Guido Wolf Günther
Annaberg.
Es muß ein Bild vom alten Meister Menzel sein, das mir immer vorleuchtet, wenn ich an die Buntheit deines Lebens und Treibens denke, liebes Annaberg: Ein Markt, eingerahmt durch hochragender Patrizierhäuser schirmende Bedächtigkeit, und angefüllt mit dem kunterbuntesten Durcheinander von Farben, – Wochenmarktsfarbenrausch und bunte Schülermützen und dann die kleinen Mädels! Duftig, lustig, alles in Bewegung, alles in Freude. So schaust du aus, erlebnisreicher Marktplatz, wenn sommerlich‘ Glänzen von St. Annens Turmknopf heruntersprint in dein Gewühl, und die gute Barbara verstehend-weise die süßen Geheimnisse des Jungvolkes, das sich „zufällig“ an ihrem Brunnen trifft, für sich behält. – Wie lockst du aber auch, wenn im Glitzerglanz des Christmarktes ein grüner Wald von Weihnachtsbäumen die Budenreihen säumt und schenkensselige Menschlein durch die engen Brettergassen sich drängen, wo Meister Lahl und die vielen anderen guten Bekannten für Weihnachtsberg und Pyramide Himmel und Erde bereit halten in köstlicher Auswahl. Erzgebirgszauber, der nie wunderbarer aufleuchtet als ums Christfest! – Und dann die „Buchholzer“ dazu! Die enge Straße, die unsere Alten respektlos die „Buchholzer Gass“ nennen, und in der sich doch das ganze Deutschland, ja die ganze Welt treffen, soweit sie an Posamenten und Fransen und Gorl Freude haben. s‘ ist keine Ueberhebung, wenn man stolz Annaberg als Welthandelsplatz bezeichnet für diese Dinge! Nur daß Paris, die „Konkurrenz“, ein klein wenig größer sein soll und ein wenig mehr Vergnügen bietet; das ist aber auch gleich alles. Wenn es aber auf die Güte der Erzeugnisse ankommt, braucht sich unsere Industrie wahrlich nicht zu verstecken! – Die „Buchholzer“! Wie sich doch alle, Männlein und Weiblein, durchzwängen, als ob es nicht auch breitere Straßen in der Stadt gäbe! Aber nein, ohne „Buchholzer“ kein Annaberg! Was schiebt sich da nicht alles durcheinander: begüterte Fabrikanten knattern mit dem Auto durch die Mitte, unerwünscht oft gehindert durch rasselnde Lastwagen oder fluchende Kutscher, die die vielen Läden und Lädchen mit neuer Ware füllen sollen. Auf den Bürgersteigen aber eilen die ewig keine Zeit habenden „Verleger“ mit großen und kleinen Paketen hin und her und können es nicht verstehen, wie sich immer wieder Menschen stauen vor den Schaufenstern und wie immer wieder halbflügges Jungvolk flirtend inmitten der arbeitsamen Stadt sich sorglos seiner Jugend freut. Und dazwischen mit großer Ruhe und großen Markttaschen die Leutchen „vom Lande“, die in der Hauptstadt der Heimat große und kleine, nötige und – auch sehr unnütze Einkäufe besorgen. Nach getaner „Arbeit“ aber trifft sich Stadt und Land in den verschiedenen altbekannten Gaststätten, als da sind – doch nein, sucht sie selbst euch zusammen; den Reiz dürft ihr euch nicht entgehen lassen. Und über allem Gewimmel wacht Tag und Nacht die gewaltige St. Annenkirche, getreulich unterstützt von den kleinernen Schwestern am Markt und draußen am Friedhofe. Ehrwürdiges Alter und leuchtende Schönheit im Innern klingen zusammen zu einem unvergleichlichen Eindruck, der immer neu und gleich wuchtig auch den überkommt, der jahrelang jeden Sonntag in der Hauptkirche weilte. Annenkirchen-Romantik aber lockte mit tausend Widerhallen und jubelte auf mit tausend Stimmen, als jüngst Anton Bruckners Werk in ihr widerklang! Ich glaub‘, der alte Meister Anton droben hat den Gottvater selbst bei der Hand genommen und ihn hinuntergewiesen auf das schneeverbrämte Bergstädtel, aus dessen Kirche goldene Fülle heraufschwang aus Menschenmund und Orgelbrausen und Orchesterklang: Gottesdienst, wie er hehrer und seelenerfassender nicht gedacht werden kann. Und als ich am Abend heimfuhr, den zackengeisternden Greifensteinen zu, da lag die liebe Stadt weißverschneit an der Brust des dunkeldämmernden Pöhlberges, wie ein braves Kind nach wohlerfüllter Arbeit am Mutterherzen sich freut. Aus dem Häuserdunkel aber winkten tausend Lichter Abschiedsgruß, und wie eine Perlenkette lief die beleuchtete Pöhlbergstraße geradewegs in den blauschwarzen Himmel hinein! Mir aber ward’s zum Gleichnis dafür wie die Stadt des emsigsten Gewerbefleißes es versteht, den schönen, alltagauflösenden Künsten eine Heimatstatt zu geben und dadurch selbst sich mit tausend Ketten an den Himmel zu binden.
