Unsere heimische Bauweise als Spielbild erzgebirgischer Natur.

Guido Wolf Günther.

Spiegelbilder der Heimat, – wie zahlreich seid ihr doch, und wie wenig deutet der Wanderer euch aus! Und gehört doch nicht allzuviel dazu, im Antlitz der Heimat zu lesen: ein wenig Verständnis für Ursache und Wirkung, ein wenig Phantasie und ein wenig Gemütsverbundenheit mit dem Mutterboden. Fast scheint es, als wachse diese Verbundenheit in dem Maße, wie wir uns von der Heimat entfernt aufhalten; als kläre sich der Blick für heimatliche Eigenart erst im Vergleich mit anderem Volkswesen: Ein Beweis scheint mir zu sein, daß ich, der Zugewanderte, für die Heimatfestschrift meines jetzigen Wirkungsortes den Beitrag schreiben soll, der im Rundgang das Gesicht der alten Muldenstadt den Heimatkindern deutlich zeigen soll, gleichsam, als hätten die Ortseingesessenen den Blick nicht so dafür. Und wie oft zeigen nicht auch uns Erzgebirglern ortsfremde Sommergäste erst recht, was wir an köstlicher Heimatschönheit haben? Der Abstand gibt bessere Wertmesser und schärferes Auge, die Gewohnheit und Nähe verwischt das Bild. –

So steigen gleich Visionen und doch greifbar klar Heimatbilder vor mir auf, die gedeutet sein möchten und erkannt als Zeugnisse erzgebirgischen Landes: die Siedelungsbilder aus Berg und Tal.

Besonders aufschlußreich, weil noch am wenigsten von der Gegenwart im Gepräge verändert, sind die Siedelungsbilder des Dorfes und es sei gestattet, im folgenden einige Wesenszüge der heimatlichen Bauweise nachzuzeichnen.

Es will zur erzgebirgischen Gemütlichkeit eigentlich wenig passen, daß in den meisten Dörfern die einzelnen Höfe verstreut liegen. Selbst dort, wo Reihensiedlungen manchmal in mehr als 5 km-langer Zeile das Dorf bilden, haben sich immer Außenseiter gefunden, die abseits und scheinbar ungesellig sich ansiedelten. Die gedrängte, in der Gemeinschaft Schutz suchende Ringsiedelung, die von den Slaven herrührt und z. B. auch die meistgesehene Dorfanlage im Niederlande darstellt, löst sich in unserer Heimat auf in die lockere, selbstständige Siedlungsform, die fränkische Bauern liebten. – Richtung, aber ganz unbetont nur, gibt eine Talmulde, deren Bach oder Fluß als Lebensader geführt wurde; im übrigen kuscheln sich in die Niederung lieber als Straßenhäuser die kleinen Besitzungen der Häusler, Handwerker usw., während die „Güter“ sich behäbig an den Hang hingelümmelt haben, wo sie Sonnenschein und Regen sozusagen aus erster Hand haben können. Immerhin, ganz regellos ziehen diese Siedelungslinien auch nicht, und die stillverschwiegene Poesie heckenverborgener „Kirchsteige“ und fliederduftender Gutswege verbindet in zwar krausen, aber bodengetreuen Linien den scheinbaren Wirrwarr. Wo aber die Talwände in den oberen Lagen keine Reihensiedlung mehr zulassen, da halten sich die Güter vornehm-ängstlich zurück und erlauben gnädigst, daß Kleinbauernhöfe und Häuslerwohnungen mit der frohgemuten Hoffnungsseligkeit vagierender Zigeuner hierhin und dorthin mitten hinein in kärgliche Kartoffel- und Haferfelder springen oder mit leuchtenden Fuchsien- und Storchschnabelblumenstöcken aus bunten Gebirgswiesen lugen. Immer wieder packt mich das Bild dieser ärmlich anmutenden Streusiedelungen, in denen doch oft ein so traulich Hausen ist und denen jeder Sack Kartoffeln, jede Schwinge Hafer Siegesbeute ist, die sie dem gebirgischen Winter abgerungen haben: was weiß der niederländische Landwirt vom Heldentum dieser Berufsbrüder, die er spottend „Kuh-“ oder gar „Karnickelbauern“ nennt? Ich kann hier nicht warm werden in Bauernhöfen, obgleich ich in der Gebirgsheimat schnell in jedes Bauern Stall und Scheune zuhause war; das mag eben daran liegen, daß dem niederländischen Bauern die eigentümliche Weihe fehlt, die der zähe Kampf um jeden Halm und die Mühsal des steinigen Bodens wirken. Daß ihm aber auch der Reiz fremd ist, den eine Wiese mit Gebirgsblumen und -kräutern bietet, aus der mit lustigen Fensterblitzaugen kinderumspielte Gütlein grüßen, in denen nie ein „Landauer“ zu sehen ist, weil die braven Kuhmotschen allweil zu bummelig sind für fröhliche Landpartien. Das ist Heimatantlitz, liebe Leser, und will geschaut sein in allen Zügen! Schön sind Großstadtpaläste voll blitzenden Prunkes, gewaltig sind Welthäfen voll stattlicher Ozeanriesen – zum Herzen aber spricht mit tausend Stimmen das Bild deines Heimatdorfes!

