Bilder von einer Wanderfahrt durch das Erzgebirge vor 80 Jahren (7)

(Fortsetzung unserer Artikel in Nr. 40, 41, 42, 43 vorigen Jahres, sowie Nr. 9 u. 13 d. J. der Erzgebirgischen Heimatblätter.)

Von Oberwiesenthal nach Bärenstein.

Ober- und Unterwiesenthal

Am Fuße des Fichtelberges und unmittelbar unter dem Städtchen Oberwiesenthal hat sich ein Haufen Häuserwerk ziemlich ordnungslos zusammen festgeschoben, wie durch eine Wasserflut. Mitten hindurch fließt der Grenzbach, die Pöhla; der Häuserklumpen diesseits ist Unterwiesenthal und jenseits Böhmisch-Wiesenthal. Beide Ortschaften leben in einem friedlichen Verkehr, weil sie sich von jeher wegen ihres Pasch- und Schmuggelgeschäfts nicht füglich entbehren konnten und die sonstigen nachbarlichen Verhältnisse sie enger miteinander verbanden. Darum sind auch die böhmischen Grenzbewohner in der Regel, gegen die tiefer im Lande befindlichen Katholiken, verständiger und sittlich abgerundeter. Böhmisch-Wiesenthal und Sächsisch-Unterwiesenthal dehnen sich über eine Stunde lang mit kurzen Unterbrechungen an beiden Ufern des Grenzbaches hinab, während beide Ortschaften allenthalben eine dorfartige Physiognomie beibehalten; der fremde Wanderer erkennt aber gleich, was davon nach Böhmen gehört: alle Weibspersonen haben stets den Kopf meist in weiße Tücher eingehüllt; an den Straßen und Wegen trifft man Kruzifixe, heilige Bilder und Kapellen für die Andaxht aufgestellt, die gewöhnlich von Wind und Wetter sehr entstellt sind. Dies stört aber die fromme Einfalt im Kniebeugen und Kreuzemachen nicht. Der Kriegssekretär Hr. W. ….. erzählte, daß, als er sich einmal mit Höhenmessungen an der böhmischen Grenze beschäftigte, für diesen Zweck sein Barometer in einer Waldschneuse an einen Baum geschraubt und sich dann nach der Berghöhe begeben hätte, ihm ein böhmisches Weib entgegen gekommen, welches vor dem Barometer niederkniet, sich bekreuzigt und dann weiter gegangen sei.

Sächsisch-Unterwiesenthal ist älter als Oberwiesenthal und trug bis in die neue Zeit eine halb verpfuschte städtische Verfassung an sich, das heißt, es hatte Kämmerer, Viertelsmeister, Brauerei und dergleichen mehr, aber nur einen Richter und Gerichtsschreiber ohne mehr Jurisdiktion zu haben, als wie man auf Dörfern zu treffen pflegt, wo Erbgerichte sind. Diese winzige Rechtspflege in einem ungeheuer großen Gerichtshause, gab der Einwohnerschaft wenig Trost, aber viel Wärme – beim Bezahlen. Jetzt hat der Ort Stadtgerechtigkeit bekommen, das ländliche Ansehen aber dennoch beibehalten müssen; welches von beiden mehr Vorteile gewährt, – ist nicht bekannt.

Das Eisenhammerwerk – Roter Hammer – ist gerade in einem solchen Teil des Tals eingebettet, welcher wenig Romantik darbietet. Vor mehreren Jahren besaß es ein gewisser Breitfeld, dem die triste Partie nicht lange zusagte; er verkaufte das Werk und wendete sich mit seiner freundlichen Familie nach dem Hammerwerk Erla. Das Eisenwerk Schlössel ist eingegangen, die Hütten sind meistenteils abgetragen und der Komplex der Grundstücke wurde für ökonomische Zwecke eingerichtet.

Von hier aus tut man wohl, auf der an der Grenze sich hinabziehenden böhmischen Chaussee die Wanderung fortzusetzen, indem man von da aus die sächsischen Ortschaften Hammer-Unterwiesenthal, Niederschlag, Stahlberg und Bärenstein immer im Auge behält. Das Tal ist milder, durch seine Lebendigkeit ansprechender und freundlicher, insonderheit ist es auch das böhmische Städtchen Weipert, dessen Gewehrfabrik eine gewisse Art von Wohlhabenheit herbeigeführt hat, die sich an der Nettigkeit der Häuser, Gärten und sonstigen Zubehörungen kundgibt. Die Kirche daselbst zeichnet sich insonderheit durch seinen inneren Reichtum an heiligen Bildern, vergoldetem Schnitzwerk, Staffagen und andern Herrlichkeiten aus, die das Auge füllen und das Herz leer lassen. Vor der Kirche sah ich einen altersgrauen Mann unter einem Kruzifix sitzen, welcher über der Andacht eingeschlafen war. Er hatte in einer mit Hauszwirn geflickten Schachtel Birnen zum Verkauf ausgekramt.