Reich rankt sich die Sage um die Orte zwischen Schreckenberg und Pöhlberg. Eng verwandt in ihrer Gründungsgeschichte, lassen die beiden Orte auch in ihren Gründungssagen sich nicht ganz trennen.
Schon 1471 hat der Grünhainer Mönch Peter Rosenkranz seinem Abte geweissagt, daß am Bärenstein und am Pöhlberg großer Bergbau aufkommen würde. – Zwanzig Jahre später schürfte Kaspar Nietzelt, ein in Frohnau wohnender Bergmann, am Schreckenberg auf Silber und fand am 27. Oktober 1492 erzhaltige Gänge. Die Aufschließung mag aber erst durch das Geld des in Geyer ansässigen Schmelzhüttenbesitzers Martin Pflugk oder Pflogk möglich geworden sein. Bei gleicher Gelegenheit ließ nun auch das Bergamt Freiberg am Schottenberg schürfen, und so wurde Frohnau zuerst bevölkert. Gründungszeit und Namensursprung sind in Dunkel getaucht, wenn anders nicht Frohnau als letzter Ausläufer der fränkischen Siedelungslinie Hermannsdorf – Dörfel zu gelten hat und sein Name vielleicht mit dem Wurzelworte „frono“ (herrschaftlich) oder „frohn“ (Herrendienst) verwan…t und Frohnau so das Dorf der Frohnarbeiter gewesen ist. Doch ist dies nur Meinung und kann keinen Anspruch auf urkundliche Begründung machen. –
Was die Gründung der großen Schwestersiedlung Annaberg angeht, ist auf dem Stein, der seit 1834 an der Außenseite der Neuen Sakristei angebracht ist, zu lesen, und in Bildern am kleinen Knappschaftsaltar von 1521 zu schauen: Daniel Knapp (wohl richtiger der Bergknapp Daniel) lebte in schwerer Sorfe um Brot und Wohnung. Da wird ihm im Traum eine göttliche Erscheinung: ein Engel zeigt ihm auf einem Baum ein Nest mit goldenen Eiern! – Seltsam erregt sucht der arme Häuer am anderen Tage im Walde nach solch einem Nest, – natürlich vergeblich. Als er ermattet und bitter enttäuscht heimkehren will, hört er eine himmlische Stimme, die ihm die Weisung gibt, das Nest in der Erde zu suchen. Ungläubig schlägt Daniel sein Gezäh in die Erde, – und o Wunder: er schürft eine stark silberführende Erzader auf! –
Schnell reiht sich nun Hütte an Hütte, und bald steht die „neue Stadt“ 1496 am Pöhlberghang, um vom Jahre 1501 ab Namen und Bild der St. Anna zu führen. –
Buchholz.
Dich sehe ich am liebsten, kletterfrohes Buchholz, wenn am Winterabend der Zug mich durch den Sehmagrund führt: Wie ein Riesen-Weihnachtsberg breitest du dich am Schottenberge aus, und wohl hunderttausend Lichtlein strahlen auf, wenn die Wintersonne schlafen ging. Wie zierlich die Häuser alle sich reihen, von Terrasse zu Terrasse sich schwingend, als hielten die Straße und Gassen wie spielende Kinder sich an der Hand! Wie pocht und hämmert es in und auf diesem lebendigen Weihnachtsberg, daß jeder Krippenschnitzer und Bergbastler seine helle Freude dran haben könnte. Wie stimmt es fein zum traulichen Bild, wenn durch die bunten Fenster der St. Katharinenkirche gedämpfter Schein fällt ins glitzernde Schneeweiß der Bergstadt! Selbst der Springbrunnen fehlt nicht im Weihnachtsberg; leider springt der silberne Strahl im Waldschlößchenteil im Winter nicht. (Dafür aber umso fleißiger im Sommer, wenn goldschuppige Fischlein sich munter tummeln im Perlenregen der Wasserkunst.) Im Sehmatale dagegen laufen Sommer wie Winter die Wellen über die Mühlräder, und fast meint man, das Geklapper der Mühlen müsse Klang sein aus der Bergsegenzeit, in der die Wasserkraft das Erz, das fleißige Bergmannshand in der Tiefe losschlug, zu Tage förderte. Zum Buchholzer Weihnachtsberg