Aus der Sagenwelt des Erzgebirges.

Zur Erinnerung an die Kirchturmweihe zu Elterlein, den 21. Oktober 1891.

Einst deckten dichte Wälder das weite Sachsenland
Im Kranze reicher Felder kein freudig Dörflein stand,
Da zogen sich nicht Furchen durch’s blühende Gefild:
Da hausten auf den Burgen die Ritter rauh und wild,
Da zog beim Abendscheine ein Wandrer durch den Wald,
Verirrt im wilden Haine, auf Wegen rauh und kalt.
Da fühlt er sich verlassen, da däucht es ihm gewiß,
Als müßte er erblassen im feuchten Burgverließ.
Dumpf schrie vom Fels die Eule ihr Klaglied schaurig bang,
Der Wölfe Wutgeheule den dichten Forst durchdrang;
Laut jammernd sank er nieder, ein Schauer bebte kalt
Ihm durch die matten Glieder mit eisiger Gewalt.
Da tönt wie Engelsingen hin durch den finstern Hain
Hell eines Glöckleins Klingen, das lädt zum Beten ein.
Mit rüstig frischen Schritten geht er dem Klange nach –
Da sieh‘, in Waldes Mitten das Kloster Grünhain lag.

Und als er kam nach Hause, sandt‘ er viel Geld und Gut
Dem Abt der frommen Klause, wo er die Nacht geruht.
Und wo er hart gerungen, und wo durch Nacht und Graun,
Das Glöcklein ihm erklungen, ließ er ein Kirchlein bau’n.
Hell stand das Kirchlein dorten, und zu dem Betaltar
Zog rings von allen Orten bald eine fromme Schar;
Sie bauten ihre Hütten zum Altar in den Hain –
Da steht in Waldes Mitten das Städtchen „Altàrlein“.
Jetzt ist der Wald verschwunden, die Burgen sind zerstreut
Im raschen Lauf der Stunden, zernagt vom Zahn der Zeit.
Jetzt grünt hell das Gefilde um „Elterlein“ und klar –
Noch führt die Stadt im Schilde den frommen Betaltar.

Das graue Männchen in den Schächten.

Eine Sage des Bergmanns aufgezeichnet von Karl Friedrich Döhnel.

Eine geraume Zeit hatte der alte Kapuzer redlich und treu in den unterirdischen Klüften gearbeitet; keine Schlacke der Falschheit entstellte das Silber seiner Redlichkeit; und wer den alten Kapuzer gesund und von der verderblichen Bergsucht verschont in seinem grauen Kopfe sah, der mußte ihm gut sein. Freilich hatte er sich auf der Fahrt seines Lebens durch Kämme und Knauer winden müssen, freilich hatte ihn manches Wetter und manche Felswand auf der Fahrt bedroht, und es schien schier, als habe ihn das Schicksal als ein taubes Gestein auf die Halde des Lebens geworfen; aber nie verlöschte das Grubenlicht der Hoffnung in seiner Hand, und mit diesem glaubte er noch einen reichhaltigen Ganz zu treffen. Aber eine fürchterliche Teuerung brach herein, und Berghenne, die ihm und seinen Kindern sonst Sonntagskost gewesen war, mußte er entbehren und oft tagelang hungern. Die Kleinen jammerten ihn sehr, und ob er sich schon manches entzog, um nur ihren Hunger zu stillen, so wollte es doch nicht zulangen.

Einstmals fuhr er zur Frühschicht an und sang das alte schöne Lied: „Wer nur den lieben Gott läßt walten -„, ob er schon wenig gegessen hatte. – Unter den zwei letzten Versen des Liedes fuhr er an seinen Beruf und verfolgte rasch mit dem Fäustel den gestern getroffenen Gang. Da sprang ihm gediegenes Silber ins Auge. Die Stufe, die er abhieb, war reichlich, und von ihrem Verkaufe konnte er lange Unterhalt für seine Kinder hoffen. Das Elend seiner Kinder stand vor ihm, die Mittel, es zu mildern, auch, und schon streckte, in Erwägung der immer wachsenden Not der Seinen, der immer redliche Mann seine Hand nach der Silberstufe. Da schlug ihm etwas auf die Achsel. Er blickte hinter sich und sah ein kleines graues Männchen hinter sich stehen, das mit der einen Hand auf die Silberstufe zeigte und die andere drohend erhob. Kapuzer schauderte, warf die Silberstufe hin, und das Männchen verschwand. Sogleich fuhr er aus, es seinen Vorgesetzten zu melden, daß Gott das Gebet erhört und Gänge und Klüfte aufgetan habe. Die Vorgesetzten umarmten den redlichen Mann, fuhren in den Schacht und sahen den reichlichen Fund. Die meisten Gewerken waren bemittelte Leute, sie wollten den alten Kapuzer in seinen alten Tagen für seinen Fund belohnen; aber er schlug es aus, ob sie ihm gleich doppelten Lohn boten. „Ich will in meinem Berufe sterben, ist auch ja das Grab nur ein Schacht, aus dem das Silberzeug der Ewigkeit glänzt“, rief der Greis mit Tränen in den Augen; „ich kann noch arbeiten.“ Die Bitte ward ihm gewährt, seine Kinder wurden gekleidet und er durch ein reichhaltiges Geschenk für sich und die Seinigen den drückenden Nahrungssorgen entzogen.

Noch sechs Jahre arbeitete er mit gleicher Tätigkeit; da rief ihn der Bergfürst von der Schicht. Frühmorgens um drei Uhr wollte er zur Arbeit aufstehen, aber er vermocht‘ es nicht. Um acht Uhr rief er seinen ältesten Knaben. „Geh zum Bergmeister“, sprach er, „und sage ihm, der alte Kapuzer werde bald Schicht machen; sein Grubenlicht wolle verlöschen, er solle mich noch einmal besuchen.“ Der Bergmeister flog zu dem braven Alten; da hieß er die Umstehenden weichen und erzählte die Geschichte mit dem Männchen. „Möchte es doch“, schloß er die Erzählung, „jedem erscheinen, der sich durch Armut zu Bubenstücken verirrt.“ Der Bergmeister stand gerührt vor dem Bette des Todnahen; der Kranke faltete die Hände, betete still und lag ruhig. Endlich sprach er mit schwacher Stimme: „Es ist vollbracht – Glückauf!“ – und verschied.

Sein Wunsch ist erfüllt. Wenn ein redlicher Bergmann aus Armut stehlen will, warnt ihn das Männchen, und nur die, die geübte Bösewichter sind, überläßt er der Stimme des Gewissens und der rächenden Hand der Obrigkeit.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 31 – Sonntag, den 1. August 1926, S. 3