Aus dem Sagenborn des Erzgebirges.

Die weiße Frau im Pfarrgarten zu Meerane.

(Leopold, Chronik und Beschr. der Stadt Meerane, S. 252)

In alter Zeit lebte auf dem Schlosse zu Meerane ein Herzog, der von seiner Gemahlin keine Kinder bekam. Daher nahmen sie ein junges Mädchen, eine Gräfin, an Kindesstatt an. Als diese 17 Jahre alt war, starb des Herzogs Gattin. Sie ward bald vergessen und kurz darauf von dem Herzog jenes Mädchen zur zweiten Gemahlin erwählt, welche ihm in der Folge zwei Kinder gebar, einen Knaben und dein Mädchen. Auch der Vater starb, als jener acht, dieses zwei Jahre alt war, und die junge Witwe ließ sich bald darauf den Zutritt eines fremden, ihr nicht ganz ebenbürtigen Mannes gefallen. Als er nun während der Zeit seiner Bewerbungen einmal wieder abreiste, hatte er die Worte fallen lassen: es sei alles gut, wenn nur vier Augen nicht wären. Das verblendete Weib und unnatürliche Mutter deutete obige Worte so, daß ihr Liebhaber sie gern heiraten würde, wenn nur ihre zwei Kinder nicht wären. Und sofort war auch ihr Entschluß gefaßt. Die Wartefrau mußte mit den beiden Kindern in den nahen Wald, das Gottesholz, gehen, und ein gedungener Bösewicht alle drei hinmorden. Die Wartefrau fiel als erstes Opfer. Als der Knabe sie in ihrem Blute hinsinken sah, fiel er dem Mörder um den Hals und versprach, er wolle ihm fünf Rittergüter von seinen acht geben, wenn er ihn nur leben ließe. Doch auch ihm senkte der Schändliche den Dolch in die Brust. Das Mädchen hielt ihm zur Abwehr, wie zur Beschwichtigung, in jeder Hand eine Puppe entgegen, die sie mitgenommen hatte. Auch dies Kind wurde nicht geschont. Die Mutter ließ hierauf die drei Leichen heimlich in die Burg bringen, und nachdem sie ausgesprengt, alle drei seien schnell einer bösartigen Krankheit erlegen, in der Burgkirche beisetzen. Ihrem Liebhaber schrieb sie, das Hindernis ihres Ehebundes sei beseitigt und er solle nun kommen. Und er kam — aber mit strafendem Blick und dem Bedeuten, daß er sie nur habe prüfen wollen, ob bei ihr sinnliche Liebe über Mutterliebe siegen könne, und daß nun ein Ehebündnis mit ihm unmöglich sei. Jetzt überfiel die Unglückliche die entsetzlichste Reue und da sie meinte, daß ihre so große Schuld nur durch die schwerste Buße zu sühnen sei, ließ sie sich beide Knie mit Polstern umkleiden und trat nun in Begleitung ihrer Kammerfrau und in leichtem Gewande ihre Bußreise zu dem Papste nach Rom immer auf den Knien rutschend an. Auf der Hälfte des Weges starb ihre Begleiterin, sie selbst mußte allein weiter reisen. Als sie endlich an dem ihr bezeichneten Kloster in Rom angekommen war, war es nachts 12 Uhr; sie vermochte es nicht mehr, sich aufzurichten und an der Schelle zu ziehen, sank vor Erschöpfung nieder und wurde frühmorgens vor der noch ungeöffneten Pforte des Klosters von Vorübergehenden tot aufgefunden. Ihre Seele fand daher keine Ruhe, sondern schweift seitdem als weiße Frau in dem Rotengarten oder Raubgarten, dem jetzigen Pfarrgarten von Meerane, umher. In einem alten Buche über Meerane soll die Ermordung der beiden Kinder abgebildet sein mit den Unterschriften:

„Mein lieber H., laß mich leben,
Ich will Dir Neudeck und Nossen (?) geben,
Pleißenburg, die neue,
Es wird Dich nicht gereue.“ Und
„Mein lieber H., laß mich leben,
Ich will Dir meine Puppen geben.“

Eine Verstorbene verhilft ihrer Schwester zu ihrem Rechte.

