Bilder von einer Wanderfahrt durch das Erzgebirge vor 80 Jahren (2)

(Fortsetzung unseres Artikels in Nr. 40 der „Erzgebirgischen Heimatblätter“.)

Nachdem die Pöhla den Lux- und Friedrichsbach aufgenommen hat, tritt sie hinaus in ein breites, lachendes und mit Wiesen und Feldern bedecktes Thal – das erzgebirgische Chamouny. Es ist das einzige Längen- oder Hauptthal des Obergebirges, welches sich vom Fichtelberg herab bis nach Zwickau und mithin von Osten nach Westen zieht und alle Wässer der Transversalthäler, als die Pöhla, das Schwarzwasser, Mulde und dergl., aufnimmt und sie zu folgen nöthigt. Der breite, fächerartig entfaltete Schatz von Feldern des mit ungefähr 2200 Menschen bevölkerten Dorfes Raschau und die an seinen Flanken wie bunte Wäsche herumgelegte Länderei des Dorfes Grünstädtel (sonst Dorfstädtel genannt) liefern eins der lieblichsten Bilder des Erzgebirges. Die Strohdächer der Begüterten beurkunden eine gewisse bäuerliche Wohlhabenheit, die sich durch Berechtigung zu städtischer Gewerblichkeit im Dorfe Raschau unterhält, indem die Erzeugnisse des Areals rings umher einen sichern und schnellen Absatz finden. Seit etlichen zwanzig Jahren ist ein Bad hier, etabliert von einem gewissen Dr. Karch aus Annaberg; allein, wenn schon das Wasser einige Grade wärmer ist, als die den Ort durchwässernde Mittweida, so dürfte man doch schwerlich mehr Wirkungen darin finden, als die der Reinigung, was bekanntlich auch heilsam für den Körper ist.

Das hiesige Vitriol- und Arsenikwerk Allerheiligen hat in der neuern Zeit eine größere Bedeutung erhalten und wird in den Händen des gegenwärtigen Besitzers ein besseres Gedeihen finden.

In dem Thale aufwärts dehnen sich die Dörfer Mittweide, Markersbach und Obermittweider-Hammer immer so, daß sie sich die Hände reichen; doch sind sie, weil rechts und links die Gneus- und Glimmerschieferberge näher zusammenrücken, in eine engere Thalschlucht eingebettet, die man in der Gegend „den Grund“ zu nennen pflegt. Ueberall gewerbliche Lebendigkeit, hauptsächlich Nagel- und Plattenschmiede, und ziemlich mühsamer, aber doch, wegen des milden Klimas, noch lohnender Feldbau. Von Markersbach gegen Morgen hebt sich das Gebirge stufenweis über Unter- und Oberscheibe nach Scheibenberg, dessen geradlinige Gassen 165 Häuser bilden. Es hat 790 Einwohner, die sich hauptsächlich mit Fertigung von Band, Borden, Blonden, Fransen, auch Spitzenklöppeln beschäftigen. Eine vor etwa 17 Jahren angelegte Pappfigurenfabrik scheint sich keiner rentirenden Lebendigkeit zu erfreuen. Dieses Städtchen, in dessen Nähe ein gewisser Kaspar Klinger im Jahre 1515 reiche Silbererze erschürft hatte, wurde 1525 von Ernst von Schönburg, welcher diese Gegend bis Oberwiesenthal hinauf mit seiner obern Grafschaft Hartenstein bis zum Jahre 1559, wo solche der Kurfürst August an sich kaufte, besaß, am westlichen Fuße des Scheiben- oder auch Orgelberges zu Gunsten der Bergleute angelegt. Der Bergbau hat jedoch in der spätern Zeit seine Segnungen vertagt und die Gegenwart das Absehen auf solche materielle Interessen gerichtet, die leichter zu beurtheilen und ohne Anlagecapital schneller erreichbar sind, oder zu sein scheinen. Und so haben alle menschliche Unternehmungen in ungeregelten Pausen ihr Steigen und Fallen.

Der Scheibenberg, dem gleichnamigen Städtchen gegen Südost gelegen, erhebt sich 2443 pariser Fuß über die Nordsee und seine schwarze Basaltmasse gleicht, aus der Ferne gesehen, dem Hügel eines Riesengrabes, wie der hinter ihm nach Ost und Süd gelegene Pielberg und Bärenstein, die mit ihm ein rechtschenkliges Dreieck bilden, deren Winkel eine Meile von einander entfernt liegen. Dieser Scheibenberg ist es auch, welchen der berühmte Bergrath Werner in Freiberg als Beweismittel für seine Neptunität aufstellte und dadurch einen interessanten Streit mit den Plutonisten hervorrief.

