Pfingstaufzug der Jöhstädter Knappschaft.

Jöhstadt! Liebe Erinnerungen aus Jugendtagen werden wach beim Klange dieses Namens. Das Bild des waldumgürtelten Städtleins am weißschäumenden Schwarzwasser taucht vor mir auf: die lange, gewundene Häuserzeile, das weiße Kirchlein, der weite, lindenumsäumte Markt mit dem mir so wohlvertrauten Rathaus

Jöhstadt 1925.

Jöhstadt oder Josephstadt, wie es früher hieß, verdankt, wie viele Städte des Erzgebirges, seinen Ursprung dem Bergbau. Das bezeugen Schlägel und Eisen im Stadtwappen, daran erinnert noch manch verfallener Schacht und Stollen, daran gemahnt die bis zum heutigen Tage bestehende „Berg-Knapp- und Brüderschaft, gegründet am 21. Oktober 1655 aus „freyen Künsten, als Bergleute, Hochofen-Arbeiter, Hammerschmiedte und Köhler, aus christlichen Bedenken mit gutem Rat der Christlichen aufgerichtet“. Die Mitglieder dieser Vereinigung, meist schlichte Handwerker, erscheinen bei öffentlichem Auftreten – Begräbnis eines Bruders, Christmette und Kirchgang am 3. Pfingstfeiertage – in schmucker Bergmannstracht. Der fromme Brauch, am 3. Pfingstfeiertag einen Berggottesdienst mit Parade abzuhalten, soll nach langer Pause nun wieder aufgenommen werden. Einen solchen Pfingstaufzug, wie er in meiner Erinnerung lebt, will ich im folgenden schildern:

Aufnahme von R. Schumann-Jöhstadt.

Feiertagsstimmung herrscht in dem Städtchen, auf das freundlich die Frühlingssonne niederlacht. Die Arbeit in Fabrik und Werkstatt ruht. Festtäglich gekleidete Menschen beleben die Straßen, und aus allen Fenstern schauen erwartungsfrohe Gesichter. Da – horch! Von der Unterstadt herauf tönt gedämpft Paukenschlag und Marschmusik. „Sie kommen!“ so läuft es von Mund zu Mund. Näher und näher schallen die schmetternden Klänge, und nun zieht die schmucke Schar an dem Auge vorüber. Die Spitze bilden Bergschmiede im kleidsamen weißen Gewand. Dahinter flattert lustig die große gelbe Fahne. Ihr Träger und seine Begleiter tragen gleiche farbige Schärpen mit dem freundlichen Bergmannsgruß „Glückauf!“ Dann folgen die Musikanten im schwarzen Festtagskleid. In ihre munteren Weisen mischen sich mit silbernem Geläut die Glöcklein eines Schüttelbaumes, dessen Spitze eine golden funkelnde Sonne ziert. Den Schluß bilden die Knappen in schwarzem Kittel und langem Lederschurz, die Aeltesten mit breiter, sptzengesäumter Halskrause und gelbem Federstutz an der dunklen Kappe. Gleichen Schmuck trägt der Vorsteher der Knappschaft. Wer sieht es aber dem ernsten Manne an, daß er sonst mit dem schwarzen „Buckelkasten“ auf dem Rücken durchs Land zieht? Aufrecht, selbstbewußt schreitet er einher, und auch die braven Knappen, meist bejahrte Männer, bewahren eine gute Haltung. Beim Kirchplatze schwenkt der Zug rechts ab nach der Pfarre, um den Festprediger abzuholen, der bereits vor der Tür der Ankommenden harrt. Unter Orgelgebraus ziehen die Knappen ein ins helle Gotteshaus, und andächtig schallt es himmelan:

„Mit Freuden will ich es heben an
Und einen Bergreihn klingen lan
Dem höchsten Gott zu Ehren!“

Dann folgt die schlichte, aber eindrucksvolle Predigt. Von dem alten Bergmannsgruß „Glückauf!“ spricht der Geistliche. Gar sinnig weiß er ihn zu deuten und anzuwenden auf die Berufe der Knappen und die Wechselfälle des Lebens. Zustimmend nickt manch weißhaariges Haupt. Hier und da fährt wohl auch verstohlen eine Hand nach dem Auge, um ein Tränlein der Rührung zu verwischen. Eine weihevolle Stimmung liegt über der kleinen Gemeinde; es ist, als wandle der große Bergfürst droben segnend durch die Reihen.

Nachdem die Knappen ihren Seelsorger wieder nach Hause geleitet, bewegt sich der Zug zur Wohnung des „Ladenvaters“, wo unter strenger Beobachtung der alten Innungsbräuche das übliche „Quartal“ abgehalten wird. Daran schließt sich ein einfaches Mahl, der „Willekum“, ein mächtiger Zinnhumpen, mit schäumenden Bier gefüllt, macht die Runde, und die feierliche Stimmung weicht allmählich echt erzgebirgischer Gemütlichkeit. Neckreden und schlagfertige Erwiderungen fliegen herüber und hinüber, manch frohes Lied wird angestimmt, und spät erst findet der und jener den Weg zu seiner Behausung. Ja, die alten Bergschmiede hatten schon recht: „Hammerluft macht durstig!“

Ein Stück vaterländischer Kulturgeschichte tritt uns in den altüberlieferten bergmännischen Sitten und Bräuchen entgegen. Längst versunkene Geschlechter leben auf in ihrem Sinnen und Denken, ihrer unverwüstlichen Lebensfreude, in ihrem rührigen Schaffen und unerschütterlichen Gottvertrauen. Möge die Jöhstädter Knappschaft immerdar festhalten an solch herzerquickender urdeutscher Art! Daraufhin ein herzliches „Glückauf!“

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 23 – Sonntag, den 6. Juni 1926, S. 3