Goethes Beziehungen zum Erzgebirge und zu Erzgebirgern.

Von Guido Wolf Günther.

Dem Herrn Literaturgeschichtler „vom Fach“ mag es meinetwegen ein mitleidig-spöttisches Lächeln entlocken, wenn er aus der Ueberschrift ersieht, daß wir unbekannten Erzgebirgler den Dichter des „Faust“ irgendwie in „Beziehungen“ zu uns zwängen wollen. Gewiß wäre es unwürdig, aus „Lokalpatriotismus“ übler Art Zusammenhänge bilden zu wollen, die wissenschaftlicher Nachprüfung nicht standhalten. Wenn ich es dennoch unternehme, im Geburtsmonate Goethes seiner Beziehungen zu unserer Heimat zu gedenken, so tue ich es nur auf Grund einwandfreier Urkunden. Sie zusammenzutragen ist nicht einfach, aber stets reizvoll; was aus ihnen für uns Erzgebirgler wesentlich ist, sei im folgenden gern dargeboten.

Als Dichter, als „Künstler“ schlechthin kommt Goethe für unsere Untersuchung nicht in Frage; das sei im voraus klargestellt! Wir haben es vielmehr zu tun mit dem äußerst vielseitigen, klugen Berater Herzog Karl August’s, der zu vielen Aemtern auch das der Verwaltung des Ilmenauer Bergwerkes trug. In dieser Eigenschaft als Bergbau-Inspektor trat Goethe in vielgestaltige Beziehungen zum erzgebirgischen Bergbau und scheute auch die Mühen einer Reise nicht, wenn es galt, wichtige Aufschlüsse sich zu verschaffen. —

Sichtbarste Zeugnisse für Goethes bergbauliches Interesse sind die zehneinhalbtausend Gesteinsproben aus aller Herren Länder, unter denen sich eine große Anzahl Stücke aus unserer Heimat befinden. Als Fundorte sind da verzeichnet: Johanngeorgenstadt, Zwickau, Planitz, Schneeberg, Neustädtel, Zschorlau, Eibenstock, Sosa, Breitenbrunn, Aue, Schwarzenberg, Bockau, Langenberg, Lauter, Bernsbach, Raschau, Scheibenberg, Oberwiesenthal, Annaberg, Wiesenbad, Schmalzgrube, Zöblitz, Marienberg, Wolkenstein, Ehrenfriedersdorf, Stollberg, Zschopau, Altenberg, Zinnwald, Brand, Freiberg, Bobritzsch, Naundorf, Tuttendorf, Halsbrücke, Buchholz, Geyer, Pobershau und Großschirma. – Gewiß wollen solche Steinstücke an sich keine Ansprüche an den Sammler beweisen, denn sie können ja Austauschstücke sein, aber sie runden das Bild ab, das im folgenden gezeichnet wird.

Am 25. Juni 1785 geht Goethe mit seinem Freunde von Knebel auf die Reise nach Karlsbad, wo er u. a. mit Frau von Stein zusammentraf. Auf der Rückreise besucht der Dichter das Erzgebirge und schreibt von Johanngeorgenstadt am 18. August 1785 in einem Brief an Frau von Stein, die vorausgereist war: „Morgen geh ich nach Schneeberg, sehe mich unter der Erde um, wie ich hier auch getan habe, dann will ich eilig nach Hause.“ – An Knebel schreibt Goethe dann am 1. September: „In Joachimstal bin ich nicht eingefahren, hingegen habe ich mich viel in Johanngeorgenstadt umgesehn. In Schneeberg ist wieder verboten, Fremde unter die Erde zu lassen. Das Cabinett des Bergmeisters Beyer ist dagegen höchst interessant: Speckstein, Hornstein, Feldspathkrystalle in Menge; Du würdest nicht weggekonnt haben! – Die versagte Grubenfahrt in Schneeberg ermöglichte Bergmeister Beyer für das nächste Jahr, indem er beim Geheimen Finanzkollegium in Dresden berichtete, „daß der herzogl. Sachßen Weimarische Geheime Rath von Göthe ansuchen lassen, ihm bey seiner über Schneeberg vorhabenden Rückreise aus dem Karlsbade die Gelegenheit zu Befahrung einiger Zechen dasiger Refiere zu noch mehrerer Erweiterung seiner Kenntnisse in der Gebürgs-Kunde zu verschaffen“. Und „vor dieses mahl“ bewilligte ein hohes Finanzkollegium, daß Goethe einfahren durfte! Unterm 13. August erfährt Knebel die Bewilligung mit folgenden Worten von dem wieder in Karlsbad weilenden Goethe: „Von Dresden aus habe ich die Erlaubnis, in Schneeberg anzufahren, welches mich sehr freut und eine ganz besondere Gunst zeigt. Da werde ich denn also die Kobolde in ihrem eigensten Hause sehen und das Innere eines Gebürges, das mir höchst interessant ist.“ Was den regen Geist Goethes, der die Welt im kleinsten Ding erfaßte, in Schneebergs Bergwerken alles erregte, hat er in einer Art Depeschenstil in ein Heft eingetragen, das viele Lücken enthält, um vermutlich über Tag ausgefüllt zu werden.  Aus einem Briefe vom 16. August an Frau von Stein nur dies: „Hier hab ich viel Interessantes gesehen, nur zu viel für die zwei Tage -. Es ist mir recht bunt im Kopfe von den Ideen der zwei Tage.“ (Für Biographen Goethes ist hier besonders bemerkenswert, daß in Schneeberg Goethe anläßlich dieses Besuches zum letztenmal mit Frau von Stein zusammen war, ehe er – von Karlsbad aus – seine Reise nach Italien antrat, die zur Entfremdung zwischen Frau von Stein und dem Dichter führte. So erscheint die kleine Bergstadt als Schicksalsort in Goethes Leben!)

(Fortsetzung folgt.)

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 35 – Sonntag, den 29. August 1926, S. 3