Ein gutes Wörtlein für unsere Erzgebirgs-Bäder.
Guido Wolf Günther.
„Unser Herrgott ist ein weiser Hausvater: Weil er denn weiß, daß arme Bergleute in Gruben und Hütten viel böses Wetter, koblichten Stank, kalte Dämpfe, feuchten Brodel und giftigen Rauch in sich ziehen, pflegt er neben die Bergwerke gemeiniglich eine eigene Apotheke anzurichten, damit die Bergleute eine Bergarznei hätten wider die Lähme und verschleimte Lunge, erkältete Mägen und verlähmte Glieder und was der Bergsucht und Beschwerungen mehr sind.“ So urteilt der Chronist Mathesius über die Heilquellen unserer Heimat und war sicher überzeugt davon, daß die Nachwelt die Gottesgabe immer besser zu würdigen wissen würde. Wir blitzgescheiten Menschen aber fahren lieber in ein „Modebad“, bei dem allein die Eisenbahnfahrt ein kleines Kapital verschlingt und bilden uns ein, so ein bißchen erzgebirgisches Heilbadewasser oder Trinkquell könne natürlich nichts wert sein, denn es ist ja nicht weit her! (Und was „nicht weit her“ ist, war uns Deutschen immer ein Greuel – siehe Foxtrott, Jazzband und Bubikopf!) Also hat sich der gute Mathesius umsonst gefreut, und es ist an der Zeit, ein Wörtlein für unsere erzgebirgischen Heilbäder zu reden, damit nicht immer und immer wieder die Liste der Kurgäste nur von Nicht-Gebirglern gefüllt ist, während die Einheimischen die paar Spargroschen in fremde Bäder tragen. – Selbstverständlich soll nicht behauptet sein, daß wir die entfernt gelegenen Heilbäder ganz entbehren können; jeder „Gesundbrunnen“ hat seine besondere Wirkung, und jedes Leiden braucht auch besondere Zusammensetzung des Trink- oder Badewassers; aber leider haben die Aerzte meist Patienten, denen die Empfehlung eines naheliegenden Badeortes als Beleidigung erscheint und die geradezu vom Arzte verlangen, daß er ein Bad empfiehlt, das möglichst weit weg ist. Was sollten auch die lieben Stammtischbrüder und die noch lieberen Kränzchenschwestern sagen, wenn die Ansichtspostkarten aus dem Bad „nur“ erzgebirgische Namen tragen? Lieber aus Geldmangel mitten in der Kur aufhören müssen, als etwa in einem „gewöhnlichen“ Bad ohne Kurtheater und Kurmusik einige Tage länger sein dürfen! Gesellschaftliche Lügen, mit denen man sich selbst beschwindelt zum Schaden seiner Gesundheit! –
Nun hat dieser Sommer unseres Mißvergnügens infolge wirtschaftliche Nöte manche kühn und schön geplante Badereise zunichte werden lassen, und sorgenvoll schauen sich die Familienväter nach billigem Ersatz um. Vielleicht ein erwünschter Anfang, die Schönheit und Heilwirkung unserer erzgebirgischen Bäder schätzen zu lernen! Wir wollen es herzlich begrüßen; denn in Bezug auf Heilgehalt und neuzeitliche Gestaltung des Badebetriebes sind unsere Bäder, wenn auch in kleinerem Rahmen, den Modebädern nicht allzuweit nach, und mit landschaftlicher Schönheit übertreffen sie sogar viele bekannte Badeorte. Freilich, – wer nicht Erholung, sondern „Saisonbetrieb“ und Nervenkitzel aller Art sucht, der wird in unseren kleinen Gebirgsorten kaum auf seine Rechnung kommen; wer aber wirklich ausspannen will vom Alltag, dem bieten unsere Heilorte wahrhafte „Ferien vom Ich“. –
Wie lange schon Hirsch und Reh sich Linderung verschafften in den Sprudeln, die im Dickicht in starkem Strahl aus Fels und Moos sprangen, – wer kann es sagen? Alle Berichte über die Entdeckung unserer Heilquellen sind mit Vorsicht aufzunehmen; üppig wuchert Sage und Legende um die „Wunderbrunnen“ und manch Stücklein „Lokalpatriotismus“ hat sich in den Heilungsberichten ausgetobt. – Den aus Erzgängen als heißester Sprudel Sachsens hervorbrechenden Heilquell in Warmbad bei Wolkenstein dürfen wir wohl als ältesten ansprechen, denn schon im 14. Jahrhundert war er bekannt und vielbesucht! Kein Wunder, da der Befund seines Wassers dieselbe Wirkung zeigt wie die berühmten Bäder von Gastein, Pfeffers und Wildbad. Nur die Saumseligkeit oder allzugroße Bescheidenheit der Gebirgler mag Schuld daran tragen, daß kein „Weltbad“ zwischen Wolkenstein und Annaberg entstand, und jede Bemühung, unseren Bädern zu dem ihnen gebührenden Platz zu verhelfen im Kreis der deutschen Heilbäder, verdient wärmsten Dank und tatkräftige Unterstützung! – Bei Niederzwönitz wird 1498 ein Quell entdeckt, der als „Guter Brunnen“ offenbar viele Besucher anzog; nicht weit davon sprudelte der „Krätzbrunn“, der um 1650 und als dritter der „Augenbrunnen“, der erst 1717 als heilkräftig bekannt wurde. Ob wirklich eine Kapelle, – der heiligen Anna geweiht, – den Wallfahrern, die zum Wunderbrunnen kamen gedient hat, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen.
