Wintersport im Erzgebirge.

Von Dr. Walter Seyfarth, Chemnitz.

(Aus „Mitteldeutsche Monatshefte”)

Wer von Sachsen spricht, denkt wohl in erster Linie an das Industrieland mit seiner dichten Bevölkerung, an die vielen rauchenden Fabrikessen, yan die Häusermeere seiner Großstädte, überlagert von Ruß und Qualm. Und doch ist dieses Land auch reich an Naturschönheiten eigener Art, die vielen noch unbekannt sind. Einen ganz besonderen Reiz landschaftlicher Schönheit bietet das obere Erzgebirge mit seinen dunklen Tälern, weiten, grünen Höhen, seinen düsteren Hochmooren und einsamen, hochgelegenen Ortschaften. Noch viel größer und eindrucksvoller erscheint das Gebirge, wenn der Winter seinen Einzug gehalten hat. Gewaltige Schneestürme brausen über die Berge, verwandeln oft in wenigen Stunden alles grüne Leben in eine kalte, weiße Pracht. Glücklich jeder, der diese Winterherrlichkeit schauen darf! Während Fußwanderer und Rodler nur auf gebahntem Wege in das Reich des Winters vordringen können, durchstreift der Schneeschuhläufer in ungehinderter Freizügigkeit Tal und Höhen, glückselig seinem Drängen nach Wintersonne folgend. Ihm erschließt sich diese träumende Natur in weit höherem Maße, und das Hochgefühl ist grenzenlos, wenn er in sausender Fahrt, die flinken Bretter meisternd, diese Herrlichkeit sich zu eigen macht. –

Am Fichtelberg
Photo Johannes Mühler, Leipzig.

Die bekanntesten und deshalb besuchtesten Wintersportplätze im oberen Erzgebirge sind Geising-Altenberg und Kipsdorf-Schellerhau im Osten, Oberwiesenthal und Johanngeorgenstadt im mittleren Teil und das Aschberggebiet im Westen, schon ins Vogtland hinübergreifend. Durch seine Höhenlage besonders bevorzugt ist die kleine Stadt Oberwiesenthal (914 m) am Fuße des höchsten sächsischen Berges, des Fichtelberges (1214 m). Um dahin zu gelangen, benützen wir die Hauptstrecke Chemnitz-Weipert bis zur letzten größeren Stadt, Annaberg, und darüber hinaus bis Cranzahl, wo wir die Kleinbahn besteigen. Mühsam keucht sie nun in vielen Kurven hinan durch tiefe Wälder, oft die niedrigen Dorfhäuschen steil unter sich lassend, bis sie in reichlicher Stunde das Städtchen erreicht. Dieses bietet durch eine Fülle von Gasthäusern, großzügig ausgestatteten Heimen und Privatwohnungen Unterkunft für die verschiedensten Ansprüche. Den Hauptanziehungspunkt bildet naturgemäß der Fichtelberg mit seinen mannigfachen Anstiegswegen. Wer seine Kräfte sparen will, kann mit der Schwebebahn in zehn Minuten Fahrt den Gipfel mit dem stattlichen Unterkunftshaus erreichen, um sich von dort aus allen Freuden einer idealen Abfahrt auf sausendem Ski hingeben zu können. Der eine bevorzugt den schmalen, gewundenen „Reitsteig“, ein anderer fährt die alte Rodelbahn ab zum freien Hang am Jungferngrund. Bei tiefem Schnee führt am schnellsten die „Himmelsleiter“ zu Tal, allerdings auch dann nur für Geübte. Der Anfänger freut sich an der geruhsamen Abfahrt auf dem „Prinzenweg“ oder dem Fremdensteig, die ihn beide noch zum Überfluß ohne Anstrengung an die gemütliche Gaststätte des Neuen Hauses (1100 Meter) bringen.

Hier stehen in wenig hundert Metern Entfernung Sachsens Grenzpfähle gegen die Tschechoslowakei. Nur 1 Kilometer weit westlich liegt auf einer weiten Hochmoorfläche das bescheidene Gottesgab, die höchste Stadt Mitteleuropas, umrahmt von Fichtelberg, Keilberg und Spitzberg. Hier oben an Sachsens Grenze hält der Winter eine lange Herrschaft. Oft überrascht er die Bevölkerung mitten in der Erntearbeit und gibt die dem Boden mühsam abgerungenen Früchte erst im Frühjahr frei.

Den zünftigen Skiläufer zieht es vom Neuen Haus hinüber in den nahegelegenen Zechengrund, der in seiner ganzen Ausdehnung noch auf reichsdeutschem Gebiet liegt. An den Steilhängen, die sich bis tief in den Grund hinabziehen, finden wir im Spätwinter ausgedehnte Wächtenzüge, die dadurch entstehen, daß vom Hochmoor herüber die eisigen Schneestürme gewaltige Schneemassen anwehen, die dem Grund einen nahezu alpinen Charakter verleihen. Dort überdauert der Schnee die für andre Gegenden oft verhängnisvollen Tauwetter-Perioden bis tief ins Frühjahr hinein. Selbst der verwöhnte Skiläufer findet hier ein abwechslungsreiches Übungsgebiet.

Wer jedoch Touren laufen will, strebt am oberen Rande des Zechengrundes entlang, hinüber ins böhmische Nachbargebiet, über die einsamen und sturmumwehten Sonnenwirbelhäuser dem Keilberg zu, dem höchsten Gipfel des Erzgebirges (1243 m). Weit schweift von hier oben der Blick über die endlos sich dehnenden Höhen des Erzgebirgskammes.

Wenn tagelang der Schneesturm gehaust hat, steht hier groß und geheimnisvoll ein Märchenwald. Phantastische Rauhreifgestalten beugen ihre Häupter der Erde zu. Oft vermeint man Gnomen oder Tiere in diesen vereisten Bäumen zu erkennen. Wenn der Wind sie bewegt, klirren die gefrorenen Äste wie Glas. Wie ein Zuckerhäuschen sieht das Berghaus aus. Hier gibt’s böhmische Spezialgerichte von anerkannter Güte und – ebensowenig zu verachten – eine vorzügliche böhmische Musik.

Die Abfahrt vom Keilberg nach Oberwiesenthal hinunter ist eine der schönsten im Erzgebirge. Welch ein Gleiten und Schwingen durch schütteren Wald auf sonnigem Hang! Ein kurzer enger Hohlweg, der Aufmerksamkeit erfordert, und schon liegt die letzte große weiße Fläche am Waldrand vor uns, auf der man noch einmal richtig schwelgen kann in allen erdenklichen Möglichkeiten einer Skiabfahrt – dann ist der Talgrund von Oberwiesenthal erreicht.

Wie traulich liegt der Ort in seiner Winterschönheit da! Zur Weihnachtszeit strahlen aus den Fenstern die Lichter der holzgeschnitzten Bergmänner und Christengel, und sind wir neugierig und lugen durch die Scheiben, so erblicken wir drinnen die oft kunstvoll aufgebauten Pyramiden, die sich im Lichterglanze drehen, ein Stück alte bodenständige Poesie.

So bietet das Erzgebirge in seiner Eigenart, vornehmlich in seinem winterlichen Glanze, eine Fülle herrlichster Eindrücke. Jeder, der dieses Stück Erde kennengelernt, hat es auch lieben gelernt und kehrt nur zu gern zu ihm zurück als zu einer ewigen Quelle von Kraft und Freude.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 6 – Sonntag, den 6. Februar 1927, S. 1