichen Häfen, und zwar sowohl weiblichen als männlichen Geschlechts, allein die vorsichtige Natur hat solchen unförmlichen Menschlein die Kraft der Vermehrung entzogen. So weiß ich keine Ursache, warum sich diese Zwergkolonie nur allein auf diesem Waldkranz und nicht vielmehr auf dem Schwarzwald oder Riesengebirge oder dem Fichtelberg niedergelassen habe. Haben sie wegen der Hämmer, Krachen und Klippelwerk nicht bleiben mögen, wie ist es dann möglich gewesen, so viele schreckliche Einfälle und Durchzüge der Böhmen, Hussiten und Hunnen auszustehen? Die kleinen Närrchen hätten lieber bleiben und die gebirgischen Manufakturen mit Zwirn- und Seidenwinden befördern, den Bergleuten auf verborgenen Klüften und Gängen anweisen, den Waldarbeitern und Irrenden die Flügelwege und Schnepfensteige über Berg und Tag zeigen können. Aber genug von dem Fabelwerk, welches wir mit den gebirgischen Holzmänneln, Holzweibeln, Klagemüttern, Feuerschwalben, Jüdeln (Gütteln oder Gitteln), Erdhennen, Wassernixen, Bergkobolden und anderen abenteuerlichen Spukereien und Blendungen des leidigen Satans in eine Rolle und Prädikat setzen.

(Fortsetzung folgt.)