Karl Stülpner, der Wildschütz (2)

In den Ruf, daß er hexen könne, brachte Stülpner folgende Begebenheit. Einmal war ein ganzes Streifkorps, worunter auch eine Menge Reiter der in Marienberg stehenden Kürassiereskadron sich befanden, gegen ihn aufgeboten worden. Sie kamen bis in die Nähe einer Stelle, wo Stülpner eben einen Hirsch erlegt und ausgeweidet hatte. Dicht dabei befand sich ein von Stülpner gut angelegtes und wohlverwahrtes Versteck. Als Stülpner gerade noch zu rechten Zeit die Streifenden durch den Wald sich nähern hörte, verschwand er im Versteck, diesem aber kamen die Jäger so nahe, daß Stülpner noch Einen zum Andern sagte hörte: „Herr Hofjäger Pätzold, es ist doch kein Hase, den einer schießt und steckt ihn in die Tasche und steigt damit auf einen Baum; sie haben mich heute das 18. Mal zur Streifung eingeladen, ich komme nicht wieder dazu; den Kerl hat der lebendige Teufel!“

Für kugelfest hielten die Leute Stülpner ohnedies, ja er selbst glaubte daran; auf der Wanderschaft wollte er von einem Mönch ein Mittel erhalten haben, das ihn „fest“ mache. Dies Alles, obwohl es vom Standpunkt der staatlichen Ordnung aus eigentlich zu bedauern war, denn Stülpner hatte Strafe verdient und sollte sie erleiden, gereichte dem kühnen Wilderer bei den Leuten nicht zum Schaden, noch zur Unehre, zum höchsten Ruhme aber gereichte ihm das Folgende.

Einmal jagte Stülpner in der Gegend von Stollberg. Da hörte er im dichten Wald fern von der Straße her einen Hilferuf. Er eilte hinzu und fand zwei Räuber über einem Weibe knieend, im Begriff, diese zu berauben. Es war eine Leinewandfrau aus der Zittauer Gegend. Sie hatte auf dem Stollberger Markt Leinewand feilgehalten und gute Geschäfte gemacht. Den Erlös ihrer Ware, 300 harte Taler, trug sie in einem Lederbeutel bei sich. Als sie ihre Straße zog, um wieder in die Heimat zurückzukehren, gesellten sich im Walde zwei Männer zu ihr und fingen ein Gespräch mit ihr an. Frauen sind ihrer Natur nach – die geehrten Leserinnen natürlich ausgenommen – leicht schwatzhaft. Die Frau verhelte nicht ihre Freude über das gute Geschäft, das sie gemacht, und ließ merken, daß sie das Geld bei sich trage. Da packten sie die Strolche bei den Armen, warfen sie nieder und suchten ihr das Geld, so sehr sie auch bat und flehte, mit Gewalt abzunehmen. Da erschien Stülpner als Retter in der Not. Er trat aus dem Wald auf die Straße vor. Ein Schuß, den er über die Köpfe weg abfeuerte, schreckte die Räuber empor. Dann trat Stülpner, in jeder Hand ein gespanntes Pistol haltend, vor sie hin und schrie sie mit der Stimme, die ihm eigen war, und die schon manchen zittern gemacht hatte, schrecklich an: „Wer einen Schritt vorwärts tut, der kommt nicht lebendig von der Stelle. Ihr also seid die Schandbuben, die auf meinen Namen Straßenraub ausüben! Wartet, ich will euch mores lehren! Sogleich legt ihr das der Frau geraubte Geld hier vor mir nieder, ohne einen Pfennig zurückzubehalten, geht dann auf diesem Wege hier, ohne euch umzusehen, der Grenze zu und, wenn ich einen von euch beiden wieder auf sächsischem Boden treffe, so fliegt euch eine Kugel durch den Kopf!“ Jetzte wollten sich die Räuber aufs Unterhandeln legen, aber Stülpner richtete nur die Pistolen auf sie und wollte losbrennen. Da mußten die Räuber wohl oder übel das gestohlene Geld hergeben. Sie warfen den Beutel, aus dem die Taler nur so herausrollten, auf die Straße und machten sich aus dem Staube. Aber auch von der Frau, die inzwischen wieder zu sich gekommen war und Stülpner nicht genug danken konnte, nahm Stülpner keine Belohnung an, sondern bedang sich nur aus, daß sie überall, wohin sie komme, den Hergang der Wahrheit gemäß berichte und nicht vergesse, zu erwähnen, daß Stülpner ihr Retter geworden sei, damit man sehe, daß dieser kein schlechter Mensch und vor allem nicht ein Dieb oder Straßenräuber sei, wie Manche ausgesprengt hatten.

