Aus Annabergs Vergangenheit (6)

Auszüge aus alten Aufzeichnungen über die Jahre 1793-1819.

VI. Teil.

Das Kriegsjahr 1813, in dem bekanntlich vom 16. bis 19. Oktober die Völkerschlacht bei Leipzig geschlagen wurde, brachte der Stadt Annaberg außerordentlich beschwerliche Einquartierungen. Unser Vorfahre berichtet: „Vom 22. August bis 31. Oktober 1813 hat die Stadt an wirklicher Einquartierung gehabt 19.233 Mann …“

„Nimmt man die hier durchgegangenen und Rasttag haltenden Corps zusammen, — so sind — über dreymal hunderttausend Mann hier durchgegangen.“ Gewaltig waren die Kriegslasten, die Annaberg zu tragen hatte. So verarmte die Stadt immer mehr. Eine furchtbare Teuerung steigerte die Not fast bis zur Verzweiflung. Wer weiß, in welche Lage Annaberg noch geräten wäre, obgleich die Verhältnisse schon schlimm genug waren, wenn nicht edle Wohltäter von Nah und Fern die Not gelindert hätten. Die Frau Bürgermeister Wende hatte sich an ihren Bruder Rentsch in London gewandt und ihm die Not der Stadt Annaberg mit beweglichen Worten geschildert. Daraufhin erhielt sie durch die Fürsprache ihres Bruders von einer Londoner Gesellschaft, insbesondere durch den Hofprediger Küger in London, am 6. Juni 1814 zur Verteilung an die Armen die stattliche Summe von 2026 Talern.

„— Bey den traurigen Aussichten für den Winter waren die — Handlungen: Hr. Eisenstuck mit 8000 Thl., Glumann mit 2000 Thl., Glöckner — mit 1500 Thl. und Gerhard mit 1000 Thl. Beyträgen einem großen patriotischen Unternehmen beygetreten, das während der Leipziger Michaelismesse die sämmtlichen erzgebirgischen Fabrikanten und Kaufleute — zu einem bedeutenden Getreide-Einkauf im Auslande begründet hatten. Zur Leipziger Neujahrsmesse 1817 trafen nun die angekauften Getreide-Vorräthe zu Schiffe in Meißen an. Sie wurden abgeholt, gemahlen und das daraus gebackene Brod hierauf an die Arbeiter jeder Fabrik und Handlung wie auch an noch sonstige Arme und Dürftige abgelassen, und 1 Brod mit 6 Gr. bezahlt.“

Sehr wohltätig zeigte sich auch der sogen. Leipziger Verein in Leipzig „auf Antrieb Hrn. Cammerrath Angers, als eines geborenen Annaberger –„. Ganz besonders zeichnete sich der hiesige Frauenverein unter ihrer Vorsteherin, der Frau Geh. Cammerrätin von Nostiz aus, der unermüdlich für die Armen sorgte.

Superintendent Lommatzsch, der Nachfolger des Sup. Bretschneider, — „bewirkte durch seine Verbindung, vorzüglich mit der Oberlausitz, — eine Unterstützung mit 180 Säcken oder 130 Schefl. Erdäpfel — und 165 Scheffel Getraide –.“

Damit erkrankte arme Leute unentgeltlich behandelt werden konnten, spendete die harmonische Gesellschaft der „Fünfzehner“ (1797 gegr.) einen ansehnlichen Betrag.

Auch unser in Frankreich stehendes Sächsisches Militär schickte zur Unterstützung der Nothleidenden reichliche Zusammenlagen, die — von Zeit zu Zeit an die Kreishauptmannschaft eingesandt wurden; deren erstere Einsendung betrug 2831 Thlr. 9 Gr. 4 Pf. –.“

Damit ist aber die Zahl der Wohltäter noch lange nicht erschöpft. Nur mit Bewunderung kann uns der barmherzige Sinn unserer Vorfahren erfüllen.

