Beim Gottlob im Buchholzer Felsenkeller (2)

Von L. B.

Fortsetzung und Schluß unseres Artikels in Nr. 33 der Erzgebirgischen Heimatblätter.

Seinem Aeußeren nach war Gottlob, wir dürfen seiner wohl noch etwas eingehender gedenken, von mittlerer Größe und schmächtiger Gestalt; sein mehr schmales und etwas eckiges Gesicht war umrandet von einer melierten Schifferkrause; die Augen blickten gut und freundlich. Seinem Wesen war gelassene Ruhe eigen. Heftig und aufgeregt hat ihn keiner gesehen. Auch bei innerem Aerger blieb er nach außen maßvoll. Einem hin und wieder bei ihm einkehrenden Gast, der gern nörgelte und bei dem es wegen Kleinigkeiten leicht zu Explosionen kam, sagte er ernstfreundlich in größter Ruhe: „Herr N. N., Sie sind mir kein lieber Gast!“ Das ist wohl die schärfste Aeußerung gewesen, die in der Gaststube aus seinem Munde kam. Was er seinen Gästen von den Augen absehen konnte, tat er. Selbst ein gemütlicher und gemütvoller Erzgebirger, ging von ihm ein Hauch der Gemütlichkeit aus, der wesentlich dazu beitrug, dem Felsenkeller sein Gepräge zu verleihen.

Am frühen Vormittag stand er in Hemdsärmeln und blauer Schürze hinter dem Schanktisch und wusch und polierte die „Bierseidel“, so wurden die Gläser auch noch benannt, als Kanne und Seidel durch den Liter als Maße verdrängt worden waren, oder er reinigte die Leitung, durch die das Bier aus dem Keller im Felsen unten herauf kam, oder er putzte die Messinghähne an der Leitung. Wenn dann später Gäste kamen, empfing Gottlob sie in schwarzseidenem Halstuch, über das die weißen Spitzen vom Vatermörder herausschauten; auf dem Kopfe trug er nicht selten ein Sammetkäppchen, im übrigen kleidete ihn dann ein bequemer Jackettanzug.

Letzter Kneipenabend beim Burkert Lob
Von links nach rechts: stehend: Aug. Rolle; sitzend: Albin Möckel, Nep. Krocker, Th. Mittag, Aug. Breitung, ehemal. Süße Löchel-Wirt Herold, Emil Bergner, Steinsetzmstr. Weißflog, Malermstr. Andersen, Emil Fiedler, Gasdirektor Sachse. Rechts stehend: Zoll-Uhlmann, Gottlobine Burkert, Burkert jun., Paul Glänzel, Breitung jun.

Gern erzählte Gottlob bei passender Gelegenheit aus seinem früheren Leben. Er erzählte, wie er im Zirkus der „Madame Brüllow“ tätig gewesen war, noch mit greisem Haar sprach er mit einer gewissen Verehrung und Bewunderung von ihr; er berichtete, wie er auf einem holländischen Schiff „über die Linie“ gefahren sei; gern sprach er von der Zeit, in welcher er Badegäste von Annaberg nach Karlsbad mit der Kutsche gefahren hatte. Wenn er auf seine Kutscherzeit zu sprechen kam, da merkte man ihm an, daß das eine schöne Zeit gewesen sein mochte, aber gerade hierbei klang zuletzt eine gewisse Wehmut aus seinen Worten, und schnell brach er dann nicht selten mit der bittern Bemerkung ab: „Nichts, nichts – junge Kutscher, alte Bettler!“ worauf er sich rasch am Büfett zu schaffen machte oder einen Gast fragte, ob er ihm noch etwas zu trinken bringen dürfe. Eine gewisse Berühmtheit hatte Gottlobs Erzählung von seiner Kreuzung des Aequators erlangt, und immer und immer wieder mußte er sie zum besten geben und dabei erklären, was es um die „Linie“ eigentlich für eine Bewandtnis habe. Unter umständlicher Zuhilfenahme eines Atlas demonstrierte Gottlob dann, daß es sich in der Wirklichkeit beim Fahren über diese nicht um eine im Meere sichtbare Linie handele, die um den „Erdball“ gezogen sei, sondern – und nun kam, was darunter zu verstehen wäre, „Erdball“ übrigens ein Ausdruck, dessen Gottlob sich, wo es anging, mit besonderer Vorliebe bediente, und wenn es geschah, lag in diesem Wort zugleich ein Ausdruck tiefen, bewundernden Gefühles für die Größe und Erhabenheit der Welt wie ihres Schöpfers. Daß man sich einen Scherz erlaubte, wenn man ihn zu einem Vortrag über die Linie animierte, wußte Gottlob, und nicht jeder fand Gehör; aber er war kein Spaßverderber, und so ging er doch immer wieder auf den Scherz ein. Frohes Lachen, heiteres Gläserklingen und neues Füllen der Gläser lohnte ihn.