(Lehmann, Hist. Schauplatz, S. 947.)

Im Jahre 1694 hatte sich im September in einem Bergstädtchen zugetragen, daß eines Fleischhackers Frau vier Wochen nach ihrem Begräbnis wiederkam. Sie hatte sonst den Nachruf eines frommen und eingezogenen Lebens und man sagte von ihr, daß sie sich zu ihren Lebzeiten unterschiedliche Male über das böse Leben beklagt habe, so ihr zweiter Mann mit Fluchen und Streiten nebst den Kindern treibe, und daß sie es nicht vertragen könne, sie müsse viel leiden, daß es kein Wunder wäre, sie ließe sich lebendig begraben. Als sie kurz darauf starb, hinterließ sie auch eine arme Schwester, welche bei dem Witwer allerhand Erbstücke suchte, aber nichts erhalten konnte. Ungeachtet nun diese Erbforderung gerichtlich beigelegt worden war, wollte sich die blutarme Schwester nicht so abweisen lassen und vergoß viel Tränen. Der Witwer lag nebst seinem Sohne krank in der Unterstube. Da kommt ein Gespenst zu Mitternacht in Gestalt der Verstorbenen und setzt sich vor sein Bette. Er erschrickt und fängt an zu beten: „Gott, der Vater, steh‘ uns bei!“ zu dreien malen, aber die gespenstische Frau wollte nicht weichen, der Kranke kann nicht fort und schwitzet gar sehr. Es schlägt 12 Uhr, da meint er, sie werde nun fortgehen, aber sie bleibet sitzen bis nach 2 Uhr. Da fängt er an: „Alle guten Geister loben den Herrn.“ Sie antwortet, zwei Schritte zurücktretend: „Ich auch.“ Der Kranke fragt: „Was wollet Ihr hier? Gehet hin, wo Ihr hingehöret.“ Sie antwortete: „Ihr sollt meiner Schwester Magdalena nicht alles nehmen.“ Und damit fuhr der Geist zum vorderen Fenster hinaus. Eine Hausgenossin wohnte in der Oberstube, die auf der Bank liegend eben dieses Gespenst gesehen, welches sie angegriffen und begehrt, man solle ihre Schwester nicht kränken; damit warf’s ein Bierglas nach ihr und blieb außen.

Der Katzenhans und seine Genossen.

(F. A. Türke im Glückauf, Jahr. 2, Nr. 3.)

Zwischen den Feldern von Neudorf und Crottendorf liegt ein schmaler Streifen Staatswaldung, die Braunelle genannt, in welchem die Sage den Katzenhans des Nachts sein Wesen treiben läßt. Sein weithin tönendes „hollerndes“ Geschrei schreckt den Einsamen und treibt ihn auf Irrwege. Zuweilen begibt er sich auch durch die Luft über Crottendorf hinweg nach einer sumpfigen Gegend zwischen diesem Orte und Scheibenberg, um allda sein Wesen zu treiben. Die Sage berichtet aber nicht mehr, wer jener Katzenhans gewesen sei und woher es komme, daß er gerade dort sein Wesen treibe. Sein Parteigänger ist der Glasmeister mit sehr großen Glasaugen, der in der oberen Braunelle, da, wo die Straße von Neudorf nach Crottendorf den Wald durchschneidet, den Wanderer in der Nacht schreckt und irreführt. Ob sein Herkommen auf die ehemalige Glashütte in Crottendorf zurückzuführen ist, weiß aber niemand zu sagen. — Ist nun der Fußgänger des Nachts glücklich durch Ober-Crottendorf und ein gutes Stück auf der Straße nach Scheibenberg weiter gekommen, so begleitet ihn eine gespenstische Laterne eine gute Strecke.

In Neudorf berichtet die Sage von einem zweiten Kameraden des Katzenhans, dem Bachreiter, der zuweilen des Nachts den Sehmabach auf- und abwärts durchreitet und durch sein Erscheinen Unglück verkündet, wenigstens macht er darauf aufmerksam, daß in der Nähe des Ortes, wo die Hufeisen seines Rosses Funken schlagen, bald ein Feuer entstehen werde.

Der gespenstische Mann an der Erbisleite bei Scheibenberg.