möchten solche Bilder gut passen, gelt? – Auf einen richtigen „Winkel“ gehören aber auch die Gestalten aus der Bibel; seit Kindertagen vertraut, später über duie Schulter angeschaut und – doch jedes Jahr gern und immer größer auf Krippe und Pyramide aufgestellt. „Dem Gotte trotzend, doch an Gottessehnsucht krank“ —. Nun, unser Buchholz zeigt wohl ebensowenig biblische Gestalten, wie es noch Bergleute in seinen Straßen sieht. Aber in St. Katharinen findet ihr ein ganzes Völklein beisammen aus der Heiligen Geschichte und den frommen Legenden. Und wenn in den Vespergottesdiensten Meister Wagner seine Zuhörer den Alltag vergessen läßt, so könnten uns auch die Bilder mancherlei Vergessen und Versinken bringen und lehren, die uns vom Altarplatz grüßen. Da predigt uns der heilige Franz davon, wie leicht sich doch verzichten läßt auf Weltfreunde und Welttrug, und sein Gesinnungsfreund Ludwig von Toulouse hat gar seine Krone geopfert und sieht sie ohne Reue zu seinen Füßen liegen, weil ihm das Gottesreich mehr wert dünkt. Dann der Drachentöter St. Georg und die heilige Margareta, ebenfalls den Drachen bekämpfend, uns mahnend, gleichfalls zu kämpfen gegen allerlei Drachen und Feinde unseres Innenmenschen. Weiter St. Christophorus, der sein Christuskind unbekümmert durch die Fluten trägt mit dem Ruf an uns, unser Christentum uns auch nicht verschlingen zu lassen vom Wellenschlag und Wogensturm der zweifelflüchtigen Gegenwart. Und über diesen und anderen eindringlichen Predigten die ewig tröstliche Zusicherung des „segnenden Christus“ am Altar selbst: Sollte das nicht genug Erbauung sein und lieblich Krippenspiel im weißschimmernden, lichterwinkenden Weihnachtsberg von Buchholz? – Daß doch recht viele vom Segen dieser stillen Heimaterbauung sich packen lassen möchten und die Stadt am Bergeshang ihnen doppelt teurer würde drum! —
Am 7. November 1501 schlossen sechzehn Bergleute, die in der Freiung zwischen Rathaus und vorderer Mühle ihre Hütten stehen hatten, den Bund zur Gemeinde im Buchenholz, von landesfürstlicher Gnade ermächtigt und beschützt. –
Kupfer, Zinn und Silber wurden gebaut; der Kupferbergbau mag wenig Ausbeute gegeben haben, denn seiner wird nur wenig Erwähnung getan. Zinnacker, Seifen und Schindelbach zeugen noch heute vom Bergbau, und alteb Zechennamen, wie St. Nicolaus, St. Anna, St. Conrad, St. Moritz, das Haueisen, die Geyrische Zeche und St. Dorothea sind in allen Urkunden rühmlich erwähnt; so brachte allein St. Dorothea im Jahre 1530 reichlich 250 000 Mark Gewinn! – Besonders bekannt geworden ist die Buchholzer Bergordnung, die 1507 erlassen wurde als Berggesetz, und den Grundriß gab zu vielen anderen Bergordnungen. – Ein Teil der Bergleute war beteiligt am Gewinn der Gruben; sie wurden im Gegensatz zu den Lohnhäuern Eigenhäuer genannt und brachten es wohl ab und zu durch bescheidene Lebenshaltung zu einigem Wohlstand. Eine „Aktiengesellschaft“ im kleinen, zerfiel jede Grubenbeute in 128 Anteile, die man „Kuxe“ nannte. Die Hauptanteile besaßen oft die Landesfürsten; die in der Gemeinde ansässigen „Aktionäre“ nannte man die „Bergherren“ oder „Gewerken“. Besonders berühmt durch seinen Wohlstand wurde der Bergrichter Matthias Busch; er scheint den Bergsegen aber auch mildtätigen Zwecken mit zugeführt zu haben. – Gearbeitet wurde in drei Schichten, die morgens vier Uhr, mittags und abends acht Uhr wechselten, immer vom Häuerglöckchen freundlich gerufen. –
Elterlein.