Ein andermal, als Stülpner in dem großen Raitzenhainer Walde jagte, begegneten ihm zwei Reisende, die von der Straße abgekommen waren und sich verirrt hatten. Die Nacht brach schon herein und die Männer fürchteten sich, denn sie hatten gehört, daß Stülpner in der Nähe sein Wesen treibe und dieser war ihnen im Niederlande als ein Räuber dargestellt worden. Dies gestanden sie Stülpner, den sie in seinem grünen Rocke für einen Förster hielten, ganz offen ein. Zugleich baten sie ihn, sie aus dem Forst heraus und auf die Landstraße zu bringen. Stülpner entgegnete, daß dies in der Nacht unmöglich sei, versprach ihnen aber, sie zunächst an einen sicheren Ort zu bringen, wo sie bei ihm nächtigen könnten; am Morgen wollte er sie weiter geleiten. Dann führte er sie noch tiefer in den Wald hinein bis zu einer Art von Höhle unter der Erde, deren Eingang so wohl versteckt und verwahrt war, daß Unberufene ihn nimmer hätten finden können. Hier lud er sie ein, einzutreten. Wohl kam den Wanderern dies verdächtig vor und sie zögerten, seiner Einladung zu folgen. Aber was wollten sie machen, waren sie doch einmal ganz in seine Hand gegeben. Also traten sie in das unterirdische Gemach ein und fanden dasselbe wohl ausgestattet mit mancherlei Vorrat, mit Fellen von Hirscheb und Rehen, mit schönen Gewehren und Hirschgeweihen. Dann setzte ihnen ihr Wirt einen kräftigen Imbiß von schwarzem Brot und kaltem Wildbret vor und ließ sie aus einer Flasche Branntwein trinken. Zuletzt hieß er sie sich auf Fellen niederlegen und ruhig schlafen bis zum Morgen, wo er weiter für sie sorgen werde. Am Morgen aber, als der Tag kaum graute, die Sternlein standen noch am Himmel und fern im Osten zeigte sich nur erst ein gelber Streifen, der das Nahen des Himmelslichts verkündete, da weckte Stülpner seine Gäste, bewirtete sie noch einmal und führte sie dann in der gewünschten Weise auf die Straße, wo er sich mit freundlichem Gruß von ihnen verabschiedete und unter ausdrücklicher Ablehnung jedes Dankes nur das eine sich erbat, daß sie fernerhin Stülpnern nicht für einen schlechten und gefährlichen Menschen halten und diesem Gerücht überall kräftig entgegentreten sollten, denn eben dieser Stülpner sei diese Nacht ihr Wirt gewesen.

Ganz besonderes Aufsehen aber machte es im Lande und trug hernachmals nicht am wenigsten dazu bei, daß ihm die Gnade seines Landesherrn zuteil wurde, als Stülpner einmal – es war in der Nähe der Heinze-Bank bei Marienberg – die königliche Post davor bewahrte, von Räubern ausgeraubt zu werden. Stülpner befand sich eines Abends auf dem Anstand. Da hörte er von ferne auf der Straße den Postwagen sich nähern, der Postillon blies ein lustiges Lied. Plötzlich, mitten im Satz, brach er ab. Das Horn erklang nicht mehr, der Wagen hielt, Stülpner hörte einen dumpfen Fall. Rasch sprang er hinzu. Er sah, wie drei Straßenräuber den Postillon vom Pferde gerissen hatten und eben im Begriff waren, ihm den Garaus zu machen. Stülpner schoß seine Flinte auf sie ab und verjagte sie dadurch fürs erste. Doch beobachteten sie aus dem nahen Gebüsch, was weiter geschehen würde. Stülpner eilte nun hinzu und befreite den Postillon, dann stürzte er sich, die Pistolen in den Händen, noch einmal auf die Räuber und zwang sie durch scharfe Schüsse sich noch weiter in den Wald hineinzuflüchten. Nun stellte sich heraus, daß im Postwagen nur ein Handwerksbursche war, den der Postillon als blinden Passagier, d. h. unentgeltlich, mitgenommen hatte außerdem aber ein Fäßchen mit Geld, das nach Marienberg bestimmt war. Auf dieses hatten es die Strolche abgesehen gehabt. Als alles wieder in Ordnung war, schwang sich Stülpner auf den Bock und begleitete die Post, denn der Postillon fühlte sich noch immer nicht sicher, bis nach Marienberg, vor dessen Toren er sich verabschiedete, ohne auch nur ein „Dank schön“ anzunehmen.

Diese und ähnliche Handlungen söhnten endlich auch diejenigen mit ihm aus, die ihm um seines Wilderns willen mit Recht zürnten, und verschaffte ihm Freunde bis in die höchsten Kreise hinauf. Vor allen Dingen nahm sich jetzt der Schloßherr von Scharfenstein, Major von Einsiedel, seiner an und suchte ihm, da auch Stülpner Reue zeigte und endlich gern sein unstetes Leben aufgegeben hätte und in die menschliche Gesellschaft zurückgekehrt wäre, die Gnade des Landesherrn auszuwirken. Das ging aber nicht so leicht, zu oft und schwer hatte sich Stülpner gegen die Gesetze vergangen und einem Fürsten kommt es zu, nicht allein mild, sondern, wo es not tut, auch streng zu sein. Unser damaliger Landesfürst aber, Friedrich August, hieß nicht umsonst „der Gerechte“. Ehe also der König noch Gnade hatte walten lassen können, verübte Stülpner einen neuen Streich, der ihm indes Dank des Eintretens des Herrn von Einsiedel und anderer hoher Gönner nicht so angerechnet wurde, wie dies sonst wohl der Fall gewesen sein würde.

