Zwischen Kätchenstein und Katzenmühle.

Alte Sagen in neuem Gewand.

Guido Wolf Günther.

Nicht oft genug kann der rechte Gebirgler am Sagenbrunnen sitzen und lauschen, denn die Seele seines Volkes schwingt ja in den alten Mären und schafft sich aus toten Steinen belebte Gesichter der Heimat. Nicht abergläubisches Grauen soll solches Erzählen wecken, sondern es soll in den Geschichten der Funken Menschenweisheit gesucht werden, der in jeder Volkssage ruht und geweckt sein will zu Nutz und Frommen der kommenden Geschlechter. In diesem Sinne wollen auch die Sagen aus Buchholz’s Vergangenheit gelesen sein, die ich nachzuerzählen versuche nach alten Quellen.

Wenn die Not am größten -.

Just ein Junitag mit Wildrosendurf und Bergheusüße war es, da ging der Steiger Christoph Günzer von daheim weg, um in St. Katharinen im Buchenholz drüben mit dem gestrengen Herrn Oberzehntner Rücksprache zu halten. War ein gar tüchtiger Bergmann, der Christoph, und hatte eben erst eine starkfundige Erzader angeschlagen im Bergwerk St. Dorotheen und sollte nun Maß und Planung genau besprochen werden. Der schönste „Silberblick“ aber waren dem wackeren Christoph Günzer seiner Katharina Augen daheim, seines einzigen Mädels, das ihm sein frühverschiedenes Weib hinterließ als wehmütig Erinnern. Und dem Mädel zulieb hatte er auch sein Häusel im Frohnauer Flurbann nicht aufgeben mögen, um ins laute, betriebsame Städtchen im Buchenholze zu ziehen; hing doch sein Kätchen, selbst ein rechtes Singvögelchen, mit all ihrer gottgesegneten Jugend an Wald und Wiesen und Felsen und mochte um die Welt nicht in hochgemauerter Stadthäuser atembeklemmende Enge. Was verschlägt’s auch einem liebenden Vater, um seines Mädels willen doppelt langen Weg zu gehen? Wenn dazu das Mädel mit so zärtlicher Liebe und Fürsorge um den alten Vater besorgt ist, ihm Kindesliebe und Frauensorgen zugleich zu bieten? –

Die Vögel schliefen schon längst, und die Sehma gluckste nur ganz leise, traumbefangen unten im Tal, als Christoph Günzer heimwärts eilte, seinem Kätchen frohe Botschaft zu bringen davon, daß beim nächsten Bergamtstage eine Schichtmeisterstelle ihn belohnen sollte. So soll Freude war Christoph Günzers Gemüt,daß ihm schier der Himmel mit närrisch zu sein deuchte vor Mitfreude und der Deichselstern am Himmelswagen sich naseweis herausgewagt hatte, den glücklichen Steiger Günzer da unten zu schauen. – Da teilt sich unheimlich schnell das Gebüsch am Weg und mit heiserer Stimme fremden Klanges bittet ein Fremder den Alten, ihn heimzunehmen auf ein Nachtquartier. Sonderliche Beglückung darüber empfand Christoph nicht, denn absonderliches Wesen hatte der Spätling an sich und in seinen Augen flackerte es wie Feuerzungen, die aus Höllenschlünden lohen. Doch ein gutmütig Sinnen und ein Herz voll Freud hießen alle Bedenken schweigen in Christoph Günzels Herz, also, daß er den Fremden über seine Schwelle führte. Kätchen aber, die mit traulichem Lampenschein den Vater und den Gast heimisch bewillkommen wollte, erschrak, zuinnerst betroffen von des Gastes Anblick und verlor ihre Sinne. Vatersorge und ein gnädig Schicksal führten sie jedoch ins Leben zurück, während der unheimliche Gast mit greulichem Fluch verschwand. – Ein wirrer Traum hatte Kätchen als Teufelsbraut gequält und – des Fremden Gesicht trug die Züge des dreimal Verfluchten. Ein Zettel, schwefelgelb von Farbe, mit blutigen Buchstaben bedeckt, wurde von plötzlich brausendem Sturm zum Schornstein hereingeweht, darauf stand zu lesen, daß der Höllenfürst das unglückliche Kätchen in neun Wochen holen wolle zur Teufelshochzeit! –