Bärenstein

Bärenstein

dehnt sich in nachlässiger Gefälligkeit am südöstlichen Abhange seines kahlen Basaltkegels, welcher sein Haupt 2745 Fuß über das Meer erhebt, hinauf und die Chaussee-Inspektion hat ihm den Gefallen getan, mit ihrer Straße nachzuklettern, wahrscheinlich ging es auch nicht anders. Das Plateau des Berges gewährt mehrere wunderliebliche Fernsichten nach Sachsen und Böhmen; Städte und Dörfer mit ihren fleißig bebauten Fluren, von Buschwerk umhüllt, und dunkle Streifen von Nadelholz schwimmen überall im Aether-Meer in den mannigfaltigsten Farben umher, bis sie am fernsten Horizont, wohin das Auge nicht reicht, in bla schmalteblauen Luftschichten verschwinden. Wie sehr fühlt man sich doch versöhnt mit allem, was in den Dunstkreisen zusammengedrängter Menschen übel berührt und das Leben erschwert, wenn man hoch auf den Bergen steht und Gottes Odem in vollen Zügen trinkt. Schade, daß so nahe unten im Tale Gewehrfabriken sind, berechnet für Tier- und Menschenmord.

Von Bärenstein nordwärts läuft die Chaussee auf einem Bergrücken fort, welcher seiner Länge nach von dem Königswalder- und Sehma-Tal umarmt wird, bis er sich nach 1 ½ Stunde Wegs gegen Annaberg hernieder lenkt. Von Bärenstein aus erreicht man zunächst eine Handvoll Häuser, die wie ein Pasch-Würfel an einem Bergabhange hinabgestreut sind, ohne Rücksicht zu nehmen, welche Stellung sie finden mochten. Dies Oertchen heißt: der Kühberg. Nicht weit davon ladet ein stattlicher Gasthof, – Königslust geheißen, – zur Einkehr ein, den in frühern Jahren ein gewisser König aus Annaberg erbaute und von da auch immer den meisten Zuspruch erhielt, besonders im Winter bei guter Schlittenbahn. Allein diese Stadt hat sich’s bequemer gemacht mit Glumanns Garten, dem Waldschlößchen, dem reizend gelegenen Wiesenbad Sehma und im Winter mit ihrem Museum und Harmonie, so daß die königliche Luft über lang oder kurz in Vergessenheit kommen wird, wie alle Lebensherrlichkeiten der Erde. Vergessen kann aber ein Freund der Natur die anmutigen Fernsichten nicht, welche er auf dem Rücken des Gebirgszuges genießt, welcher sich von Bärenstein nach Annaberg hin ausdehnt. Rechts hat sich Königswalde in ein ziemlich enges und tiefes Tal eingebettet und klettert mit seinem Zugvieh Jahr für Jahr an seinen Talwänden herum, Saaten zu bestellen für Hafer-, Flachs- und Kartoffelbau. Links in dem etwas mildern Sehmatal und an seinen Gehängen, besonders in Cunersdorf, liegen häufig Halden und Pingen, als Zeugen auflässig gewordener Zechen, die in frühern Zeiten ihren Segen spendeten.

Nah und fern auf diesem Wege eine endlose Abwechselung und Mannigfaltigkeit! ein Bunterlei von halb oder ganz versteckten Dörfern, deren Dasein die Turmspitze einer Kirche verrät; ein Streifen Nadelholz, aus welchem sich hin und wieder eine jugendliche Baumallee hervorspinnt, die einer Chaussee angehört; eine lange Kegelbahn nach Norden – es ist die schnurgerade Kunststraße von Gehringswalde nach der hoch gelegenen Heinzebank, und überall der Gotteshauch einer erquickenden Luft, der uns, versöhnend mit dem Getriebe der Talwelt, umweht.

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 14 – Sonntag, den 3. April 1927, S. 2