Teuerung und Hungersnot im Erzgebirge 1771 und 1772 (2)

(Fortsetzung und Schluß.)

Ferner teilt die erwähnte Zeitung später mehr mit: Bei einem Bereisen einiger Dorfschaften im Monat März fand ein gebirgischer Medikus zu Rittersgrün in einem Hause den Wirt mit seiner Frau und sechs Kindern in äußerster Armut, das siebente, eine Tochter von neunzehn Jahren, die für sich und die übrigen noch Brot verdienen konnte, war vor etlichen Wochen gestorben, eine Tochter von sechzehn Jahren lag seit einigen Tagen vor Hunger, ein Kind von neun Jahren an Hitze und Geschwulst, eins von sieben Jahren an der Auszehrung darnieder. Von zwei Broten, die der Hausvater in einer Woche noch verdienen konnte, und etwas Milch von seiner Kuh mußten sie alle leben. Seine Kinder zu retten, hatte er diese Kuh verkaufen wollen, aber nirgends einen Käufer gefunden. In einem andern Hause waren drei Genesene, aber der Hunger warf sie aufs neue nieder. Ein Hausgenosse war vor zwei Tagen verhungert, lag aber noch in dem Bette, in dem er gestorben war, weil Witwe und Kinder, alle ganz unbedeckt, nichts zum Sarge auftreiben konnten. Nicht weit davon lag der Wirt vom Hause abgemattet auf dem Boden, ohne etwas klagen zu können. Dessen Bruder mit seiner Frau nebst sechs Kindern waren seit sechs Wochen eins nach dem andern verhungert. – In Crottendorf fand man einen Hausgenossen, dem in der Nacht vorher ein Kind verhungert war, und zwei Kinder nebst der Mutter lagen verschmachtet dem Tode nahe. Aus eben diesem Hause war ein Knabe betteln gegangen, aber abends nicht heimgekommen. Tags darauf, da man das Haus öffnete, lag er tot vor der Türe, ohne Geld, ohne Brot usw.

Der Notschrei, welcher vom Gebirge her erklang, fand im ganzen Sachsenlande und darüber hinaus Widerhall, durch Spenden suchte man die Not zu lindern. Seit dem 12. Januar 1771 bis zu Ende 1773 sind allein aus dem Leipziger privil. Intelligenz Comtoir 25 726 Thlr. 6 Gr. 9 Pfg. bares Geld, 300 Scheffel Getreide, 37 Zentner Reis, auch viele Bücher und Kleidungsstücke an eingegangenen Wohltaten in unser Gebirge zu verzeichnen. Bereits im Januar 1772 bekam der Stadtrat zu Annaberg 100 Thaler von einem unbekannten Wohltäter in Leipzig, wovon 644 Brote, jedes zu 3 Pfund, an 399 Familien oder an 1052 Personen verteilt wurden. Chemnitz, Ehrenfriedersdorf, Eibenstock, Geyer, Johanngeorgenstadt und Schneeberg werden als die Schauplätze des größten Elends damaliger Zeit genannt.

Die immer hoffnungsreicher hervortretende Ernte des Jahres 1773 richtete endlich die fast bis zur Verzweiflung niedergebeugten Gebirgsbewohner wieder auf und half durch ihre gesegneten Gaben die letzte Not überwinden. Der Scheffel Korn, welcher 1772 mit 14 bis 15 Thalern bezahlt wurde, galt 1773 nur 5 Thaler und Anfang des Jahres 1777 nur 2 Thaler. Die Kartoffeln kosteten während der Hungerjahre der Scheffel 2 Thaler 18 Groschen, am Anfang des Jahres 1774 nur 6 bis 8 Groschen. In einigen Städten ließ man Gedenkmünzen schlagen, auf welchen die Getreidepreise in den Zeiten der großen Teuerung verzeichnet stehen. Das Annaberger Museum erzgebirgischer Altertümer besitzt deren mehrere, eine solche Bleimedaille aus dem Jahre 1772 zeigt z. B. auf der Vorderseite: Sachsens Denckmahl 1771. 1772. große Theurung, schlechte Nahrung. Die Rückseite besagt: Im Gebürge galt 1 Sch: Korn 13 Th: 1 Sch. Weitze 14 Th: 1 Sch: Gerste 9 Th: 1 Sch: Haber 6 Th: 1 Pfd. Butter 8 gr. 1 Pfd. Brodt 2 gr. In Geyer ward am 16. August 1773 mit dem Erntedankfest das ausgeschriebene allgemeine Dankfest für Rettung aus der großen Drangsal verbunden. Mit welcher Rührung und Inbrunst mögen die Geretteten daran teilgenommen haben!

Im September des Jahres 1773 bereiste der damalige Kurfürst und spätere König Friedrich August I. nebst Gemahlin und Gefolge das Gebirge, überall reiche Mittel und infolge seiner Teilnahme Trost spendend.

Von Marienberg ging am 1. September die Reise zu Pferde über Ehrenfriedersdorf, Geyer, Zwönitz, Lößnitz, Schlema nach Schneeberg und von da an demselben Tage wieder zurück nach Marienberg. Am 2. September war der hohe Herr in Annaberg. Dort wäre er beinahe verunglückt, weil das Pferd vor den Schüssen scheute, die man am Pöhlberge ertönen ließ, als er die Pöhlbergstraße aufwärts ritt.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 41 – Sonntag, den 23. Oktober 1927, S. 2