Aus der geologischen Vergangenheit des Erzgebirges.

Frühlings ist’s, Wanderzeit! Lange genug hat der Winter mit seinen Nachwehen, mit Kälte, Sturm und Regen uns festgehalten im Bann der Häuser. Endlich, endlich liegt lachende Sonne über den Bergen und Tälern unserer Heimat, lockt und zieht uns hinaus aus der Enge des Alltags zu freier, fröhlicher Fahrt. Freudig folgen wir ihrem Ruf, streifen durch die grünenden Täler mit ihren glitzernden und rauschenden Bächen, steigen hinauf zu den waldumrauschten Bergen und freuen uns der herrlichen Landschaft, die sich rings umher ausbreitet. Nähern wir uns dem Kamm des Erzgebirges vom Norden her, so führt uns der Weg durch verhältnismäßig flache Täler, die von sanft gerundeten Hängen begrenzt und nur da und dort von schroffen Gipfeln überragt werden, hinauf zur Scheitellinie mit den höchsten Erhebungen. Ganz anders bietet sich dasselbe Erzgebirge unseren Blicken dar, wenn wir es von Süden, von den Höhen des böhmischen Mittelgebirges aus, betrachtet. Dann steht es als schroffe Gebirgsmauer vor uns und erinnert mit seinem Steilabfall nahezu an die Berge der Voralpen. Welchen Einflüssen verdankt es diese Gestalt? Wie haben sich seine Berge und Täler geformt? Diese Fragen tauchen wohl in dem einen oder anderen Wanderer auf. Sie wollen die folgenden Zeilen zu beantworten suchen, indem sie in großen Zügen die geologische Entwicklung des Erzgebirges, vor allem aber unserer engeren Heimat, vor dem Auge des Lesers entrollen. — Fast wie ein Märchen klingt es, wenn uns der Geolog sagt, daß unser Gebirge vor längst dahingeschwundenen Zeiten einem großen Gebirgssystem angehörte, dessen Gipfel trotzig und kühn zum Himmel ragten. Und doch ist’s so; denn betrachten wir das abgebildete Profil, das einen Schnitt durch unsere Heimat von den Greifensteinen bei Geyer im Nordwesten nach dem Haßberg bei Preßnitz im Südosten darstellt, so erkennen wir deutlich die gewaltige Gneiskuppel, auf der Annaberg und westlich der Sehma Buchholz erbaut sind. Diese sogenannte Annaberger Gneiskuppel verdankt ebenso, wie die übrigen des Erzgebirges ihre Entstehung einer gewaltigen Gebirgsbildung, die im erdgeschichtlichen Altertum die ursprünglich flach gelagerte Gneistafel samt den sie überbrückenden Glimmer- und Tonschiefern unter dem Einfluß eines seitlichen Druckes emporstauchte und so die erste Anlage unseres heutigen Erzgebirges schuf. Dieser Faltungsprozeß, der sich über einen längeren Zeitraum ausdehnte, beschränkte sich nicht nur auf unsere Heimat, sondern ergriff weite Gebiete Mitteleuropas. Ihm verdanken die weitaus meisten deutschen Mittelgebirge ihre erste Anlage, und man fast sie daher unter dem Namen „variskisches” Gebirgssystem zusammen. Naturgemäß verlief dieser Vorgang nicht ganz friedlich ab, vielmehr entstanden in dem mehr oder minder starren Gestein Hohlräume, Klüfte und Spalten. In diese drang nach Beendigung der Faltung glutflüssiges Gesteinsmaterial ein, das im Lauf der Zeit zu Granit erstarrte und die angrenzenden Gneise, Glimmer- und Tonschiefer mehr oder weniger veränderte. Diesem Ereignis, dessen Spuren wir in der nächsten Umgebung vor allem an den Greifensteinen und der Binge bei Geyer, ferner am Bahneinschnitt unmittelbar vor dem Bahnhof Wiesenbad und oberhalb Buchholz auf der Höhe der alten Schlettauer Straße in Form sogenannter Granitblöcke feststellen können, verdankt unsere Heimat den größten Teil seiner reichen Erz- und Mineralschätze. Wie bereits erwähnt, fällt dieser gebirgsbildende Prozeß in das geologische Altertum und war im großen und ganzen gegen Mitte des Karbons, d. h. der Zeit der Steinkohlenbildung, beendet.

