In den stillen Winkeln und Gassen unseres alten Buchholz webt die Erinnerung manch seltsame Fäden, die uns zurückführen in die gute alte Zeit. Manch altes Gebäude, in dem sich heute die Räder moderner Maschinen drehen, zeigte doch früher ein ganz anderes Gesicht. Steht da versteckt im oberen Teil der Stadt auf der Silberstraße ein Haus. Das Zeitalter der Industrie hat es einem großen Komplex von Fabrikgebäuden einverleibt, so daß es manch alter Buchholzer, könnte er einen Blick aus dem Jenseits zu uns tun, in dieser neuen Umgebung kaum wieder erkennen würde.
Aber nicht wahr, wenn wir das Bild in unserer heutigen Heimatblatt-Ausgabe so recht betrachten, dann sieht man dem Bauwerk den Stempel der alten guten Zeit schon an. Hat man das Schild des alten Gasthauses auch längst abgehängt, so verrät doch die ganze Bauweise und insbesondere der Anbau noch heute den einstigen Zweck der Räumlichkeiten.
Wie sich die Zeit doch ändert. Der Buchholzer Jahrmarkt ist soeben vorüber. Seine Spuren sind im Zentrum der Stadt geblieben. Bis hinauf zur Silberstraße hat sich wohl höchstens ein fahrender Bettelmusikant verloren. Aber früher – ja früher, als der alte Albin Ebeling noh lebte – da war das anders, da hättet ihr einmal einen Jahrmarktsrummel in Ebelings Restaurant mit erleben müssen. War das ein Jahrmarktsleben und ein Betrieb. So fröhlicher und guter Laune, wie sie damals herrschte, können wir neuen Buchholzer gar nicht mehr sein. Die biederen alten Bürger freuten sich auf solch harmlose, feuchtfröhliche Stunden in der alten Stammkneipe schon Tage vorher. In der Tat, der alte launige Wirt verstand es aber auch, seinen Gästen mit einem gediegenen Jahrmarktsprogramm aufzuwarten. Fahrende Spielleute aus dem „Böhmischen“ kehrten hier ein und Albin Ebeling zog in bester Laune selbst mit der großen Pauke auf und schlug zur fröhlichen Jahrmarktsmusik den rechten Takt. War das ein Betrieb. Gar manches Mal ging es die Nacht hindurch bei fröhlichem Sang und Becherklang. Vom hohen Turm hatte die alte Uhr schon längst die Mitternachtsstunde verkündet und durch stille Gassen der Stadt geisterte der Mondenschein. – Aber drüben in Ebelings Restaurant, da ging es noch immer lustig zu. Wenn wir unser Bild genau betrachten, so erkennen wir rechts neben der Haustür unter den 3 kleinen Fenstern eine Holzbank. Der Mauerausschnitt für diese Bank ist an dem Gebäude heute noch sichtbar. Großmütterlein hat vielleicht manches Mal auf dieser Holzbank gesessen, als sie noch als junge Frau hinüber zur „Pauline“ ging. ebenso beliebt wie der Wirt bei seinen Gästen gewesen ist, war es die Frau Wirtin. Was Küche und Keller Gutes boten, das dankten die Gäste der tüchtigen Hausfrau, als die Frau Pauline Ebeling in dem alten Restaurant schaltete und waltete. Zu dieser liebenswürdigen, guten Frau kamen die Nachbarinnen und Frauen der Gäste gern zu einem traulichen Hutzenabend oder zu einem Plauderstündchen. Auch ein Kaffeekränzchen wurde bei der Frau Wirtin regelmäßig abgehalten. Wer die liebe Frau gekannt, erinnert sich ihrer heute noch gern und freut sich, wenn sie nach langer Abwesenheit von Dresden aus ihr liebes Buchholz wieder einmal aufsucht. Frau Pauline Ebeling lebt bekanntlich noch heute in Dresden bei einem ihrer Söhne. – Dort, wo heute große Fabrikmauern hinter dem Häuschen sich aufbauen, da befand sich früher ein großer schöner Garten. Eine Treppe führte hinunter nach dem Möckelschen Grundstück. In diesem Garten befand sich ein Musikpavillion. Hier wurde von seiten der Vereine der edlen Musika gehuldigt und unsere Gesangvereine hielten hier ihre Abende ab. Auch fröhliche Gartenfeste wurden beim Klange der Lieder und Weisen abgehalten und Großmütterlein wiegte sich in Großvaters Arm lustig im Tanz. Solch eine fröhliche Tänzergruppe soll sogar in früher Morgenstunde einmal an der Ecke der Silber- und Schlettauer Straße beobachtet worden sein. Eine Hochzeitsgesellschaft war es – den Glücklichen schlug keine Stunde!
