Vom Silberbaum zur Braunelle.

Sagen um Bärenstein und Crottendorf.

Guido Wolf Günther.

Gibt es ein schöneres Heimaterleben, als zur Ferienzeit die altvertrauten Stätten der Kindheit wieder zu durchwandern, den besten Führer zur Seite, den man sich denken kann, in dem sich Jugend und Elternhaus und Heimat zu einer Gestalt vereinen? Und dann liegen zu können am Waldesrand und Wolken ziehen sehen in wunderlichen Bildern und vor sich und um sich nichts als Wald, Wiesen und vertraute Menschensiedlungen? Da grüßt der Bärenstein herüber, an dessen Fuß im alten, lieben Schulhaus meine Wiege stand, und da winken die Fenster blitzend von Crottendorf herauf, wo ich als „Hosenrutscher“ die ersten Bekanntschaften mit Nachbars Dackel und mit Götz-Albins Kühen machte, und hinter mir -, ja, da liegt der Berg und das Städtel, in dem ich dann zum Manne heranwuchs, nachdem mancher Hosenboden und manche Fensterscheibe entzweigegangen waren. Heimat, – wie bist du doch so losgelöst von Menschen und Parteien, es seien denn Eltern und Geschwister, die das Fleckchen Erde uns teuer machen in Treue!

Ist es denn da nicht recht und billig, wenn sich die Gedanken auf die Wanderung machen in die Märchenwelt und in Frau Sages Reich und aus eigenem Träumen ein weniges sich drunter stiehlt und die Bilder sich drängen in bunter Fülle? Sagen der Heimat erzählen, – das ist wie lindes Streicheln des Heuduftes, der um unsere Berge weht. Und wenn Menschennot aufschreit aus solchen Geschichten, dann ist’s als wenn Berggewitter grollend in Schluchten sich fängt. Aber die Seele bindet solch Fabulieren mit tausend Ketten an die Heimat, auch wenn das Schicksal das eigene Herdfeuer anderswo leuchten und wärmen läßt. —

Der Silberbaum.

Was war es doch für ein mühselig Schaffen geworden am Bärenstein, seitdem die ersten, glücklichen Bergsegensjahre verflossen waren! Wo immer auch Ehrenfried, der alte, wackre Steiger, anschlug im Felsen, – immer dampften giftige Dämpfe ihm und seinen Knappen entgegen. Lange schon waren die alten Gänge erschöpft und ungeduldig forderten schon die Bergherren die Einstellung des Baues. Freilich, die reichgewordenen Gewerken drunten im Sehmatale kümmerte es blutwenig, ob droben am Walde eine Familie nach der anderen brotlos wurde! Und böse Reden obendrein gab es zu hören, wenn der alte Ehrenfried immer wieder Aufschub erbat für sich und seine Knappen, denen im unwirtlichen Gebirge die größte Not drohte, wenn die Bergherren wirklich die Fundgruben eingehen ließen. Düsterer aber noch schien das Schicksal den jungen Ehrenfried zu bedrücken, der des Vaters jüngster Bergknappe war. Um Brotverdienst und Hausung machte sich das junge Blut keine Gedanken; mit einem klugen Kopf und ein paar arbeitsfrohen Fäusten sollte wohl die welt noch zu zwingen sein! Was sich aber nicht zwingen ließ, das war sein junges, heißes Herz! Und das schlug seit dem Johannistag ganz rebellisch unter der Knappenkutte und wollte schier den Koller sprengen vor Lust und Leid zugleich. Das war ein Johannistag gewesen mit allen Düften und Stimmen blumenprächtigen, vogelliedtollen Sommers! Da hatten die Sehmaer Bergherren ihren Bergleuten am Bärenstein ein Grubenfest gegeben mit Tanz und Schmaus, und Erbrichters Töchterlein war mitgekommen, weil der verstorbene Vater auch ein Gewerke war und der reichsten einer dazu. Da war geschehen, was seit Menschengedenken ewiges Rätsel bleibt: zwei junge Menschenkinder hatten sich gefunden, ungeachtet aller Hindernisse, die Reichtum und Abstammung bereiten wollten. Sehnsucht schwang von Berg zu Tal und zitterte vom Tal zum Berge, und Brücken bauten sich aus Mondstrahlen und Sonnenglast, auf denen zwei junge Menschenherzen sich entgegeneilten in glückseliger Liebe. Aber schwer wie Nachtgewölk zog am Himmel ihres Glückes die Erkenntnis auf, daß Hedwig, die reiche Erbin und Ehrenfried, der junge Häuer, nach Menschenmeinung kein Paar werden dürften. Wann aber haben sich liebende Herzen an Vernunft gehalten? So brannten Sehnsüchte nur begehrender auf und schufen unsagbare Qual. Dazu schickte sich Neidhardt, des alten Amtsschössers von Schlettau wüster Sohn an, um die reiche Erbin zu freien, trotzdem sein wildes Wesen zu Hedwigs sanfter Art nicht passen wollte. Treu hielt jedoch Hedwig zum Geliebten, den Tag ersehnend, der sie mündig machte und frei vom Drängen stolzer Verwandten, dem Wüstling die Hand zu reichen.