Demnach ist unser Erzgebirge seiner ersten Anlage nach erheblich älter als die heutigen Hochgebirge, dürfte aber kurz nach seiner Faltung einen ähnlichen Anblick wie diese geboten haben. Bald setzten indessen die ausgleichenden Einflüsse von Wind und Wetter ein. Luft und Wasser, Hitze und Frost trugen die ragenden Gipfel und Kämme ab. Flüsse und Bäche nagten an ihrem Felsgerät, spülten den schützenden Verwitterungsschutt fort und lagerten ihn in den Becken und Mulden am Nordrand des Gebirges ab. Verwitterung und fließendes Wasser ebneten das Hochgebirge zu einer welligen, von flachen Tälern durchzogenen Hochfläche, einer sogenannten Rumpffläche, ein, die sich nach Süden zu sanft ansteigend bis nach Böhmen hinein erstreckte. In diesem Zustand verharrte unser Gebiet in der Hauptsache unverändert während der folgenden geologischen Perioden, Zeiträumen, die jenseits unseres Vorstellungsvermögens liegen. Nur im Verlauf der das erdgeschichtliche Mittelalter abschließenden Kreidezeit trat insofern eine Änderung ein, als die tiefer liegenden Teile am Ostrand dieser Tafel vom Meer überflutet wurden.

Zu Beginn der geologischen Neuzeit, im Tertiär, erlitt die Gesteinskruste unseres Planeten erneut gewaltige Umwälzungen, die man in ihrer Gesamtheit als die „alpine” Faltung bezeichnet, und die zur Entstehung unserer heutigen Hochgebirge führte. Dieser Vorgang zog auch unser Gebiet in Mitleidenschaft und verlieh der oben geschilderten Rumpffläche wiederum ausgesprochenere Gebirgsformen, diesmal allerdings nicht durch Aufwölbung der Gesteinsschichten, sondern durch Einbruch des Schichtgewölbes. Durch die Gebirgsbildung im Süden Europas entstanden Spannungen in der Gesteinskruste, so daß diese in einzelne Schollen zerriß. Im heutigen Erzgebirge barst das Gneisgewölbe etwas südlich der jetzigen Kammlinie auseinander. Der Südflügel der Rumpffläche sank in die Tiefe, während der stehenbleibende nördliche Teil derselben an seinem Südrand etwas empor gepreßt und auf diese Weise zum südlichen Steilabfall des Erzgebirges wurde. Die durchschnittliche relative Höhe dieser Steilstufe über dem Egertal beläuft sich auf rund 600 m, ist also recht ansehnlich. Wir dürfen jedoch keineswegs annehmen, daß dieser Bruch plötzlich, gewissermaßen über Nacht erfolgte, vielmehr fand er allmählich statt. Ja der abgesunkene Südflügel der Rumpffläche dürfte auch heute noch nicht endgültig zur Ruhe gekommen sein, wie dies gelegentliche Erdstöße im Vogtland beweisen.

Den bisher aus Süden kommenden Gewässern legte sich der neugebildete Riesenwall als unüberwindliche Schranke in den Weg und zwang sie, sich eine neue Abflußrichtung zu suchen. Diese tritt im heutigen Landschaftsbild in den Tälern der Eger, Biela und Elbe in Erscheinung. Was die Wasseradern des Nordflügels des Erzgebirges im eigentlichen Sinn, anlangt, so büßten diese durch die geschilderten Veränderungen der Oberflächenformen zwar an Wasserreichtum ein, indessen wurde dieser Verlust durch das größere Gefäll ausgeglichen. Sie konnten infolgedessen nicht nur die über dem anstehenden Gestein liegende und dieses schützende Schuttdecke entfernen, sondern griffen auch die den Gneis überlagernden Glimmer- und Tonschiefer an und legten auf weite Strecken hin den Gneiskern des Erzgebirges frei. Ja sie nagten sich sogar noch durch dessen oberste Schichten hindurch und entblößten mancherorts die in den Gneis eingedrungenen Granitstöcke.