Und schau hin, wie die Häuser in ihrer Bauart ganz Heimat sind: wie sie sich hineinducken in jede Bodenfalte, damit sie der Gebirgssturm nicht umbläst wie Kartenhäuser spielender Kinder. Da gibt es nicht Herrenhäuser mit doppelreihigen Fensterfluchten, nicht Türme und Erkerchen und anderen baulichen Tand. Nein, stein- und holzgewordener Zweck nur ist jedes Hzaus, ernsthaft bedacht auf der Heimat Klima. Freilich, Steinriesen mit drei, vier Geschossen gibt es auch; doch die sind Industriebauten, haben nichts zu tun mit dem Gesicht der alten Heimat; schauen höchstens aus wie etwa eine Goldplombe in Großmütterchens Gebiß, – unorganisch. Unsere Heimathäuser lagern breitflächig auf der Scholle, niedrig, um dem Sturm keine Angriffsstelle zu biten, mit Bruchsteingemäuer im Mutterboden festgekrallt. Nicht aufs Prunken versessen, sondern aufs Schützen, nicht aufs Blenden erpicht, sondern aufs Nützen, – rechte Alltagsbauten, aber umglänzt vom Berghimmel und umduftet von tausend heilenden Kräutern. Berghäuselzauber, wie ihn unser Günther Anton so sinnig besingt! Und wirft der Winter in grobem Scherz seine Schneewehen hinein in die Siedlungen, so haben längst Häuser und Höfe die Wintermütze tief ins Gesicht gezogen mit schindel- und schieferbewehrtem Dach, das gern an die Berglehne hinterm Hause sich anschmiegt, weil dann die Buben so fein mit dem Ruschelschlitten vom Essenkopf hinab nach der Dachrinne flitzen können und weil’s so wunderlich verlockend ist, auf diese leichte Weise einmal den Eltern „aufs Dach steigen“ zu können! Dieses eigenartige Verschwimmen von Dach, Haus und Boden ist wohl einer der größten Reize im Siedelungsbild und zeigt die natürliche Verbundenheit zwischen Haus und Heimat ganz besonders deutlich. Aber Mutter Heimat liebt auch den Frohsinn; jenen trotzig-drolligen Humor, der gottseidank noch nicht erstickt ist unterm Unkraut krampfig-zotiger Witzelei der „modernen“ Zeit: die Heimat liebt es, Haus um Haus den „Regulatur“ anzuhängen, der überm Düngerhaufen schwebend, dem Hause unentbehrlich ist als verschwiegener Zeuge geregelten – Stuhlganges. Diese unbekümmerte Art, natürliche Dinge natürlich zu behandeln, sollte man nicht für plump und unfein ansehen, denn in der Verhüllung steckt oft mehr Unmoral als in selbstverständlicher Offenheit. So wirken diese Verdauungsbalkons wie Haarsträhnen, die lustig ins herbe Antlitz des Heimathauses fallen, auf daß es nicht zu ernsthaft wirke. –

Und heimattreu waren auch bei den alten Häusern die Baustoffe und sind es bei neueren wenigstens zum größten Teil noch. Wehrhaft gegen Frost und Quellwasser stemmt sich die Grundmauer aus Bruchwacken in den Boden. Hartgebrannt aus dem Lehm heimischer Gruben, gebunden durch den Kalk erzgebirgischer Herkunft, strebt die Ziegelmauer dem Dache zu, dessen Balkenwerk gewiß auch in den Bergwäldern wuchs. Hier und da lacht vielleicht auch wie mit blanken Zähnen Fachwerkgitter uns an, wenn nicht gescheiterweise die Wetterwände mit Schindeln oder Schiefer abgedeckt sind. Leider mußten Stroh- und Schindeldächer den Brandschutzbestimmungen weichen, obwohl sie bodenständiger sind, als die jetzt üblichen Schieferdächer mit ihren manchmal recht geschmacklosen Setzverzierungen, die im Heimatbild keine innere Berechtigung haben. –

Unsere heimische Bauweise, – kann sie nicht allerhand erzählen von unserer Heimatnatur? Wollen wir sie drum nicht hochachten und weiterpflegen und allen Heimatwidrigen im Bauwesen Fehde ansagen? –

„Dort stieht, net weit von Wald drvah, sieht klaa und ärmlich aus, ä Hütt’l, när aus Holz gebaut, dos is mei Vaterhaus!“

O, daß es recht wirken möchte, in allen Gebirglerherzen, der Segen des Vaterhauses!

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 31 – Sonntag, den 7. August 1927, S. 3