Mit der Zeit wurde es stiller beim „Gottlob“, – unter diesem Namen nur, nicht als „Felsenkeller“, war die Erholungsstätte bekannt. Das Hotel zum „Deutschen Haus“ und dann auch „Ernst Schubert’s Cafe“ nebst Konditorei, letzteres der Neuen Schule schräg gegenüber gelegen, beides modern eingerichtete und gleichfalls recht gut bewirtschaftete, geräumige Lokale, taten dem „Felsenkeller“ Abbruch, zumal an beiden Stellen zu mäßigem Preise auch ein gutes „Böhmisch“ verzapft wurde, während man beim Gottlob mit Vorliebe nur das allerdings gutgepflegte „Liebotschaner“, á Glas 20 Pfennige, trank. Da versuchte es Gottlob einmal, durch die Einstellung einer Kellnerin, dem „Felsenkeller“ bei „Jung-Buchholz“ Anziehungskraft zu verleihen. Der Versuch dauerte volle vier Wochen: eine elegant gekleidete, modern frisierte Kellnerin paßte nicht in den „Felsenkeller“, paßte nicht zu „Gottlob“ und der ehrsamen „Gottlobine“, seiner braven, tüchtigen, treuen Gattin, paßte nicht zu den Stammgästen, die von der holden Weiblichkeit in Gestalt einer Kellnerin und dem Trinkgeldhunger einer solchen nichts wissen wollten. So verschwand sie wieder, die erste und letzte ihrer Art im „Felsenkeller“. Die Gottlobine hatte keine ruhige Stunde gehabt, solange die Holde dagewesen war: so weit es ihre Zeit erlaubte, saß sie hinter dem roten Vorhange des kleinen Hinterzimmers und beobachtete, ob die Kellnerin sich nicht aufdringlich einem Gaste nähere und der Ruf des „Felsenkellers“ darunter Schaden leiden könnte. Ihre Sorge war unnötig gewesen, nach dieser Seite ließ sich der Geschiedenen nichts Uebles nachsagen; aber als sie das Feld hatte räumen müssen, erzählte Gottlob seinen Gästen vertraulich, er habe sich mit Entlassung der Kellnerin selbst um einen guten Gast gebracht: täglich habe sie auf ihre Rechnung eine Flasche Kognak für 2.50 Mark vertilgt. Das genügte!

Als der Kreis seiner Gäste sich mehr und mehr lichtete, gab es Stunden, in denen man Gottlob eine Zerfallenheit mit sich und der Welt deutlich anmerkte, obwohl er nie klagte. Das Glück, das er unzweifelhaft in seiner Familie fand, vermochte nicht das Gefühl innerer Schwermut zu verdrängen, das sich seiner über den Rückgang des Geschäftes bemächtigte, mit dem er seelisch sich völlig verwachsen fühlte. Und so schied er.

Alles vergeht. Gottlob und seine Frau ruhen im Schoße der Erde. (Gottlob starb am 20. Sept. 1898, seine Frau am 22. Jan. 1924.) Der „Felsenkeller“ ist verschwunden. Von denen, die als Gäste beim Burkert-Lob verkehrten, ist keine allzugroße Zahl in Buchholz mehr vorhanden. Sollten vorstehende Zeilen von ihnen gelesen werden, so mögen diese liebe Erinnerungen auffrischen, und ich drücke ihnen im Geiste warm die Hand. Ein jüngeres Geschlecht und möglicherweise auch spätere interessieren die Aufzeichnungen vielleicht dadurch, daß sie ein Bild geben, wie es aussah und wie es zuging an einer gutbürgerlichen Buchholzer Erholungsstätte in früherer Zeit, wo man in erzgebirgischer anspruchsloser Geselligkeit und Fröhlichkeit hin und wieder gern ein paar Stunden weilte, und dies, ohne daß das Familienleben und die Tatfreudigkeit des einzelnen auch nur im geringsten darunter gelitten hätten.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 37 – Sonntag, den 12. September 1926, S. 1