Genau wie nach der oben geschilderten variskischen Faltung trat auch nach der alpinen eine lebhafte vulkanische Tätigkeit in Erscheinung, deren Wirkungen wir längs des Egerbruches einmal im böhmischen Mittelgebirge, zum andern in den zahlreichen Basaltvorkommen des Erzgebirges vor Augen haben. Ihren Höhepunkt erreichte sie in der zweiten Hälfte des Tertiär, im Miozän der Geologie. Durch zahlreiche Eruptionsschlote wurden gewaltige Lavamassen zutage gefördert, die weite Strecken überfluteten und im Lauf der Zeit zu Basalt und Phonolith erstarrten. Einer der gewaltigsten, ja vielleicht der größte erzgebirgische Eruptionsschlot jener Zeit befand sich in der Gegend von Oberwiesenthal und Böhmisch-Wiesenthal. Trotz seines Durchmessers von reichlich 1 Klm. tritt dieser Basaltstock merkwürdigerweise im Landschaftsbild kaum noch hervor, vielmehr wird seine höchste Erhebung, der Zirolberg bei Böhmisch-Wiesenthal, beträchtlich von Keil- und Fichtelberg überragt. Und doch muß dieser Vulkan einst unsere engere Heimat beherrscht haben, denn es spricht manches für die Vermutung, daß die drei markantesten Berge unserer Gegend, der Pöhlberg, der Bärenstein und der Scheibenberg, in genetischem Zusammenhang mit ihm stehen. Von ihm aus ergossen sich mächtige Basaltströme über das umliegende Gebiet. Sie folgten vielfach alttertiären Flußläufen und legten sich deckenartig über die im Oligozän zusammengeschwemmten Schotter, Kiese und Sande, die damit vor der Abtragung geschützt wurden, sodaß sie heute an den drei genannten Bergen abgebaut werden können. Diese Lavaströme, die sich zungenförmig nach Norden hin erstreckten, riefen eine Teilung der ursprünglich einheitlichen Wasserläufe hervor, insofern sich die abfließenden Niederschläge zu beiden Seiten derselben Rinnen in das Gestein nagten, die sich nach und nach zu eng benachbarten Paralleltälern vertieften. Die Basaltströme selbst fielen in ihrer Hauptmasse der Verwitterung anheim. Nur wenige Reste blieben erhalten und geben heute durch ihre charakteristische trotzige Kofferform dem Landschaftsbild unserer Heimat das malerische Gepräge. Wahrscheinlich stellen Pöhlberg und Bärenstein die Reste einer derartigen Lavadecke dar, der Pöhla- und Sehmatal ihre Entstehung zu verdanken haben, während der Scheibenberg der einzige unmittelbar ins Auge fallende Zeuge eines anderen sein dürfte, der den Lauf der Zschopau von dem der Mittweida schied. Ähnlichen Verhältnissen begegnen wir in verkleinertem Maßstab am Haßberg bei Preßnitz und am Hirtstein bei Satzung, die ebenfalls Überreste miozäner Vulkane darstellen und als solche die Zeit besser überdauert haben als der Oberwiesenthaler Eruptionsschlot.

Mit dem Ausgang des Tertiär war der tektonische Aufbau des Erzgebirges, so wie wir ihn heute vor Augen haben, im großen und ganzen beendet. Im nächsten geologischen Zeitabschnitt, im Diluvium, mit dem wir auf die Schwelle der erdgeschichtlichen Gegenwart treten, und das durch die Eiszeit und das erste Auftreten des Menschen gekennzeichnet ist, fanden keine erheblichen Änderungen im inneren Bau unseres Gebietes statt, wohl aber gestaltete sich das äußere Profil des Erzgebirges unter der Wirkung der Verwitterung und des fließenden Wassers in seinen Einzelheiten aus. Vor allem gab die Eiszeit, die auch im Fichtel- und Keilberggebiet zu lokaler Firn- und Gletscherbildung führte, Anlaß zur Entstehung der Hochmoore, die weite Gebiete des Erzgebirgskammes bedecken. Es sei hier nur an das Hochmoor von Gottesgab erinnert.

Wind und Wasser, Wärme und Kälte meißelten weiter am Gestein, trugen Berge ab, glichen Höhenunterschiede aus, bald langsamer, bald rascher, je nach dem Gesteinsmaterial, an dem sie angriffen, und brachten nach und nach Geländeformen hervor, wie wir sie heute erblicken: flache, gerundete Hänge, sanft anschwellende Berge. Einzig und allein die schroffen Basaltklippen sind als trotzige Zeugen aus Urwelttagen stehen geblieben, bis auch sie dem Zahn der Zeit zum Opfer fallen.

L.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 25, Sonntag, den 17. Juni 1928, S. 1 – 3.