Wie Kobolde jagten sich plötzlich die Tage, und des Steigers Singvögelchen war still und bleich geworden, und als die graue Nacht über Christoph Günzers Haus schwarze Schatten einer schwülen, gewitterdunklen Augustnacht legte, da erschien wahrhaftig der unheimliche Fremde wieder und begehrte Kätchen zum Weib. Doch Gebet und der Ruf zum Gekreuzigten trieben den Nachtfürsten hinweg, freilich mit schlimmer Drohung für die Nacht, nach weiteren neun Wochen. –

Und wieder heulte Sturm um Christoph Günzers Haus, und wieder wehrten Gebet und Anruf des Heilandes dem gräßlichen Brautwerber sein Opfer! Da spie sein giftiger Haß Feuer und Schwefel auf Singvögelchens und Vater Günzers trauliches Heim und im wütenden Oktobersturm verloderte das kleine Steigerhaus zu Schutt und Asche! –

Freundlicher Nachbarn rasche Hilfe ließ am Waldrande ein neues Haus erstehen, und mit Adventsgeläut konnten die beiden verängstigten Menschen ins neue Heim einziehen. Schreckliche Drohung war den Aermsten geworden: Der letzte Besuch des Höllenfürsten sollte dem alten Steiger den Kopf kosten und seinem Kätchen jungfräuliche Ehre und weiteres Menschensein! Schatten nur noch gleich bangten die zwei Verfolgten dem neuen Unheil entgegen, ohnmächtig wohl gegen finsteres Geschick. Kaum wagte der alte Steiger, seinen über alles geliebten, künstlich geschnitzten Weihnachtswinkel aufzubauen, so lag ihm der Hölle stickender Dunst auf Herz und Sinn. Und war doch der beiden Glück, daß sie am alten Brauch auch in Todesnot sich hielten: Nur fehlten noch vierundzwanzig Stunden zur Schreckensnacht der dreimal neunten Woche, da schlief Kätchen, vom Weinen müde, in Vaters Sorgenstuhl ein. Da hub sich ein Raunen und Flüstern an im Weihnachtswinkel, und Bergleute und Hirten und die drei Könige taten sich zusammen zu seltsamem Zug und die Gottesmutter hielt auf hochgehobenen Händen den Sohn Gottes wie ein strahlend Licht der Wallschar vorauf. Und Kätchen deuchte es, als zöge sie mit im Zuge und wandelte nach den Felsen, die unweit des Steigerhauses zackig verschroben in den Winterhimmel geisterten. Ein Singen und Klingen hub an, mächtige Klüfte sprangen auf und ein golden Kruzifix trugen Engelhände ihr entgegen!

Mit heißer Stirn, gebeugt vom Abschiednehmen von Welt und Grube, kommt Vater Christoph heim, – von seiner letzten Schicht! Dunkel noch die Stube, aber seltsam Blinken glänzt durch die Dämmerung des Christabends: auf Kätchens Schoß ruht ein golden Kreuz! Und des Vaters hastig Berühren weckt Kätchen aus langem, tieffrohen Schlaf des Vergessens. Worte nur vermögen Kätchens Lippen zu stammeln, Worte von göttlicher Führung und Gnade, dann sinken beide auf die Knie, in inbrünstiges Beten versunken. –

Und wieder sind alle Mächte der Unterwelt los und wieder rast der dreimal Verfluchte her durch die heulenden Lüfte, letztes Schrecknis zu vollenden, – da bannt ihn des Kreuzes heller Strahl für immer, und auf First und Giebel strahlt’s aus Millionen kleiner Flockenkreuze ihm entgegen, daß Gottes Hilfe die Unschuld beschützt! Da ist’s um des Teufels Blendwerk geschehen, und mit höllischem Fluche fährt er davon. Von St. Katharinen aber und von St. Annen läuten Christmettenglocken und hüllen mit Summen und Klingen ein glücklich Menschenschicksal in würdig Gewand.

Kätchen aber vergaß nie den Stein, der ihre Rettung durch göttliche Vorsehung wurde, und heute noch steht sein Andenken in ehrwürdigem Ruf.–

(Schluß folgt.)

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 27 – Sonntag, den 4. Juli 1926, S. 2