Die obererzgebirgische Kirmes.

Kahl stehen die Bäume, öde die Felder, der Herbst ist eingezogen und mischt sich bereits mit den Anfängen des Winters. Da naht das Hauptfest des Landmanns, die Kirmes. Es setzt schon lange voraus Herzen und Hände in Bewegung. Alle wollen am Feste geschmückt erscheinen. Die Kinder erbitten von den Eltern dort ein neues Paar Hosen, hier eine neue Jacke. Auch die jungen Leute machen bei dem Dorfschneider ihre Bestellungen, der kaum allen Aufträgen genügen kann, und die Botenfrau muß den jungen Mädchen bungte, seidene Bänder und andere Schmucksachen häufiger als sonst aus der Stadt mitbringen. Auch die Hausfrau hat ihre Pläne für das nahende Fest. Lange vorher hat sie schon den Rahm gesammelt, um genug Butter zum Kuchenbacken zu haben, und bereitet nun Käse, läßt Rosinen, Mandeln, Zucker, Hefen usw. holen, auf daß nichts fehle. Die Kuchen sind bereit und wandern zum Bäcker, um nach einigen Stunden, fertig und noch rauchend, unter dem Jubel der Kinder ihren Einzug wieder in das Haus zu halten. – Aber noch andere Opfer sind nötig. Ein Schwein soll geschlachtet , Sauleed oder Krumbeh, Schlachtfest gehalten werden. Der Fleischer ist bestellt, der Schlachtzettel besorgt, Gewürz, Wasser und Brennholz sind schon am Abend vorher herbeigeschafft. Der späte Herbsttag bricht an, schon knistert das Feuer unter dem Wurstkessel; da klingelt die Türe und herein tritt der Fleischer. Brust und Beine bedeckt die weiße, frisch gemangelte Schürze. Der breite Ledergürtel unter derselben ist mit Perlen oder Silberplättchen verziert und an der Seite hängt ein Köcher mit Messer, Gabel und Wetzstahl. Er verrichtet sein Werk und bald ruht das tote Schwein in dem bereitstehenden Troge. Mit Hilfe des heißen Wassers und des Stabeisens sind die Borsten entfernt, das Schwein wird geteilt und Stückchen Fleisch in den brodelnden Kessel geworfen. Endlich ertönt der Ruf: „Das Wurstfleisch ist fertig“ und alles eilt herbei, um an dem leckern Genuß sich zu laben. Das Schwertelfleisch wird an die Hausgenossen und Nachbarn verschickt. Nun folgt das Bereiten und Kochen der Würste, das Einsalzen des aufzuhebenden Fleisches, ein tüchtiges Bratstück ist zur Kirmes ausgesucht und der Abend schließt mit dem Verzehren der Wurstsuppe und frischer Wurst, als eine Art Vorfeier des immer näher rückenden Festes. Die ärmeren Nachbarn holen sich die Wurstbrühe. Nun wird auch das ganze Haus gerüstet, überall wäscht und kehrt, scheuert und putzt man. Der Kirmessonntag ist da. Beim Aufgange der Sonne weckt das Blasen eines Chorals vom Turme durch die Dorfmusikanten die schlummernden Bewohner. Bald sind alle in der Wohnstube beim Kaffetisch versammelt. Die gute Kaffeekanne dampft in der Mitte der Tassen und daneben locken Teller mit Türmen von Kuchenstücken. Man tut dem ersehnten Gebäck die möglichste Ehre an, und Teller und Kanne sind schnell geleert. Der heutige Gottesdienst wird nur spärlich besucht, denn erst am morgenden Tage, am Montag, ist der eigentliche Kirchweihtag. Ist er endlich angebrochen und rufen die Glocken zur Kirche, so eilen die festlich geschmückten Landleute in einzelnen Trupps von allen Seiten nach der lieben Ortskirche, deren Weihtag ja heute gefeiert wird. Heute darf die Kirchenmusik nicht fehlen. Wieder ertönt Glockenklang und heraus strömt die Menge, jeder seiner Wohnung zu. – Welche Freude gibt es bei der Heimkunft. Der Vetter aus der benachbarten Stadt, die Frau Gevatterin aus einem entfernten Dorfe und andere geladene Gäste sind eingetroffen. Endlich ist der Tisch gedeckt. Auf dem Tischtuch von selbsterbautem Flachs prangen Schweine- und Hühnerbraten, daneben die beliebten Kartoffelklöße und Sauerkraut, weißes Brot und Bier, vielleicht auch eine Flasche Wein. Alles setzt sich. Auch der zitternde Großvater im silberweißen Haar rückt seinen altertümlichen Lehnstuhl heran und von seinem wirtlichen Sohne gebeten, nimmt er das Sammtkäppchen von dem ehrwürdigen Haupte in die gefalteten Hände und spricht das Tischgebet. Jeder läßt sich die guten Gerichte wohlschmecken, deren Schluß mächtige Kuchenteller bilden. Nach Tische machen die Männer einen Gang ins Freie, die Kinder haben ebenfalls draußen ihre Lust, wo auf Wegen und Stegen ein fröhliches Leben herrscht. Nur die Frauen bleiben sitzen und erzählen sich bei Kuchen und Kaffee die neuesten Geschichten. Die rückkehrenden Männer gesellen sich auch zu ihnen und unter Gespräch und Genuß vergeht die erste Hälfte des Nachmittags. Später geht man wohl in die Schenke, wo der Tanz der jüngeren Leute bereits um 3 Uhr begonnen hat. Dort setzt man sich zum Glase Bier, man spielt einen Skat, auch Schafkopf oder schaut der unermüdlichen Jugend zu. Um 7 Uhr geht man zum Abendessen nach Hause, das von der Hausmutter festlich zugerüstet ist. Alt und jung nimmt Platz, die Teller werden gefüllt und bald ist alles in reger Arbeit. Ist die Rosinensuppe gegessen, folgt Schweinefleisch mit Zwiebelbrühe, oder Schinken mit Sauerkraut, dann Karpfen mit Krautsalat, zuletzt wieder Kuchen. An Bier, Branntwein, selbst an Wein ist kein Mangel. Nach aufgehobener Tafel bleibt man noch eine Weile beisammen sitzen oder man wandert wieder zur Schenke, wo nun auch die Verheirateten am Tanz sich beteiligen, bald einen Walzer, bald einen Rutscher, einen Dreher usw. verlangend. Spät wird die Kirmeslust beschlossen und mit Kuchenpäckchen beladen ziehen die Gäste dankend heim. – Der Dienstag bildet noch eine Art Nachfeier, bis endlich Mittwochs Haus und Arbeit allmählich wieder in das ruhigere Gleis einlenken. – Am nächsten Sonntag verhallen in der Klein-Kirmes die letzten Klänge und Freuden des Festes: nur die Erinnerung tröstet noch und die Hoffnung, daß nächstes Jahr wieder Kirmes ist.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 39 – Sonntag, den 9. Oktober 1927, S. 2