Von Eibenstock auf den Auersberg.

Von Dr. Sieber, Aue.

Aus dem Wettbewerb des Erzgebirgs-Verkehrs, Gemeindeverband zur Hebung des Fremdenverkehrs im Erzgebirge.

Ein Erzgebirgs-Ausflug.

Nicht vom edlen Silbererz allein hat das Erzgebirge seinen Namen, sondern ebensowohl von den vor sieben Jahrhunderten daselbst entdeckten Zinngraupen. Damals ward das Zinn noch nicht mit Schächten und Stollen in der Erde gesucht und erschürft, sondern an zinnführenden Bächen zwischen losem Kies und in sanften Wiesenhängen ausgewaschen, wie man noch heute in Amerika oder Australien Gold wäscht. Im Rathaus zu Eibenstock hängt ein altes Bild, das uns die Zinnseifner bei der Arbeit zeigt. Im Wasser stehend arbeiten sie und stochern mit ihrer Seifengabel, dem „Seifenstock“, der ins Wappen des Städtchens aufgenommen ward und vielleicht dem Ort seinen Namen lieh. Und am Ausgang des Eibenstöcker Rathauses nach der Oberstadt steht ein Bergmann aus Stein. Denn jeder erzgebirgische Bürgermann ist stolz darauf, daß seine Stadt einst Bergfreiheit besaß.

Durchwandern wir die alte Zinnstadt! Schmunzelnd empfängt uns die Oberstadt mit netten neuen Straßen, mit Bahnhof, Gasthäusern, Kaffees, Kirche, Schule und Lichtspielhaus. Man hat gemeint, daß dieser Ortsteil auf der Hochebene sei als slawischer Rundluing entstanden, zumal etliche Namen in der Gegend an die Wenden erinnern. Sicherlich ist aber die Unterstadt älter, die sich in mehrere Talgründe verzweigt. Zinnseifner bauten dort ihre Blockhäuser. Noch hocken Hütten von grauem Alter in den wunderlich benamsten Stadtvierteln im Grunde. Hinter jeder liegen Riesenstapel frisch gefällten oder just zersägten Holzes. Denn der arme Erzgebirger nutzt noch den Wald als Wärmespender und sägt und hackt, spaltet und schichtet seine Scheite mit besonderer Lust und größter Kunst. Sonst trägt schier jegliches Haus ein Firmenschild, auf dem sicher etwas von Stickerei und Perlen steht. Denn Eibenstock ist ja ein Mittelpunkt schöpferischer Mode. Womit Frau, Tochter oder Liebste dich zum nächsten Modehalbjahr überraschen, das kannst du hier in hellen Fabriksälen, kleinen, ans Vorderhaus angebauten Stickmaschinenhäuslein oder in der schlichten Stube der Heimarbeiterin in Arbeit sehen. Die Stickerfamilien sind die Nachfahren jener Zinnsucher, die an den Hängen des Rähmer- und Denitzbaches jahrhundertelang Raithalden gehäuft, Zinn ausgewaschen haben. Alte Bergmannsgräben, vor allem der Grüne Graben, künden davon. Ihm folgen wir. Er leitet uns über die Hochebene, bis in deren wehende Felder sich neue Straßenzeilen vorgeschoben haben, zwischen feuchten Wiesen hindurch, wo das Wollgras fächelt, nach dem Wald. Hinter uns taucht Eibenstock unter, und jenseits der Mulde hängt das zinnreiche Burkhardtsgrün malerisch am Steinberg. Zur Linken necken uns Felsgebilde am tiefeingerissenen Tal der großen Bockau mit immer neuen Formen und Verwandlungen. Eine wonnige Waldstraße hüllt uns in den Saum des Ellbogenberges. Plätschernd unter Huflattich und Farren spielt der Grüne Graben neben unserm Fuß. Tiefer tost die Bockau. Kecke Bächlein springen kerzengerad vom jenseitigen Steilhang ihr zu. All diese Wässerlein halfen einst den Seifnern auf der Zinnsuche.

Und Wildenthal, das sanfte Sommerfrischlerdorf, das jetzt an der Straßenöffnung auftaucht, hat einst seine armen Häusler auf Zinnbergbau oder ins dröhnende Hammerwerk geschickt. Zwar die Hammerschmiedepoesie ist längst dahin, aber Wildenthal in seiner grünen Idylle ist noch heute romantisch und lieblich. Im steilen Zickzack flicht ein Weg sich durch den Wald zum Auersberg empor. Friedlich schimmern des Dörfchens Schieferdächer an jeder Biegung herauf. Immer gewaltiger stoßen sich ferne Höhen ab von der Waldesbrandung zu unseren Füßen. Vom Turm, der zwischen sturmtrotzenden alten Fichten aufragt, blicken wir zuerst auf Eichenbocks Hochebene mit dem lustigen Bielhaus, auf Wildenthal und das grüne Tal der Großen Bockau. Nun aber entschleiert sich uns die erhabene Bergwelt des Gebirgskammes. Vom Fichtelgebirge bis zum Fichtelberge ein vielgebogtes Waldwunder! Kurfürst Johann Georg I., ein großer Jäger vor dem Herrn, hatte hier oben schon ein Holztürmchen erbaut, um sein schönes Waldgehege überschauen zu können. Jetzt tragen zahllose Gipfel ihre Türme: Peindl, Platten-, Pleß-, Fichtel- und Keilberg grüßen die ebenbürtige, 1000 Meter hohe Schieferscholle des Auersbergs. Er wie drüben sein felsbebrockter Bruder Riesenberg ist ein braver Zinnhüter gewesen. In ihren Flanken bohrten noch bis 1830 Bergleute ihre Zechen „St. Michael“ oder „Wilde Frau“, „St. Bartholomäus“ und „Haderrüge“. Siehst du die Häuslein im Süden, die Sauschwemme? Seifner „schwemmten“ dort das Zinn. Ja, nahebei, südlich Wildenthal, lag schon die von Albinus, dem bedeutsamen Bergchronisten des 16. Jahrhunderts, gerühmte Zinngrube Fletschmaul. Oder Sosa, das einsame Gebirgsdorf, spielzeugartig samt seiner Kirche in jenen Wiesengrund geschüttet, war im 17. Jahrhundert ein wichtiger Zinnerort. Weithin bis zum Kamm erstreckte sich der Seifner Gebiet. Durch unergründliche Wälder ganz fern schimmern die Häuser von Seiffen in Böhmen, nahe dem Gottesgaber Spitzberg.

Ihr Bergleute von heute, ihr steigt nicht in die düstre Tiefe, sondern auf die reinen Höhen, ihr sucht nicht glänzende Zinngraupen, sondern Sonnenglanz und Waldeswonne. Tut Herz und Lunge auf, daß Leib und Seele gesegnet werde! Jauchzt und frohlocket ins grüne rauschende Waldland hinunter! Laßt eure Blicke streifen und schweifen – kein Berg im Erzgebirge thront so herrlich über Wälder wie der Auersberg.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 27 – Sonntag, den 3. Juli 1927, S. 3