Da schlug lodernder Haß Flammen auf in Neidhardts Seele und er schwur seinem Nebenbuhler den Untergang, nicht wähnend, daß Weibestreue auch durch den Tod nicht wankend wird. – In Weipert waren die Werber des Böhmenkönigs geschäftig, junges Volk zu locken in Kampf und Tod. Das schien dem blinden Haß des Verschmähten ein Weg zur Rache! Listig überredete er den Werbeoffizier des Böhmenkönigs, Ehrenfried zu übertölpeln und nach Ungarn in den Kampf zu schicken auf Nimmerwiederkehr. Doch der Berggeist, der seine Bergleute auf Herz und Kopf durchschaut und guten Seelen gar zu gerne hilft, verwirrte die Geister, dergestalt, daß Neidhardt den Werbetaler erhielt und damit unter die Pickelhauben geriet, während der junge Ehrenfried plötzlich entrückt wurde und sich im Traume vor goldnen Schätzen sah, die sein waren, wenn er Hedwig entsagte. Doch der Liebende bestand des Berggeistes Prüfung und kehrte als bettelarmer Bursche in seine elterliche Hütte zurück. Weinend begleitete darauf die arme Mutter Mann und Sohn zum Stollen: letzte Frist war verstrichen und morgen schon waren Eltern und Sohn brotlos und ohne Hausung, wenn nicht ein Erzgang den Bergherren mildere Meinung brachte. Am Erbrichter-Stollen setzten die beiden gramerfüllt das Gezäh an; jener von nagender Sorge gepeinigt, dieser von lieblich lockenden Bildern mehr gequält als beseligt, die ihm ein entschwindendes Glück vorgaukelten. –

Dumpf hallen die ersten Schläge durchs Gestein, da stürzt stäubend und polternd eine Lattenwand und wunderbar leuchtet im Dunkel des Ganges ein Baum, ganz von Silber gleißend! Der Stamm aber führt hinein ins Herz des Berges, reichen Erzgang verheißend den glücklichen Fundgrübnern! Aus dem Glanz und Gefunkel aber tönt hoffnungweckend, glückverheißend des Berggeistes Stimme, der mit dem Silberbaum die Ehrenfriede begabt, weil ihre Treue zueinander und in der Liebe Belohnung finden soll. –

Wieder zieht Johannisfestfreude durch die Hütten am Bärenstein; diesmal aber läuten die Glocken dazu und Ehrenfried, der junge Bergherr, dem sein holdes Bräutchen alle Berggerechtigkeiten mit Herz und Hand zugleich schenkte, führt sein junges Weib zum Silberbaum-Stollen, in dem sich Menschenleid so wunderlich zu Hochzeitsfreuden wandelte.

Die Braunelle.

