Goethes Beziehungen zum Erzgebirge und zu Erzgebirgern (2)

Von Guido Wolf Günther.

(Schluß.)

Weitere Reisen ins Erzgebirge unternahm Goethe wohl meist in Verbindung mit seinen Badereisen nach Karlsbad und Marienbad, in den Jahren 1795 und 1806 bis 1823. Auf der näher bekannten Reise von 1810, die Goethe vor allem nach Freiberg führte zum Besuche des Berghauptmanns von Treba, hat der allseitig interessierte Herr Geheimrat Goethe auch Chemnitzer Spinnereien besichtigt, während die Fahrt von 1790 nur zu ganz flüchtigem Besuche Freibergs geführt hatte. – 1813 machte Goethe einen kurzen Abstecher nach Tharandt; am 10. Juli des gleichen Jahres fuhr er von Teplitz aus nach Graupen, Zinnwald und Altenburg-Geising, wo ihn das Zinnvorkommen ganz besonders interessierte. (In seiner Reisebeschreibung lese man die ausführliche Schilderung der Grube Vereinigt-Gewitterfeld und die Landschaftsschilderung selbst nach!) Während ganz Europa lauscht, was Napoleon für Pläne schmiedet während des Waffenstillstandes, klettert Goethe mit dem Steinschneider Mende in den Altenberger Zinnbergwerken umher und findet ein Stückchen Syenitporphyr offenbar reizvoller als das ganze Welttheater –. Wie ernsthaft Goethe die Studien bei Altenburg-Geising betrieben hat, beleuchtet eine Begebenheit aus dem Jahre 1816: Mit viel Gepränge wurden in einem Weimarer Kalkbruche Steine und Versteinerungen gezeigt, deren Fundstelle gesteinskundig sehr auffällig war und aus deren Vorhandensein dem Landesherrn Karl August alle möglichen Hoffnungen erweckt werden sollten. Goethe aber bewies seinem fürstlichen Freund klipp und klar, daß es sich um sogenannte Berylle handle, die nur im Altenberger Revier vorkommen und zu irgendwelchen gewinnsüchtigen Zwecken in jene Kalkgruben geschmuggelt worden waren! Goethe war nicht der „Salonbergrat“, als den ihn manche kleinen Geister, die des großen Menschen weitragenden Verstand nicht begreifen können, hinstellen möchten, sondern er hat mit wahrer Leidenschaft sich in den spröden Stoff der Gesteinskunde hineingearbeitet. – 1814 ließ sich Goethe Erzstufen von Ehrenfriedersdorf und Geyer durch Berghauptmann von Tebra schicken und in einem an Knebel gerichteten Brief vom 29. Jan. 1814 schreibt der Dichter: „Tebra hat angefangen zu senden; nun weiß ich auch, wie es in Annaberg aussieht!“ –

Nehmen wir zu diesen „greifbaren“ Zeugnissen noch die mannigfachen Beziehungen, die Goethe zu Erzgebirglern persönlich oder im Briefwechsel anknüpfte, so gewinnt unser Unterfangen, zwischen Goethe und unserer Heimat Bänder zu schlingen, noch mehr Berechtigung.

Der erste Erzgebirgler sei mit Georg Agricola genannt, über dessen bergwissenschaftliche Werke im 2. Band der „Farbenlehre“ Goethe höchst lobend sich ausspricht; das Werk „De natura eorum, qual efflunnt ex terra“, das den gelehrten Chemnitzer Arzt (1494 in Glauchau geboren) zum Verfasser hat, mag Goethes Farbenlehre mit beeinflußt haben. – Im Schneeberger Tagebuch (s. o.) erwähnt Goethe u. a. auch einen „Geschworenen Baldauf -, sehr geschickt im Maschinenwesen.“ Karl Gottfried Baldauf, ein geborener Marienberger, war 1785-1795 Berggeschworener, dann bis 1801 Obereinfahrer in Schneeberg, wo er 1805 starb. 1790 kam er als Bergsachverständiger nach Weimar, bezw. Ilmenau und wurde von Goethe beim Herzog eingeführt mit den Worten: „Baldauf ist angekommen; ein wackerer Mann, mit dem wir den unterirdischen Stegbau zu bezwingen hoffen.“ – Als geborenen Erzgebirgler, mit dem Goethe auch öfters verhandelte, nenne ich weiter Johann Gottlob Gläser, 1721 in Gelenau geboren, Bergmeister zu Suhl, Voigtsberg und Bottendorf; ausgebildet auf der Freiberger Bergakademie, als Berg- und Hüttenkundiger gleich geschätzt. – Im Ilmenauer Bergwerk selbst hatte Goethe folgende Erzgebirgler für längere oder kürzere Zeit in Dienst gestellt: Johann Gottfried Otto, gebürtig aus Popershau, als Werkmeister. – David Süß vom Markus Röhling-Stollen bei Annaberg und Johann Gottfried Schreiber vom „Glücksgarten“ bei Marienberg, gehen als „Kunststeiger“ 1789 nach Ilmenau. – Als Bergmeister starb Johann Gottfried Schreiber aus Marienberg, im Jahre 1794 in Ilmenau und der dritte Schreiber mit den gleichen Vornamen, ein Freiberger, nahm in den Jahren 1776 und 1777 das Kartenbild des Bergbaugeländes von Ilmenau auf. –

Die Namen, die sich unmittelbar an die von Goethe hochgeschätzte Freiberger Bergakademie anschließen, wie die von Schneeberger Bergsachverständigen, mit denen der Herr „Geheimrat“ sich wiederholt mündlich oder brieflich über bergbauliche und hüttenkundliche Fragen auseinandersetzte, seien nur erwähnt, um den Rahmen dieser heimatgeschichtlichen Plauderei nicht zu weit zu spannen: Bergmeister Adolf Beyer, Schneeberg; Aug. Friedrich Breithaupt, Oberbergrat in Freiberg; Bergkommissionsrat Friedrich Wilhelm Charpentier, Freiberg; Direktor Heinrich Cotta, Fortsakademie Tharandt; Bergrat Karl Bernhardt von Cotta, Freiberg (Sohn des vorgenannten); Berghauptmann Joh. Karl Freiesleben, Freiberg. – Als Dreigestirn bergbaugeschichtlicher und überhaupt gesteinskundlicher Wissenschaft leuchten im Erzgebirge weit über allen genannten Männern die Namen Abraham Gottlob Werner, Sigismund August Freiherr von Herder (Joh. Gottfried Herders Sohn) und Friedr. Wilh. Heinrich von Tebra, – daß Goethe mit allen dreien lebhaften Gedankenaustausch hielt, bezw. seine Ilmenauer Aufgaben mit ihrer Hilfe löste, soll als Ausklang unsere Betrachtung schließen.

Durch sechsundfünfzig Jahre hindurch zogen sich die Fäden, die Goethe, den Naturwissenschaftler, mit unserer Heimat verbanden und stolz dürfen wir Gebirgler behaupten, daß der Große von Weimar auch in unseren Bergen Anregung und Lebenswerte empfing! Und das einmal wieder wachgerufen in unserer rasch vergessenden Zeit, schien mir wert, einige Mühe daran zu wenden! —

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 37 – Sonntag, den 12. September 1926, S. 2