(Chr. Lehmann, Histor. Schauplatz etc. S. 74.)

Im Jahre 1632 ließ der Stadtschreiber zu Scheibenberg, Theophilus Groschupf, einen Raum an der Erbisleite zu Acker machen. Da nun ein Arbeiter, Georg Feuereisen, mittags hinunter an einen Brunnen ging, um Trinkwasser zu holen, fand er dabei einen häßlichen unbekannten Mann liegen, der ihm auf seinen Gruß nicht dankte, sondern auf dem Rückwege ihn um den Hals fiel und ihn braun und blau drückte, so daß er infolgedessen acht Wochen krank lag.

Der unheimliche Hansmichel.

(E. Heger und J. Lienert, Ortskunde des Dorfes Schmiedeberg i. b. 1897. S. 60.)

Zuweilen kann man in und bei Schmiedeberg einen Umzug, ähnlich der wilden Jagd, beobachten. Von Norden, über die Schmiedstättheide, kommt nämlich hoch in den Lüften der unheimliche Hansmichel daherbraust. In einem mit Ziegenböcken bespannten Wagen stürmt er beim Glaserbergel über den Ort und verschwindet im Walde. Während seiner rasenden Fahrt läßt er den Ruf „Hoho! Hoho!“ erschallen, betört dadurch die Wanderer in der Waldung und leitet sie auf falsche Wege. Früher hauste der unheimliche Hansmichel auch mit besonderer Vorliebe am sogenannten Hammerwege. Nach der Sage soll er Herr des ehemaligen Weiperter Spindlerhofes gewesen und irgend einer großen Ungerechtigkeit wegen zu dieser ruhelosen Luftfahrt verurteilt worden sein. Sonst bösartig hat sich der unheimliche Hansmichel nie gezeigt.

Der Rachhals zu Aue.

(Nach einer Mitteilung von C. Vieweg aus Aue.)

In früheren Zeiten lebte in Aue ein Förster mit Namen Rachhals. Derselbe war rauh in seinem Wesen und flößte allgemeine Furcht ein, so daß man seiner Person soviel wie möglich aus dem Wege ging. Nach seinem Tode ging die Sage, Rachhals sei in eine finstere Kammer seines Hauses, durch welche eine Eisentür führte, verbannt worden und spuke darin um Mitternacht. Die Kammer hatte nur ein kleines Fenster nach dem Hofe, und es wurde erzählt, sobald dieses Fenster geöffnet werden würde, sollte Rachhals erlöst sein, gleichzeitig aber würde auch das Haus abbrennen. Das Haus stand in der Nähe des jetzigen Gasthofes zum Engel. Als daselbst im Jahre 1859 Feuer ausbrach, wurde auch das ehemalige Rachhalsche Haus ein Raub der Flammen.

Die Entbindung im Grabe zu Olbernhau.

(Nach Iccander, Sächs. Kernchronik, bei Gräße, Sagenschatz des K. S., Nr. 453.)

In Olbernhau starb im Jahre 1719 eine hochschwangere Frau und ward gewöhnlicher Weise begraben. Da kommt einige Tage darauf ein Student auf den Kirchhof und liest dort die Inschriften der Grabsteine. Plötzlich sieht er auf einem Grabe eine weinende Frauensperson stehen, die auf sein Befragen, warum sie das tue, antwortete: „Ach, daß Gott erbarm, ein Kind und keine Windeln!“ Da hat der Student aus Mitleid sein Halstuch abgebunden und es ihr zugeworfen, worauf sie sogleich verschwunden war. Nun hat den Studenten eine große Angst befallen, es möge diese Person kein lebendes Wesen, sondern ein Gespenst gewesen sein; er ist also sogleich zum Ortsgeistlichen und ins Amt gegangen und hat die Sache angezeigt, worauf die Obrigkeit jenes Grab öffnen ließ und man fand, daß jene Frau im Grabe ein Kind geboren hatte, welches tot zu ihren Füßen in das Halstuch des Studenten, welches dieser, durch seinen darin gestickten Namen als sein rekognosciert hat, eingewickelt lag.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 10 – Sonntag, den 4. März 1928, S. 2 – 3.