Das „Vater Unser“ in Bildern (3)

von Ludwig Richter und nach einer Predigt-Textauslegung von Sup. Robert Lischke-Plauen.

(2. Fortsetzung.)

Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, also auch auf Erden

In allem überwinden wir um deswillen, der uns geliebet hat.
Römer 8, 37.

Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel. Das ist der dritte Stern des Siebengestirns am Gebetshimmel des Christen. Ja, nach dem Himmel empor, in den Himmel hinein steigt unser Gebet, dorthin, wo die Seligen eingegangen sind in die triumphierende Gemeinde und mit den Engeln Gottes keinen anderen Willen kennen, als Gottes Willen. Wohl kennen auch wir hier auf Erden seinen Willen, und er hat ihn nicht bloß hineingeschrieben in die steinernen Tafeln des Gesetzes, sondern auch tief in unser Herz und Gewissen. Wohl wissen wir, daß nicht „die Herr, Herr sagen“, sondern die den Willen Gottes tun, die werden ins Himmelreich kommen. Aber tun wir wirklich immer Gottes Willen, still und gelassen, stetig und fröhlich, wie Gottes Engel und die Seligen droben? Tragen wir alle unser Leid, unsre Sorgen und Schmerzen in der Ergebung des Glaubens, der da weiß: „Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen?“ Nein, es wird uns allen so schwer, unsern eignen Willen zu brechen und unter Gottes guten, gnädigen Vaterwillen uns zu beugen?

Und doch, was nützt das Widerstreben? Kann das Sandkörnlein sich auflehnen wider den Sturm, der es erfaßt? Kann der Grashalm sich verbergen vor dem glühenden Brand der Sonne? Kann der Wurm ankämpfen wider den Fuß, der ihn zertritt? Drum widerstrebe der Hand und Führung Deines Gottes nicht! Ich weiß von einer Mutter, die ein einziges Kind, einen reich begabten Sohn besaß, der schwerkrank darniederlag. Die Mutter war der Verzweiflung nahe, da ging der Geistliche zu ihr ins Haus, um ihr Trost und Ergebung zuzusprechen, aber es war alles umsonst. Er versuchte es nun auf andere Weise, stellte sich an das Sterbebett des Sohnes und sprach: „Herr, Dein Wille geschehe, und wenn es Dein Wille ist, so schenke diesem Kinde Leben und Gesundheit.“ – Weiter kam er nicht; denn als die Mutter diese Worte hörte, schrie sie wie rasend: „Nicht wenn es sein Wille ist, das kann ich nicht mit anhören, es muß sein Wille sein; er darf mein Kind nicht sterben lassen.“ Der Geistliche erschrak über solche Reden. aber siehe, gegen alles menschliche Denken und zur unermeßlichen Freude der Mutter wurde ihr Sohn gesund und wuchs auf. Er wurde groß, aber nicht bloß an Jahren, sondern an Bosheit und Schlechtigkeit. Von Jahr zu Jahr häufte er immer mehr Schande und Jammer über sie, und gar manches Mal hat sie auf ihren Knieen gelegen: „Nimm ihn, den ich Törin Dir abgerungen habe.“ Aber sie mußte es noch erleben, daß ihr Sohn Verbrecher ward und auf dem Schaffot endete. Drum „nicht mein, Dein Wille geschehe!“ Lerne also in Demut beten!

Man hat die erste Bitte die „heilige“, die zweite die „selige“, die dritte die „schwere“ genannt, und in der Tat, sie ist die schwerste unter allen. Ja, in guten, glücklichen Tagen, wenn alles nach unserm Willen geht, da betet sich die Bitte leicht, da singt man gern mit: „Was Gott tut, das ist wohlgetan.“ Aber wenn unsere Hoffnungen scheitern, wenn unsere Pläne in Trümmer gehen, wenn die Wogen der Trübsal über dem Haupt zusammenschlagen, wenn die Menschen uns verlassen und verraten und die Liebsten uns genommen werden – auch da noch sprechen: „Dein Wille geschehe,“ das ist so schwer.

Ist es aber einmal recht dunkel um Dich und dunkel in Dir, dann laß den Gottesstern dieser Bitte mit seinem wunderbaren Licht hineinleuchten in Dein Herz. Hat dies Wort Deinem Heiland in Gethsemane nicht auch wieder Kraft und Licht und Trost gegeben?

Es ist ja Gottes guter, gnädiger Wille, auch wenn wir nichts von seiner Güte und Gnade schauen! Und er will doch das Allerbeste nur mit Dir!

Auf einem Kreuze unsres Friedhofes stehen die zwei Worte: „Nur selig,“ – siehe, nichts weiter will er auch mit Dir, will Dich immer reifer machen für den Himmel, will Dich immer mehr loslösen von der Erde.

Alle die Leidensstunden sollen Sterbestunden des alten Menschen und Auferstehungsstunden des neuen Menschen werden.

Drum halte ihm nur still und murre nicht. Das Feuer löst die Schlacke vom Gold, und nur durch Kreuz geht es zur Krone.