An seinem Fuße gewinnt man Thon (Wackenthon), groben Sand, aus Quarzgerölle bestehend, und Streusand, welcher ein Gegenstand des Handels ist.

Wunderlieblich ist aber die Um- und Fernsicht auf dem langgedehnten Plateau des Berges selbst. Gegen Osten, tief im Thale, durch welches die jugendliche Zschopau fließt, haben sich die 156 Häuser des Städtchens Schlettau mit einer Mauer umgürtet, hinter welcher sich im Hussitenkriege 1428 die Einwohner tapfer, aber vergeblich vertheidigten. In dem dortigen Schlosse, außerhalb der Ringmauer befindet sich gegenwärtig die Looßische und Naumann’sche Spinnfabrik, deren Besitzer sich zugleich in der neueren Zeit als Baumzüchter empfohlen und eigentlich den Anfang gemacht haben, das kahle Städtchen mit Laubgrün zu umhüllen. Schlettau hat für seine Häuserzahl ungewöhnlich große Feldflächen (2800 Acker á zwei Scheffel), die der Einwohnerschaft, neben dem Posamentir-, Spitzen- und Blondengewerbe, hauptsächlich Nahrung und Unterhalt gewähren. Man sagt von den Schlettauern sprüchwörtlich: „wenn die Bauern auf dem Felde sind, ist kein Bürger zu Hause.“

Gegen Mitternacht dehnt sich das Städtchen Elterlein mit 194 meist hübschen Häusern und 1888 Einwohnern an dem südöstlichen Abhange des Schatzensteines hinauf, damit es von da aus seinen Reichthum an Feldern, Wiesen und Torfbrüchen übersehen kann; denn auch hier ist Feldbau und Viehzucht, wie in Schlettau, die Hauptnahrung, und wer diese nicht hat, ist immer mehr oder minder, bei allem Fleiße und aller Sparsamkeit, in seinem täglichen Unterhalte durch Mangel bedroht, wie dies die Schaar von Schuhmachern und Nagelschmieden lehrt. Eine Menge Roßhändler hausen ebenfalls im Orte, und wer viel Geld hat, kann immerhin wohlfeile Thiere bekommen.

Vor Jahrhunderten breitete sich eine dichte Waldung von hier aus bis Wiesenthal an der böhmischen Grenze. Reisenden war in der Nähe, wo jetzt Elterlein liegt, ein Altärlein für die Andacht aufgerichtet, um welches sich bald einige Häuserlein erhoben, die Schutz und Nahrung gewährten. Sie hießen: „die Häuser am Altärlein“ und gaben Anlaß für die allmähliche Erbauung des Städtchens, welches in seinem Rathssiegel ein Altärlein mit 2 Kerzen bis zur Stunde führt und eigentlich Altärlein, statt Elterlein heißen sollte.

Noch werfen wir einen Blick von unserm Scheibenberge aus gegen Süden; ein langes Dorf, Crottendorf genannt, zieht sich mit seinen 294 Gütern und Häusern, welche 2530 Menschen bewohnen, über eine Stunde lang herab, nach dem umbuschten und in Laubgrün gehüllten Walthersdorf. Beide haben weit ausgedehnte Fluren für ihren bedeutenden Flachsbau, der leider! meist roh in’s Ausland verführt wird, weil Niemand spinnen kann und mag, so lange das Spitzenklöppeln einige Pfennige für den Tag mehr einbringt. Nicht weit entfernt vom obern Theile Crottendorfs liegt der sogenannte fiscalische Marmorbruch, der mehr für eine großartige Kalkbrennerei, als für die Bildhauerkunst benutzt wird, weil ein dortiger Marmorarbeiter sich mehr andern Beschäftigungsarten zugewendet hatte und dabei seine eigene Kunst vernachlässigte. Wir verlassen die Berghöhe, auf welcher kein Strauchholz die Aussicht sörte, indem wir dem fernen Greifenstein im Norden, welcher seine wulstigen Granitmassen noch über die ihn umgebenden Fichten erhebt, so wie dem entlegenen Auersberg im Westen und dem Fichtelberg im Süden einige freundliche Blicke zuwerfen, und treten bald eine zweite Wanderung an, ehe die Sonne lange Schatten zieht.

(Fortsetzung folgt.)

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 41 – Sonntag, den 10. Oktober 1926, S. 2