Wie stolz klang doch fast vor tausend Jahren dein Name: Quedlinburg im Walde! Wie klang’s nach Fürstenherrlichkeit und deutschem Ruhm, wenn dein alter Name genannt wurde! Nun aber erinnert uns das Städtchen Elterlein an braune Mönchkutten und Weihrauch und Messe, und der Klirrklang gewappneter Ritter wird übertönt vom Psalmensingen der Cisterziensermönche vom nahen Grünhainer Kloster. – Ein unbequemes Liegen hast du altes Städtel dir herausgesucht, so auf dem Rücken einer Anhöhe, von der du immer herabzugleiten drohst, und mir schien es wirklich einmal, als rutschten deine Häuslein nach dem Hammergrund hinab und ein riesiger Hammerschmied schlüge sie zu Schutt und Staub. Das war, als ich einstmals als zwölfjähriger Bub‘ „probeweise“ die Kühe hütete beim guten Müller-Albin in der „Jägersruhe“ und über dem Träumen und Sinnieren beinahe der Scheibenberger Zug in meine Herde hineingefahren wäre. Na, das Kühehüten habe ich damals aufgesteckt und weide jetzt Lämmer (auch oft Schafe) auf anderer Weide, doch das Erinnern ist mir geblieben an jene Stunden. Und ein ander Bild noch steht mir vor Augen: der Felsen, der rechts vom Hammergrund sich zeigt wie ein Kamel, das langgestreckt sein verdientes Mahl verdaut.
Siehst‘ bald aus wie ein Junge, dem seine Jacke zu eng geworden ist und dem die gute Mutter überall durch Fleck und Saum das Gewand verlängern wollte. Aelteste Zeit neben modernster Bauweise, die alte Postsäule unweit der Stelle, da die Eisenbahn höhnisch pfeifend vergangene Postkutschenherrlichkeit zum Narren hält. – Hermann Billings Sachsensiedler hatten wohl auch kaum an solches Ausmaß gedacht, als sie deine ersten Häuser dem wendischen Zwönitz so vor die Nase setzten. Und als der Silbersegen plötzlich deinen schon etwas in Vergessenheit geratenen Ruf wieder weckte, da kuschelten sich die Berghäuslein hübsch brav um St. Lorenz, St. Barbara, Segen-Gottes, Kurprinz, Mondschein, Fränzerei und wie sonst deine Zechen alle hießen, ohne sich vorlaut über die alte Stadtgemarkung hinauszudrängen.
Die Hussiten haben sich nicht gescheut, im Jahre 1429 deine Häuser zusammenzubrennen, so daß in der vollständig eingeäscherten Stadt niemand mehr hausen mochte. Hast’s schwer genug gehabt, altes Städtel; denn Brand und Pest haben dich gezehntet öfter, als viele deiner Schwestern. Aber du hast den Strauß bestanden und blickst mich heute im Abendrotschein aus vielen, großen Fabrikfenstern leuchtend an, als sei es dir gewiß, daß deine Zukunft aufwärts geht. Und des magst du recht haben: wie vor dem Rathaus deiner großen Patenstadt Quedlinburg der wehrhafte Roland als Wahrzeichen steht, so deutet dein Barbara Uttmann-Denkmal auf deinem Marktplatz auf ein fleißig‘ und geschicktes Völkchen! —
Ueber die Gründungsgeschichte dieses Städtchens wurde schon einiges in diesen Blättern berichtet. Was sich herausschälen läßt aus dem Geflecht von Sage und geschichtlicher Wahrheit, ist wohl folgendes:
Hermann Billung, einer der bewährtesten Helfer Ottos des Großen im Kampfe gegen die Slaven, erhielt Sachsen als Lehen und sah seine Hauptaufgabe darin, den slavischen Siedlungen möglichst nahe Siedlungen seiner Sachsen zu rücken, um das aufsässige Fremdvolk besser überwachen zu können. So gründete er auch Lößnitz und Zwönitz zu Trotz die Ortschaft, die wohl im Gebiet der heutigen Gemeinde Burgstädtel (bei Elterlein) gelegen haben wird. Selbst an der Gründung besonders Anteil bezeigend, gab er ihr den Namen seiner Heimat Quedlinburg. –
Durch einen nicht mehr festzustellenden Krieg wurden Stadt und Burg verwüstet, und in der Nähe entstand die Siedlung „Wüstung“, die die Grünhainer Mönche in ihren Büchern lateinisch mit dem entsprechenden Worte „Alter“ nannten. Daraus sei Elterlein geworden.
Die bekanntere Ableitung von Altar – Altärlein ist durch die Chronisten Albinus, Chr. Lehmann und v. Bellot genug verbreitet, um besonders untersucht zu werden. – Welche Meinung ist nun die richtige? Das Hauptstaatsarchiv scheint die „Altärlein-Gründung“ abzulehnen, denn 1899 stellte es auf Ansuchen das Wappen Elterleins fest in der vielen Städten gemeinsamen Art: Stadtmauer, Türme, Tor und Herrschaftsschilder (Burggrafen von Meißen und Herren von Schönburg). Also ausgesprochen die Sinnbilder aus der Städte-Erbauerzeit. Das frühere Wappen zeigt dagegen einen Altar mit zwei Leuchtern, deren Kerzen brennen.
Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 18 – Sonntag, den 1. Mai 1927, S. 1