Hast Du’s nicht schon in Deinem Leben erfahren: wunderbar sind die Wege des Herrn, aber er führt alles herrlich hinaus! Gottes Wille mache auch Dein Herz stille. Und wird’s nur erst wieder still, dann ziehen die dunklen Wetterwolken vorüber, dann funkelt’s und leuchtet’s in wundersamem Glanz über Dir und Deinem Leben, wie ein heller Gottesstern, das Wort: „Dein Wille geschehe.“

Unser täglich Brot gib uns heute

Aller Augen warten auf Dich, und Du gibst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit. Du tust Deine Hand auf, und erfüllest alles, was lebet, mit Wohlgefallen.
Psalm 145, 15.

„Unser täglich Brot gib uns heute.“ – Dieser 4. Gottesstern leuchtet in alle Erdensorgen hinein.

Es ist die einzige Bitte unter allen sieben, die um irdisches Gut fleht, und sie kommt erst an vierter Stelle. Das will sagen: dreimal mußt Du erst um himmlische Güter gebetet haben, ehe Du um irdische Dinge bittest. Daß diese Bitte weder am Anfang, noch am Ende steht, will sagen: der Gedanke an das tägliche Brot soll nicht Dein erster und letzter Gedanke sein, sondern umgeben und getragen vom Ringen nach himmlischen Dingen. Ist das der Fall? Prüfe Dich heut einmal und siehe daraufhin Dein ganzes Leben an! Was ist’s denn, was Du mit all Deinem Seufzen und Bitten erstrebst? Sind es nicht flüchtige, oft recht nichtige Dinge, und der ewigen, bleibenden Güter gedenkst Du so selten, weder für Dich noch für die Deinen?

Gewiß, Du sollst das irdische Gut nicht unterschätzen, denn wir bedürfen es alle, aber Du sollst es nur nicht überschätzen; sollst nicht vergessen, daß der Reiche ebenso gut seine Sorgen hat, wie der Arme, nur sind sie anderer Art. Es ist ein Jammer unserer Zeit, daß tausende unseres Volkes sich so leicht das Herz verbittern und beschweren lassen und unzufrieden werden. Diese Unzufriedenheit stammt aber nicht aus dem Entbehren, sondern aus dem Begehren! Wenn nicht jeder gleich begehrliche Blicke auf den Nächsten richtete, würde die ganze soziale Frage nie so schroff geworden sein. Man will nur genießen, aber nicht arbeiten! Und doch heißt es: „Unser täglich Brot gib uns heute.“

Dieses Wörtlein „unser zwingt Dich, einen Augenblick stille zu stehen. Du sollst Dich fragen: Ist das Brot, das ich esse, auch wirklich mein Brot, oder gehört es von Gottes- und Rechtswegen gar nicht mir? Habe ich es auf irgend eine unrechte Weise, mit falscher Ware oder Handel an mich gebracht? Hab ich nicht oft für meine Arbeit oder meine Ware mehr gefordert, als sie wert war? Hab ich mir nicht auch Arbeit, die ich aus Trägheit ungetan ließ oder nur schlecht ausgeführt hatte, so bezahlen lassen, als wäre sie voll und gut getan? Klebt nicht an meinem Brot der Schweiß und die Seufzer derer, die für mich gearbeitet haben und denen ich den Lohn verkürzt und herabgedrückt habe? „Unser“ Brot ist es nicht, wenn es erbettelt (denke auch an die Bettelmönche!), wenn es erwuchert, wenn es erpreßt und durch Streiks etc. ertrotzt wird!

Aber bedenke auch, daß Du Dir Dein Brot erbittest nicht für Dich allein, sondern „für uns“, also zugleich für die anderen mit! Wie wir das Brot durch andere bekommen, so sollen es andere auch durch uns bekommen. Das ist Gottes heilige Ordnung in der Welt. Die Bitte soll Dein Herz warm und weich machen und Deine Hand erschließen, denn es hilft nichts, wenn Du wohl Mitleid hast mit den Armen, die ihr tägliches Brot nicht haben, aber dabei zu bequem oder zu geizig bist, auch an Deinem Teil mitzuhelfen, daß ihre Not gestillt werde. Täglich sollst Du Dich erinnern lassen an Deines Heilands Wort: „Was ihr getan habt einem der geringsten unter meinen Brüdern, das habt ihr mir getan“. Täglich sollst Du aber auch selbst mit kindlichem Vertrauen aufs neue dem großen Brotherrn der Welt kommen, der die Vögel unter dem Himmel speist und die Lilien auf dem Felde kleidet, der aber auch Dir und den lieben Deinen jahraus jahrein den Tisch gedeckt hat und auch jetzt Dich nicht vergessen und verlassen wird; täglich sollst Du alle die großen und kleinen Sorgen aus Deinem Herzen herausbeten, denn Dein Brot liegt in Gottes Hand. Aus seiner Hand sollst Du’s aber auch mit Danksagung entgegennehmen. Sprich, lieber Christ, wie steht es mit dem Tisch- und Dankgebet in Deinem Hause? Von heute an soll es auch in Deinem Hause nicht mehr fehlen, das gelobe Dir! –

Was aber das Brot ist für den sterblichen Leib, das ist die Gerechtigkeit und die Vergebung unserer Schuld für die unsterbliche Seele, die nicht vom Brot lebt, sondern von Gottes Wort. Darum steht auch neben der Bitte um das Brot, das aus der Erde stammt, die Bitte um das Himmelsbrot der Vergebung, die Bitte, in der unsere Glaubenshand sich ausstreckt nach Gottes Gnadenhand.

(Fortsetzung.)

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 47 – Sonntag, den 4. Dezember 1927, S.