Der damalige Gerichtsdirektor in Thum war Stülpners unversöhnlicher Feind, der ihm schon manche Kränkung zugefügt hatte. Er vor allem war schuld, daß man Stülpner s. Zt. unter die Soldaten gesteckt hatte, obwohl er der einzige Sohn einer Witwe und deren Ernährer war. Auch später zeigte er sich Stülpner gegenüber unversöhnlich und, was Stülpners Zorn am meisten entfachte, war hart auch gegen dessen alte Mutter. Dabei half ihm sein Gerichtsdiener, den Stülpner für einen besonders feigen und heimtückischen Menschen gehalten zu haben scheint. Gegen diese also wandte sich Stülpners Grimm bei einem bestimmten Anlaß mit ganz besonderer Heftigkeit.

Stülpner hatte sich auf das Versprechen des Herrn von Einsiedel hin, ihm die Gnade des Landesfürsten auswirken zu wollen, wieder nach Scharfenstein begeben. Er hielt sich ruhig und niemand behelligte ihn. Nur der Gerichtsdirektor in Thum schien von dem stillschweigenden Abkommen, Stülpner zu verschonen, nicht zu wissen. Er schickte Häscher und zuletzt eine ganze Abteilung Soldaten gegen ihn aus. Wir wollen’s nicht lange machen. Die Soldaten und mit ihnen eine Anzahl Forstbeamte und der Gerichtsdirektor selbst mit seinem Büttel kamen nach Scharfenstein. Das Dorf ward besetzt, Stülpners Haus durchsucht; der Vogel war ausgeflogen, doch nicht entflohen. Ganz allein warf sich der Wütende seinem Peiniger und dessen Häschern entgegen, und so groß war der Schrecken seines Namens und die Furcht vor seiner niemals ihr Ziel verfehlenden Kugel, daß die Soldaten unverrichteter Dinge wieder abzogen und der Gerichtsdirektor nicht der Beschimpfung und nur mit knapper Mühe tätlicher Mißhandlung entging. Am schlimmsten aber erging es dem Büttel, den Stülpner, als er ihn einmal allein traf, mit dessen eigenen Rohrstock dermaßen bearbeitete, daß der Büttel für diesmal von Scharfenstein zurück nach Thum mehr kroch, als lief und niemals wieder kam.

Endlich traf aber doch die Begnadigung ein. Stülpner wurden die Strafen wegen Desertieren und Jagdfrevels nachgesehen, aber er wurde wieder unter die Soldaten gesteckt und mußte von neuem beim Chemnitzer Regiment eintreten und darin dienen noch viele Jahre lang. Das war freilich hart, zumal da Stülpner inzwischen geheiratet hatte. Eine Jugendgeliebte, die Tochter des Ortsvorstehers in Scharfenstein, ward sein Weib. Endlich aber, nachdem Stülpner nach 18jähriger Dienstzeit den Abschied, den er gefordert und der ihm früher versprochen worden war, nicht erlangen konnte, desertierte er noch einmal. Er ging nach Böhmen, wo er sich in der Nähe von Sebastiansberg auf dem Christoph-Hammer eine Schänke pachtete. Dort ging es ihm leidlich, aber er sehnte sich doch nach Sachsen zurück, denn was ein richtiger Sachse ist, der mag außerhalb Sachsens nicht gern leben. Nicht wahr, lieber Leser, es ginge uns eben so?

Also benutzte Stülpner den Umstand, daß 1813 beim Anrücken der Verbündeten gegen Napoleon Sachsen Generalpardon erließ, um in die Heimat und zwar zunächst nach Scharfenstein zurückzukehren. Hier leistete der starke und kühne Mann sofort gute Dienste gegen die Marodeure, die damals das platte Land heimsuchten, wie gegen die anmaßenden fremden Truppen, vor allen Dingen die Kosaken. Er befreite wiederholt Scharfenstein und Griesbach von diesen Unholden und ward darum in der ganzen Gegend gefeiert.

1814 ließ er sich in Groß-Olbersdorf nieder, doch traf ihn hier wiederholt Mißgeschick. Das größte war das, daß er dort zuerst auf einem Auge und dann so gut wie ganz erblindete. Dadurch gerit er auch in Not, aus der ihn jedoch wiederholt gute Freunde und Gönner, deren sich der merkwürdige Mann gar viele gewonnen, befreiten. Im Uebrigen blieb Stülpner körperlich rüstig bis ins hohe Greisenalter, bis er am 24. September 1841, und zwar in seinem Geburtsort Scharfenstein, starb. Er hat ein Alter von 79 Jahren erreicht.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 49 – Sonntag, den 5. Dezember 1926, S. 1