Vom Silberbaum zur Braunelle (2)

Guido Wolf Günther

(Schluß.)

Am Spielmann.

(Zwischen Crottendorf und Siebensäure.)

Wild rüttelt der böhmische Wind an den Fenstern, und enger rücken die Männer zusammen, die um den großen Stammtisch sitzen, der im Crottendorfer „Erbgericht“ gleich neben dem Ofen in der ecke steht. Ist doch ein merkwürdiges Jahr, dieses 1846 nach unseres Heilandes Geburt! Hungersnot und Mißwachs und schwüle Stimmung umher im Reich, als wollten große Dinge sich vorbereiten. Dazu ein seltsam Wetter, wie wenn alle Jahreszeiten miteinander Versteck spielen wollten. Da kommt des schwarzlockigen Schlesiers Mundwerk gerade zurecht, wenn er mit heiserer Stimme den Männern erzählt vom Elend der Weberdörfer seiner Heimat. Atemlos schier lauschen die Gebirgler dem fremden Gesellen, der vor wenig Tagen als Vagabund zuwanderte und nun bei Feldarbeit und Holzspalten ein leidlich Auskommen fand. Wie die schwarzen Augen funkeln, wie aufgeregt der fremde Mensch Brocken seiner Muttersprache kauderwelscht! Muß doch eine wilde Zeit gewesen sein, der Weberaufstand dahinten, gleich bei den Polen, und erschreckt zucken die Männer zusammen, als der Heimatlose mit geballten Fäusten sich vor die Stirn schlägt und wie ein Tier herausheult, als er das Einrücken der Soldaten schildert und den gräßlichen Augenblick, da Vater und Mutter in der Garbe preußischer Gewehrkugeln entseelt zusammenstürzen. –

Und Stunden später steht der Vagabund hinter der Hecke mit der Magd seines Brotherrn; heiß sind beide geworden vom tollen Tanz, in dem der Schwarzlockige sein Leid, seinen Haß betäuben wollte. Noch lockt die Fiedel, noch flöten die Klarinetten betörend durch offene Fenster. Ungestümer wird des jungen Menschen Werben, wilder kreist das Blut in seinen Adern, doch das junge Weib weist immer wieder sein Drängen zurück. Zu sehr hängt das eitle Mädel an buntem Tand, als daß es einen Schatz haben möchte, der mit leeren Händen kommt. Abwehr und Leidenschaft aber bringen den Vagabunden von Sinnen und plötzlich zuckt ein Gedanke durch sein Hirn, aus Verblendung geboren, rauschbetört. „Und wenn ich kein buntes Band und keine Spange bringe, sondern – Geld?“ Lauernd klingt die heiser geflüsterte Frage, und hellauf klingt des jungen Weibes Lachen: „Du – und Geld? Seit wann seid Ihr Vagabunden Schatzgräber?“ –

Still zieht der „Geigenfried“ seines Weges. Noch ein paar Jährchen Tanzbodenmusik und sein Häusel drüben überm Berg ist schuldenfrei, und er kann auch des Herrgotts Sonntage feiern wie andere, statt als Spielmann in staubigdumpfen Sälen zum Tanz aufspielen zu müssen. Muß das schön sein! Und „Geigenfried“ zieht den Beutel u. läßt die Münzen blitzen im Mondlicht –. Da brechen Aeste, ein Schatten huscht gespenstisch, ein Stockschlag knirscht, Wehlaut klagt in die Nacht, – am Wegrand liegt „Geigenfried“, der Spielmann, und ruht aus, für immer, und der Mond scheint ihm ins blasse Gesicht. Der Mörder aber birgt in zitternden Händen das Geld, das ihm Rausch und Liebe erzwingen soll. –

Dann steht der Schwarzlockige vor der Dirne, die mit seiner Leidenschaft spielte, wie mit ihren bunten Bändern. Wie ein Dämon taucht er vor ihr auf, als sie gerade die Tür ins Schloß ziehen will. Ihr graut vor diesem Blick, in dem alle Feuer einer aufgewühlten Seele glosen, und hastig läßt sie die schweren Riegel einschnappen. – Ausgesperrt! Allein mit einer Hölle brennender Leidenschaften, allein mit tausend Teufeln nagender Reue! Umsonst alles Betteln, alle hündische Erdiedrigung, – spöttisch höhnt das Lachen der Dirne an des Schwarzlockigen Ohr: „Vagabundenschatz? Das wäre schon was Rechtes!“ – Da schleudert der Unselige den fluchbelasteten Beutel durch das Fenster, daß Glasscheiben und Münzen ein schaurig Klingelspiel anheben und das Mädel drin mit erschreckten Augen des alten Spielmanns Eigentum erkennen muß. Ein verzweifelter Hilferuf gellt in die Finsternis hinein, – umsonst, das Dunkel hat den Davonstürmenden schon verschlungen und ein junges Weib sieht plötzlich dem Tier im Menschen in die glühenden Augen. –

Bei den letzten Häusern der unteren Viehtrift vorbei hastet der Vagabund, immer bergwärts, wo sein Opfer im Mondenschein bleichen Gesichtes ihn anklagt. Von tausend Teufeln gejagt, von abertausend Stimmen verfolgt, irrt der Fremde um sein Opfer, altem, unerklärlichen Zwange folgend, bis ihn das Rascheln dürrer Zweige in sinnlose Flucht schreckt. – Da wankt vor ihm das Riedgras auf moorigem Boden der „Siebensäure“, da gurrt der dumpfe Ton einer aufgeschreckten Eule, die mit gespenstischem Flug seine fieberheißen Wangen streift. Da ist dem Unglücklichen, als greife des Spielmanns Faust nach ihm und in entsetzenswirrer Flucht gerät der Vagabund in weiches, leise glucksendes Moor, das unter Sonnentau und Binsenköpfchen barmherzig seinen gehetzten Leib begräbt. „Der Uebel größtes aber ist die Schuld“ —

Am Wegkreuz auf dem „Spielmann“ aber steht nur noch ein schlichter Stein: „Raubmord 1846!“ –

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 41 – Sonntag, den 10. Oktober 1926, S. 3