Schwarzenberg am Ende des 16. Jahrhunderts (2)

(Fortsetzung und Schluß.)

Wir begleiten einen Viertelsmeister auf seinem Amtswege den er antritt, um auf Fleischer, Bäcker und Schänken, auf Ellen, Maß und Gewicht, auch aufs Feuerwerk und desselben gefährliche Stätte fleißiges Aufsehen und gute Acht zu haben.

Sonnabend-Nachmittag ist es, und heute mehr geschäftiges und geschäftliches Regen und Treiben denn sonst. Handwerker, die ihre Waren abliefern; Lebensmittel einkaufende Frauen, dann Kinder, mit einem Korbe dürrer Reiser bepackt, die sie im nahen Wald gefunden und endlich etliche nach glücklicher Schicht heimkehrende Bergleute begegnen uns. Hübsche Bürgerstöchter und fleißige Mägde bemühen sich, die Plätze vor den Wohnhäusern rein zu fegen und den Gassen, auf welchen sonst der Dünger fünf Tage lang liegen bleiben darf, ein netteres Aussehen zu verleihen. Arbeitsteilung auch hier: die einen tragen Wasser in hölzernen Kannen und Eimern, währnd die andern im Banne von Schaufel und Besen stehen. So erreichen die Dirnen trotz alles Schäkerns doch ihr Ziel; und es wird Zeit, denn der gestrenge Herr Viertelsmeister muß jeden Augenblick kommen! Und der im Gespräche mit des Pfarrers Köchin an der Gassenecke stehenden, für Stadtneuigkeiten ganz besonders empfänglichen Frau möge ihr guter Geist recht vernehmlich ins Ohr raunen: Es ist verboten, einem andern das Gesinde abspenstig zu machen oder zu verhexen und, sei es auf der Gasse, sei es in Häusern, es aufzuhalten und zu hindern, auch wenn es in ihrer Herren Geschäft verschickt wird! Da erscheint der Viertelsmeister – die Frauenkonferenz hat ein Ende.

Unser Führer gedenkt einem Fleischer einen Besuch abzustatten, um die Reinheit des Schlachthauses, der Gefäße und des Gewölbes zu prüfen. Wir folgen ihm und erfahren folgendes: Alle Fleischer müssen ansässig sein und sind verpflichtet, das Schlachtvieh den hiesigen Oekonomen abzukaufen. Mit dem Weidevieh dürfen sie dem Stadthirten nicht vor-, sondern nur nachtreiben. Wirbelflüchtiges, beinbrüchiges, wolfsbissiges oder gebrechliches Vieh darf überhaupt nicht geschlachtet werden, auch Kälber nicht unter drei Wochen alt.

Und nun ins Verkaufsgewölbe! Dort waltet der vom Rat verordnete Fleisch-Schätzer, wohl der Innungsobermeister, seines Amtes, wobei der Meister ihm in aller Freundschaft zur Hand geht im Gedanken daran, daß er Strafe büßen muß, wenn er oder die Seinen diesen Aufseher mit bösen, verdrießlichen und ehrenrührigen Worten anlassen. Unterdes bedient die Frau Meisterin, ein recht sauberes Weibsbild, die Kunden. Vor unserm Weggehen hören wir noch, wie der Meister zum Hausschlachten bestellt wird. Was wird ihm dafür? 2 Groschen für ein Rind, 4 Pfennige fürs Kalb – und mehr nicht!

Am frühen Abend finden wir uns in einem Bürgerhause, im Reiheschank, zum Glase Bier ein. Das Haus ist brauberechtigt und seinem Besitzer gestattet, einen Teil des gebrauten Bieres selbst zu verschenken. Nur Schwarzenbergische Dreipfennig-Gröschlein bereit halten, alter Freund, denn diejenigen, so zum Bier gehen und zechen wollen, sollen, alsbald ihnen der Wirt Bier gibt, Geld legen! –

Jetzt ist es neun Uhr und Beginn der Polizeistunde.

Kein Bürger darf, weder zur Sommer- noch zur Winterzeit, über diese Zeit hinaus Gäste halten oder ihnen Bier reichen, noch sie spielen lassen; und um solche Zeit soll ein jeder, sonderlich zur Winterszeit, mit einer Laterne still und ohne Geschrei nach Hause gehen. Weil auch wir zu den ordnungsliebenden Leuten gehören, wünschen wir allen eine gute Nacht!

Morgens um 3 Uhr erwache ich. Das Bergglöckchen auf dem Rathause, das sonst um diese Zeit erklingt und den Bergmann zur Schicht ruft, schweigt heute – es ist ja angebrochen der Sonntag, der Tag des Herrn. Deshalb läutet man auch um 5 Uhr die eine der beiden Kirchenglicken. So sei gegrüßt, du Tag stillen Friedens, im Hause und im Herzen! Und es will sich mir das Lied auf die Lippen drängen, das schon in meiner frühesten Jugend mir so lieb und wert war:

„Sieh an die Straße, still und rein;
heut‘ feiert alles, groß und klein.
Der Meister schloß die Werkstatt zu.
Willkommen, heil’ge Gottesruh‘!
Der Vater ruft, und Weib und Kind
zum Frühgebet versammelt sind.“

Bald regt sich’s auf den Gassen, fromme Christen wallen zum kleinen Gotteshause auf dem Friedhofe unterhalb des Rathauses.

Nach dem Gottesdienste ist eine Beerdigung. Deshalb warten wir eine Weile auf dem Kirchplatze, der zugleich Friedhof ist. Schon erklingen aus der nächsten Gasse die ernsten Weisen des Nikolaus Hermannschen Liedes: Wenn mein Stündlein fürhanden ist und soll hinfahrn mein Straße usw. Deshalb sichern wir uns einen Platz oben am Beinhause in der äußeren Ecke des Gottesackers. Aus dem Stande und Berufe der Träger kann man einen Schluß ziehen auf den Kreis, dem der Verstorbene angehörte, denn Handwerker werden von Fachgenossen, Bürger von Bürgern, Ratsherren von Viertelsmeistern zu Grabe getragen. – Auf Leid folgt Freud‘. Für den Nachmittag sind wir zur Hochzeit geladen. Den Glanzpunkt derselben bildet selbstverständlich die kirchliche Feier, an der teilzunehmen jeder Gast verpflichtet ist, nicht allein, um das Brautpaar zu ehren, sondern um die Heiligkeit des Ehestandes anzuerkennen. Im Hause feiert man nun das Festmahl, zu dem der Herr Bürgermeister Oswald Weigel auch einen Tischtrunk fremden Bieres gestattet hat. Wer an diesem Mahle teilnimmt, ohne bei der Kopulation gewesen zu sein, verfällt mit 1 Schock (Groschen) Strafe, zur Hälfte dem Gotteskasten und zur anderen Hälfte dem Rate. Daß die Wogen der Freude und Lust nicht allzuhoch gehen, dafür sorgen noch andere Bestimmungen, z. B.: Wie sich alle Gäste still und eingezogen überhaupt verhalten sollen, so haben sie dies auch zu beobachten, wenn sie zum Tanz auffs Rathaus gehen – alles in feiner züchtiger Ordnung! Niemand darf ohne Mantel oder mit entblößten Beinen tanzen, niemand sich verdrehen lassen noch verdrehen, oder andere Ungeberden treiben.

Doch genug, ich bin am Ende! Wem das Bild gefällt, der betrachte es gelegentlich noch einmal und halte dann das Bild von heute ihm entgegen.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 10 – Sonntag, den 6. März 1927, S. 2