Ueber die Geschichte des Warmbades bei Wolkenstein wird folgendes berichtet:
Die Entdeckung der warmen Mineralquelle ist aller Wahrscheinlichkeit nach gegen das Jahr 1300 dem damals in hiesiger Gegend in hoher Blüte stehenden Bergbau zuzuschreiben. Von welcher Zeit ab dieselbe als Heilquelle benutzt wurde, läßt sich nicht genau feststellen, die chronikalischen Ueberlieferungen berichten aber einerseits von einer Kapelle, andererseits sogar von einer großen Kirche, die hier gestanden haben soll, in welcher die Genesenen für die durch den Gebrauch der Quelle gefundene Heilung von ihren Krankheiten Gott dem Herrn und der heiligen Jungfrau Maria, welcher dieses Gotteshaus geweiht gewesen, Dankopfer darbrachten. Wie denn überhaupt das Bad vorzeiten „das Warme Bad zu unsrer Lieben Frauen auf dem Sande“ hieß, so ist auch jetzt noch ein im Brunnenhaus aufgehängtes Altarbild vorhanden, welches zweifelsohne aus jener Kapelle oder Kirche herrührt. Es besteht aus drei in Holz geschnitzten Figuren, darstellend den gekreuzigten Heiland, den Jünger Johannes sowie die Mutter Maria, die von einer entsprechenden Umrahmung eingefaßt sind; darunter steht die Jahreszahl 1385 und die Widmung:
„Dis Warmbad am Sand zu Unsrer lieben Frawen
Hat Gottes Wunderhand gelegt in diese Auen,
Wodurch dem Leibe nach heil werden kranke Herzen
Christi Verdienst und Blut heilt alle Leibes-Schmerzen.“
Das Bad liegt 458 Meter über dem Spiegel der Ostsee. Umgeben ist das Bad von sanften Anhöhen, herrlichen Nadel- und Laubwaldungen und schönen, aromatisch duftenden Wiesen, die einen großen Reichtum an medizinischen Kräutern besitzen; die Luft ist eine von Staub, Fabriken- und Eisenbahnrauch vollständig freie, reine und würzige, an Ozon reiche, kräftige Gebirgsluft mit hohem Feuchtigkeitsgehalt, die durch zahlreiche Seitentäler rasch und stetig erneuert wird. – Warmbad ist deshalb auch als Luft- und Höhenkurort hochgeschätzt. Die anderwärtige Sommerhitze erfährt hier durch den Reichtum an Wäldern, Quellen und Bächen eine erfrischende Abmilderung.
Im ganzen Erzgebirge finden sich auf einem verhältnismäßig so kleinen Raume wohl kaum so viele Naturschönheiten, besonders wildromantische Partien, zusammengedrängt wie hier; fast jeder Schritt bietet dem Naturfreunde überraschende Abwechslung. – Im Bade selbst und dessen nächster Nähe laden freundliche, gut gehaltene Wege, verbunden mit zahlreichen Ruheplätzen zum Spazierengehen und Erholen ein.
Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 29 – Sonntag, den 18. Juli 1926, S. 4