Eine Jagd im Erzgebirge im Jahre 1 nach Christo.

Über die Urzeit unseres Gebirges mag uns folgendes Märchen eines Naturforschers ein Bild entrollen. Das heutige Erzgebirge, etwa in der Gegend von Olbernhau, bildete ehemals einen großen Sumpf und See, in welchem die Bewohner auf Pfählen ihre Wohnungen errichtet hatten. In ihren Pfahlbauten übten die Männer das Töpfergewerbe aus, die Frauen fertigten Webstoffe an. Tauschandel trieb man mit wandernden Phöniziern, die von dem Erzgebirge Zinn holten, dagegen Bernstein und Feuerstein aus dem Norden, sowie aus Griechenland Bronze, gefertigt aus Zinn und dem von Cypern kommenden Kupfer, brachten. Die Kleidung der Urbewohner war sonderbar genug; so bestanden die Beinlinge oder Hosen aus Birkenrinde. Wichtig waren die Waffen; sie bestanden aus Bogen von Taxus oder Eibenbaumholz und aus Pfeilen mit Spitzen von Knochen, Feuersteine, Bronze oder Eisen. Gewaltige Wurfspieße bildeten im Vereine mit diesen Waffen die Ausrüstung zur Jagd, bei welcher große Brakenhunde die Begleiter waren, während kläffende Nachkommen der Schakale zu Hause Wache hielten. Die Jagdbeute bestand in gewaltigen Tieren des Waldes: Elentieren oder Elch, Urochsen oder Wiesen- und Auerochsen; auch der grimme Schalch oder Riesenhirsch fand sich neben Bären und Wölfen in den ausgedehnten Waldungen vor. Hatte der Ansiedler Beute gemacht, so grub er die Rune, die er selbst auf seinem Körper hatte, in das erlegte Stück Wild und kennzeichnete es als sein Eigentum; dann nahm der kühne Jäger Leber und Herz, sowie den Herzknochen, welcher sich zwischen den Herzkammern befindet, mit nach Hause, wo er von seinen Angehörigen festlich empfangen wurde. Auch die Nachbarn fanden sich ein und es entwickelte sich das Gelage nach der Jagd, bei welchem mächtige Braten und eine Unmenge von Bier, Met oder Birkenschnaps vertilgt und dem alten Laster der Germanen, dem Würfelspiele, gehuldigt wurde. Bei dieser Gelegenheit verspielte man oft Haus und Hof, Weib und Kind, sowie die Tiere und andere Habseligkeiten. Aber nicht zu ernst war der Verlust zu nehmen; denn am andern Morgen war alles wieder vergessen.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 34 – Sonntag, den 4. September 1927, S. 3