Dort, wo der Weg von Crottendorf hinüber ins Böhmische führt, just zwischen Waldeskuppe und Wiesengrund, lebte der fromme Mönch Bruno, der vom Grünhainer Kloster gesandt war, der Christenheit an der oberen Zschopau auch ein Fünklein vom Gottesglauben anzublasen und lebendig zu halten. Weshalb dieser Platz von jedermann „Bruns Sella“ gerufen wurde, weil „sella“ soviel wie „Sitz“ bedeuten sollten. – Nach Jahr und Tag aber nannte jeder Waldläufer und Einwohner den Waldstrich die „Braunelle“ und so blieb es bis zur Stunde. Das kleine, muntere Vöglein hat aber damit nichts zu tun, sondern eine braune elle soll dem Walde seinen Namen gegeben haben, und ein lustig Geschichtchen aus dem Sagenschatz mag dem lieben Leser helfen, über die Tragik des Spielmannsteines hinwegzukommen.

War da ein Schneiderlein in Crottendorf, dem selbst der Hungerriemen auf dem letzten Loche noch zu weit war, so klapperwindig hatte ihn die Sorge gemacht. Der geht also eines Tages in den Wald, um kurz und schmerzlos sein Leid zu beenden: entweder den rettenden Engel finden, oder – na, Bäume gab’s halt genug im Wald. Trifft ihn dort ein Jägersmann, dem der Schwefeldampf aus allen Rockfalten zog und bietet unserem Schneiderlein eine Elle an von wunderbarer Eigenschaft: solange die Elle im Hause wäre, gingen Kundschaft und Geld nicht aus! Das war so unseres Schneiderleins Geschmack; aber da er das Höllengerüchel des Teufels durch das Jägergewand erschnuppert hatte, erkundigte er sich vorsichtig nach dem Preise. Der Leibhaftige war schnell mit dem Kaufpreis zur Hand: „Nach sieben Jahren hole ich mir die Elle wieder und deine Seele dazu! Gelingt es dir, mir die Elle abzulisten, ohne fremden Beistand, so bleiben Elle und Seele Dein!“ – Das war ein absonderliches Geschäft und für einen ehrlichen Christenmenschen gar gewagt, seiner Seelen Seligkeit an eine Elle zu hängen, gelt? – Aber ein rechter Schneider fädelt jeden Faden durchs rechte Ohr, und so schlug auch unser Schneiderlein vergnügt in des Leibhaftigen Pranke ein, als dieser eine unscheinbare, braune Elle ihm vor die spitzgewordene Nase hielt. –

Noch keine zwei Jahre waren vergangen, da hatte unser Schneiderlein vier Gesellen sitzen und ein stattlich Weibchen machte ihm das Leben zum Paradies. So ging es ins siebente Jahr hinein, und der Teufel freute sich auf das Fest, wenn er so mit dem Schneiderlein holterdipolter durch die Bäume fegen würde. Alles Kirchenlaufen und Almosengeben sollten dem Aermsten nichts helfen, denn wie sollte es dem Schneiderlein gelingen, mit den Teufelspfoten fertig zu werden? –

Der schlimme Tag war angebrochen und auf die Minute genau waren Schneiderlein und Teufel zur Stelle: jener kam fein artig auf dem Waldweg daher; dieser mit Schwefelstunk durch die Bäume, wie es sich für solchen Höllenflegel eben schickt. Kaum hatte der Teufel die braune Elle im Aermel des Schneiderleins erspäht, da griff er auch schon gierig zu, dem Armen Elle und Seligkeit geschwind zu nehmen. Doch fix wie eben Schneider sind, drehte unser Crottendorfer Meister die Elle um und – dem Teufel blitzte ein silbernes Kreuz entgegen, das der kluge Mann in die Elle eingeschlagen hatte! das war dem rußigen Höllenlümmel schlimmer als eine Tracht Prügel! Mit einem greulichen Fluche stob er davon, in Schwefel und Pech sein Andenken hinterlassend. In aufjubelnder Dankbarkeit aber stiftete das schlaue Schneiderlein seiner Kirche ein golddurchwirktes Altartuch und die braune Elle hing fortan neben der Kanzel. Der Wald aber bekam seinen Namen und hat ihn behalten, als längst Schneiderlein, Altardecke und braune Elle vergessen waren.-

(Schluß folgt.)

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 39 – Sonntag, den 26. September 1926, S. 2