Schlagen wir in der alten Buchholzer Chronika nach, so finden wir unsere Angaben über das Ebelingsche Restaurant amtlich bestätigt. Es heißt hier in trockener Amtssprache, daß auf der Silberstraße im Hause Nr. 268 A des Brandkatasters von Buchholz, das ist das Haus, welches unser Bild heute zeigt, die Schankwirtschaft betrieben wurde. Seit wie lange in dem alten Gebäude die Schankgerechtigkeit ausgeübt wurde, läßt sich freilich nicht gebau sagen. Der erste Wirt war aber wohl Albin Ebeling, der von 1867 bis zum Jahre 1903 die Schankkonzession ausübte. Nachfolger war dessen Sohn, der vielen jetzt als rühriger Gambrinuswirt in Annaberg bekannte Heinrich Rudolf Ebeling. Von Ende 1907 ab übernahm das Restaurant dann ein gewisser Alban Paul Seidel und von Februar 1908 ab war Wirt der ebenfalls vielen wohl vertraute Rudolf Städtler, der jetzt auf der Silbertraße einen Material- und Grünwarenhandel betreibt. Im Jahre 1915 wurde die Gastwirtschaft stillgelegt, infolge schlechten Geschäftsganges. Das Gebäude hat dann die Firma A. E. Kunze erworben. Im Hause befinden sich Wohnungen von Kunzeschen Arbeitern und Lagerräume. – Das vordere alte Gebäude soll nach der Posamentierchronik 400 Jahre alt sein. So weit man zurückblicken kann, wurden früher Zigarren darin gemacht. Bevor es Restauration wurde, diente es der Gardinenhalter-Fabrikation. Viele Vereine haben in dieser Gastwirtschaft getagt. Vor allem hat der M.-G.-V. „Liederkranz“ hier in Ebelings Restaurant herrliche Stunden verlebt. Albin Ebeling war selbst ein begeisterter Sänger und stand als 1. Baß hoch im Ansehen. So fehlte der Wirt nie im Kreise seiner Sangesbrüder und hat diesen manch unvergeßliche schöne Stunden bereitet.
Auch der Militärverein „Kameradschaft“, Selbständige Posamentiere, Homöopathischer Verein, Bürgerverein, Kreuzbruderverein u. a. m. kehrten regelmäßig zu ihren Abenden in Ebelings Restaurant ein. Auch als Skat- und Doppelkopfspiellokal war das Restaurant bestens bekannt.
Wenn wir weiter von den Preisen hören, zu denen man damals in Ebelings Restaurant Einkehr halten konnte, so wird unsere Sehnsucht nach der Rückkehr der guten alten Zeiten immer größer. Ein Glas Buchholzer Bier gab es für 8 Pfg., der große Literkrug wurde für 10 Pfg. kredenzt. Zum guten Bier gab es ein Bündel Heu, wie man bei uns noch heute eine Portion Käse mit Butter und Brot zu nennen beliebt. Eine Portion Quärkel kostete 4 Pfg. Das alles klingt wohl wie ein Märchen aus guter alter Zeit und ist doch Wahrheit gewesen.
Unvergeßlich bleiben auch die Weihnachtsfeiern in ebelings Restaurant. Am Vormittag des 1. Weihnachtsfeiertages versammelten die Wirtsleute ihre Gäste um den brennenden Christbaum. Die Fensterläden wurden geschlossen, damit im Gastzimmer die stille, heilige Nacht Einzug halten konnte. Weihevoll erklangen die Christlieder des Männerchores: Ehre sei Gott in der Höhe – und Frieden war auf Erden unter den Menschen.
Denken wir uns nun überall in den trauten Gassen und Winkeln unsrer Heimatstadt ein solch fröhliches Menschengeschlecht, das von der Hatz unsrer Tage nichts gewußt, das frei und fröhlich bei einander lebte, so beginnt der Zauber der Kleinstadt seine Fäden zu spinnen und vor uns ersteht das alte Buchholz mit all seinen reichen Erlebnissen und Erinnerungen.
Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 40 – Sonntag, den 16. Oktober 1927, S. 1