Hört, ihr Leute!

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 34 – Sonntag, den 19. August 1928, S. 3

Mitgeteilt von H. Friedr. Ludwig.

Wie heimelt uns auf Ludwig Richterschen Bildern die Gestalt des Nachtwächters an! Mit ihm hat die neue Zeit viel Poesie hinweg geräumt. Aber unter den geschickten Händen unserer heimischen Schnitzkünstler feiert der Entschwundene seine Auferstehung. Gern kauft man das kleine Kunstwerk und weist ihm einen bevorzugten Platz in der Wohnung an. Die Blicke des Beschauers gleiten liebkosend über die Gestalt des schnauzbärtigen Alten.

Auch Buchholz hatte seinen Nachtwächter bis in die 70er Jahre. Mit Spieß, Horn und Laterne ausgerüstet, trottete er durch die dunkeln, stillen Gassen, und nur die Sterne sahen freundlich zu ihm nieder.

Als Hilfsnachtwächter versah seinerzeit der Schiegelfritz, ein Armenhausinsasse, seinen Dienst. Er „schiegelte”, und wegen dieses kleinen Gebrechens hatte er unter dem Spott unbarmherziger Straßenjungen viel zu leiden. Sie zogen ihm nach und peinigten ihn mit Schmähreden. Als Wehr und Waffe gegen diese Quälgeister besaß er nichts als seine Grobheit. Er schimpfte und fluchte wie ein Landsknecht in Ausdrücken, die man nicht alle wiedergeben kann. Das reizte natürlich die bösen Buben zu neuen Angriffen auf seine Amtsehre. –

Eben hatte die Turmglocke ihren letzten Schlag verklingen lassen, da rief der Schiegelfritz in den Abend hinein: „Hört, ihr Leute, laßt euch sagen, die Glocke, die hat neun geschlagen. Bewahrt das Feuer und das Licht –”, „Daß der Schiegelfritz ne Hals net bricht,” reimte hinter ihm der vielstimmige Chor der Lästermäuler. „Ihr gottvergassne Lausgunge, ihr elenden, wenn ich eich drwisch, dreh ich eich ne Hals im!” Ein gotteslästerlicher Fluch beendete die Strafrede, die mit Gejohle aufgenommen wurde. Dann schritt er würdevoll weiter und schloß seinen Stundenruf: „Und lobet Gott, den Herren!”

Seine mangelhafte Erziehung bezeigte der Schiegel-Fritz dadurch, daß er sich leider oft recht unanständig aufführte. In solch einem peinlichen Augenblick ging hinter ihm der Bürgermeister. Dieser nannte den ungehobelten Patron einen Flegel und sagte ihm, er solle sich schämen. „Was hinner mir passiert, gieht m’r en Drack a!” war die trotzig-dreiste Antwort des furchtlosen Wächters der Nacht.

Max Rothe.