Aus der Geschichte der Schlettauer Kantoreigesellschaft.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 26, Sonntag, den 24. Juni 1928. S. 2 – 3.

Allgemeines.

Die Entstehung von Kantoreigesellschaften reicht tief in das Mittelalter hinein. „Den Anfang zu den Kantoreigesellschaften machte”, wie der Chronist berichtet, „die Calandsbruderschaft (fratres calendarii)”. Sie wurde zuerst 1220 erwähnt, und zwar bei dem Kloster Ottberg. Die Mitglieder der Brüderschaft kamen am 1. Tage des Monats (Calenda – Calendae, daher der Name), zusammen und bestimmten, „was vor Almosen austeilen und vor Feste und Festtäge zu begehen seien.”

Die Kantoreigesellschaft in Schlettau.

Sie hat ein ehrwürdiges Alter aufzuweisen; denn sie wird schon 1608 erwähnt. In einer alten Kämmereirechnung vom Jahre 1608 findet sich nämlich ein Betrag, ausgedrückt in der damaligen Währung, mit dem Hinweise, daß so viel das „Cantor-Essen” gekostet habe. Die ersten „cantores leges” sind am 22. Januar 1658 bestätigt worden. Als das eigentliche Gründungsjahr ist jedoch das Jahr 1666 nach den Angaben des Geschichtsschreibers anzusehen. Vorher scheint die Gesellschaft nur eine ganz geringe Tätigkeit entfaltet zu haben. Es hat sich nämlich ein Aufruf an die Mitglieder der Gesellschaft vom Jahre 1666 erhalten, u. a. mit der Unterschrift des damaligen Diakonus Johann Weitzendörfer, der darunter geschrieben hatte: „Ist das collegium nach angesetzten Punkten in allen mitzuhalten beliebet. Gott helfe zum guten Anfange glücklich. Amen!” Ein anderer, offenbar sehr musikbegeisterter Mann, hatte folgende lateinische Worte darunter gesetzt: „Qui non amat musicam, coelum non desirat” (auf deutsch: „Wer nicht die Musik liebt, sehnt sich nicht nach dem Himmel”).

Am 2. Februar 1666 wurde beim Pfarrer Simon das erste convivium musicale abgehalten. Convivium bedeutet Gastmahl oder gesellige Zusammenkunft verbunden mit Essen und Trinken. Convivium musicale wäre vielleicht mit musikalischem Abend oder Kränzchen zu übersetzen, allerdings nicht ganz treffend, da der Begriff „Mahl”, der zweifellos dazu gehört, hierbei nicht zum Ausdruck kommt. Vielleicht zerbrechen sich meine Leser, die lateinkundig sind, darüber den Kopf und finden eine glücklichere Übersetzung. Mir will´s nicht mehr gelingen. Jedenfalls steht es fest, daß die Mitglieder der Kantoreigesellschaft das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Eine gute Kehle will bekanntlich immer geschmiert sein, und auch der Magen wird von der „Macht des Gesanges” etwas angegriffen und verlangt sein Teil.

Bei dieser ersten musikalischen Zusammenkunft waren u. a, zugegen der Bürgermeister Johann Adolf Jungmichel und der Stadtschreiber und Organist Christoph Korr. Man maß ihr also anscheinend eine große Bedeutung bei. Solche Zusammenkünfte fanden anfangs alljährlich, später regelmäßig alle 2 Jahre statt. Die Statuten wurden oftmals revidiert: von 1671 bis einschließlich 1856 16mal. Die Mitglieder waren wohl sehr „fortschrittlich” gesinnt und jeglicher Beharrung abhold.

Die Kantoreigesellschaft muß sich gleich im Anfang sehr beliebt gemacht haben und ihr Ruhm muß weit über die Lande, auch nach dem stolzen Annaberg, gedrungen sein. Der Chronist schreibt nämlich folgendes: „1667 wurde der Kantoreigesellschaft von Superintendent Dr. Andreas Kühn in Annaberg und dem Amtmann Eucharius Böhmel in Grünhain ein jährliches Benefizium von 1 Viertel Bier aus der Kirche und Kämmerei zugestanden, welche Leistung später in Geld verwandelt worden ist.” Man kann sich lebhaft vorstellen, wie sehr dadurch die Sangeslust der wackeren Mitglieder angefeuert wurde!

Es ist überliefert, daß „namentlich in früheren Zeiten – – die Kantoreimitglieder großen Eifer (zeigten) und es wußten besonders der Organist Homilius und der Rektor Altmann diesen Eifer zu beleben. – – 1718 wurde von der Kantorei ein Violon angekauft für 2 Reichsthaler, wozu Organist Homilius 1 Reichsthaler 12 Gr. schenkte. 1739 wurden auf Anregung des Rektors Altmann 2 Pauken angeschafft.” So vermehrte sich der Bestand an Instrumenten allmählich im Laufe der Jahre, was natürlich nicht ohne Rückwirkung auf die Sangesfreude der Kantoreimitglieder blieb. Außerdem besaß die Gesellschaft eine wertvolle Sammlung altkirchlicher Motetten und Gesänge aus dem Zeitalter der Reformation, auf die sie sehr stolz war. Diese Sammlung wurde fleißig benutzt, so daß die musikalischen Vorträge eine große Mannigfaltigkeit und vorbildliche Gediegenheit aufwiesen. Leider ist diese Sammlung während der Amtierung des Rektors Müller verloren gegangen.

Die Kantoreigesellschaft nahm es mit ihren Aufgaben sehr ernst und trug viel zur seelischen Erhebung der Schlettauer bei. Würdige und sittlich feste Bürger gehörten ihr an, sodaß sie „eine Zierde der Stadt” wurde. Ihre Mitglieder liebten aber auch den Humor und die Heiterkeit, ohne dadurch ihrem Ansehen zu schaden. So soll ein Rundschreiben aus dem Jahre 1718 an die Mitglieder der Gesellschaft folgende Bemerkung getragen haben: „Wird punkt 11 Uhr erschienen, damit zu vorhere die Kindtaufs-Schwappe könne verzehrt werden.” In einer Anmerkung vom 17. Oktober 1719 heißt es bei dem Begräbnisse des Spitzenhändlers Christian Georgi: „Wurde gleichfalls Begleitet und unter lauten Motetten beerdigt, auch die Trauermahlzeit verzehret mit mehr Lachen als Trauern.”

Unermüdlich und unverdrossen wirkte die Kantoreigesellschaft Jahr aus, Jahr ein zum Segen der Stadt Schlettau. Durch die Zeitverhältnisse wurde ihr jedoch öfters das Leben recht sauer gemacht. So konnte sie nach den Angaben des Geschichtsschreibers in den Jahren 1718 bis 1729 wegen anhaltender Teuerung keine Convente abhalten.

Die Aufzeichnungen schließen mit der Angabe, daß seit dem Jahre 1879 neben der Kantorei ein Kirchensängerchor aus freiwilligen Sängern bestehe. Dieser Chor sei auf Veranlassung des Kantors Walther ins Leben gerufen worden. Ferner soll der Kirchenvorstand, angeregt durch das evangelische Landeskonsistorium, eine jährliche Beihilfe von 30 Mark „zur Anschaffung von Kirchenmmusiken” bewilligt haben.