Endlich brachte die reichliche Ernte des Jahres 1817 Befreiung von der langen, schweren Not. Die wogenden Kornfelder stimmten die Gemüter hoffnungsfroh. „Als dann endlich die üppigen ährenreichen Felder ihrer Reife immer näher kamen, wo man von dem erbauten Getraide seinen Brodbedarf wieder zu bestreiten hoffen konnte, war die Freude um so allgemeiner, da es im May noch nicht das Ansehen gehabt hatte, daß auch dieses Jahr eine gesegnete Aernte geben würde. Denn Ausgangs May war nicht allein die Witterung noch sehr rauh, sondern es traten noch Schnee und Fröste ein. Darauf folgte aber eine so erwünschte Witterung, daß den 16. August (1817) der erste Aerntewagen unter vielen Feyerlichkeiten eingebracht werden konnte –.“ „Gegen 9 Uhr Morgens hatte sich eine sehr große Anzahl sowohl männlichen als weiblichen Geschlechts vor dem Buchhölzer Thor versammelt, um den mit Aufschriften und Guirlanden geschmückten Wagen von der Hüttenmühle herauf kommen zu sehen. — Als endlich vorgenannter Wagen, der einen wunderschönen Anblick gewährte, zum Vorschein kam, stellte sich die am Buchhölzer Thor aufgestellte Schützen-Compagnie in Reih‘ und Glied. Viele Honoratiores nebst den Herren Lehrern des Lyceums, beyde Diaconen und sehr viele Bürger befanden sich vor dem Tote –.“ Der Wagen, dem Feldbesitzer Brückner gehörig, war mit 6 Apfelschimmeln bespannt und von 2 berittenen Postillions begleitet. Hinter dem Wagen schritten 2 Viertelsmeister, in deren Mitte die Frau des Feldbesitzers Brückner, „die 2 von neuem Getraide gebackene Brode trug, wovon sie eines bey dem Rückzuge dem Herrn Superintendenten und das andere dem Hochedl. Rath überreichte.“ An der Spitze des langen Zuges, der den Festwagen einrahmte, schritt ein Postillon, dann folgte die Schützenkompagnie mit Musik, an die sich weißgekleidete Jungfrauen und Mädchen mit Kornähren und Sicheln schlossen. Die übrigen Teilnehmer übergehe ich, weil es zu weit führen würde. Unter dem Geläute der Glocken begab sich der Zug auf den oberen Kirchhof. Nach einer feierlichen Motette unter Leitung des Kantors Neubert und einem Chorgesange hielt Sup. Lommatzsch „von der niedern Mauer des Kirchhofs herab, wohin er sich nebst dem Hochedl. Rath, Hrn. Cantor und Schule — begeben hatte, — eine diesem Tage angemessene Rede.“ Darauf wurde der Wagen wieder an das Buchholzer Tor geleitet, wo der Kürschnermeister Johann Gottlieb Grund dem Superintendent und dem Rat folgendes Gedicht überreichte, dessen Anfangsvers und beiden Schlußverse ich mitteilen möchte:

„Gottlob, es kommt ein Wagen Korn!
Mit vielen Tausend Aehren,
Und jede ruft, als Hoffnungs Horn,
Gott will uns All‘ ernähren!
Wie wird nicht unser Herz erfreut,
In der betrübten theuern Zeit!
Gebt unserm Gott die Ehre!

Wahr ist es! Es hat dieses Jahr
Der Arme leiden müssen,
Da Theurung, ohne Nahrung war,
Mußt‘ Manches er vermissen.
Doch! Gott hat Tausende gelenkt,
Die Manchen Unterhalt geschenkt!
Gebt unserm Gott die Ehre!
Laßt uns die Drangsaal dieser Zeit
Im Leben nicht vergessen, –
Und jedesmal mit Dankbarkeit
Vom Segen Gottes essen.
Denn, das wird Gott den Herrn erfreun,
Wenn wir ihm kindlich dankbar seyn.
Gebt unserm Gott die Ehre!

(Fortsetzung folgt.)

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 26 – Sonntag, den 27. Juni 1926, S. 2