Aus Annabergs Vergangenheit (7)

Auszüge aus alten Aufzeichnungen über die Jahre 1793 – 1819.

VII. Teil.

Frohen Herzens, da nun endlich die furchtbare Notzeit vorüber war (siehe Teil VI), beging man in Annaberg in festlicher Weise am 31. Oktober 1817 das 300jährige Reformations-Jubiläum. Die Feierlichkeiten dauerten drei Tage. Sie wurden ausgefüllt durch gehaltvolle Predigten, schöne Gesänge und musikalische Vorträge sowie durch farbenprächtige Aufzüge. An diesen beteiligten sich die Behörden, die Schulen, die Gewerbetreibenden, überhaupt fast alle Bürger von irgend welcher Bedeutung, schließlich auch die Bergleute in ihrer althergebrachten Tracht. Diese stellten am zweiten Feiertag für den Aufzug ungefähr 400 Mann. Aus dieser Zahl ersieht man, daß der Bergbau, wenn er auch erheblich zurückgegangen war, doch noch immer rege betrieben wurde. Die Zahl der Schulkinder, Knaben und Mädchen, die in dem Zuge mitgingen, betrug über 300. Wie der Chronist erzählt, waren die Kinder „1) aus dem eingepfarrten Dorfe Frohnau, 2) aus der Armenschule, 3) aus den beyden Mädchenschulen und 4) aus der Bürgerschule, die Knaben aus Quinte und Quarte.“ Diese Angabe wirft ein interessantes Streiflicht auf die damaligen Schulverhältnisse.

„Diese sämmtlichen Kinder gewährten einen imposanten Anblick. Denn die meisten Knaben hatten Guirlanden um die Hüthe und grüne Zweige, mit Luthers Bildniß in Zinn geprägt, an der Brust“. Vielleicht bewahrt noch dieser oder jener meiner Leser solch ein Bildnis als teures Andenken an seine Voreltern auf. „Die Mädchen waren durchgängig weiß gekleidet, die Häupter derselben mit Wintergrün, Feld- und Gartenblumen bekränzt und eben davon mit Guirlanden unten um die Kleider schön geschmückt; so wie auch die allermeisten Luthers Bildniß ebenfalls in Zinn geprägt, am hals herabhängend, trugen, wovon das Stück meist mit 2 Gr. bezahlt worden war.“

Das Reformationsfest gab den Kindern den besten Anlaß, dem Sup. Lommatzsch, an dem sie wie an einem Vater hingen, ihre Liebe und Verehrung zu bezeigen. Als der Superintendent am ersten Feiertag nach der Predigt die Kanzel verließ, „streuten ihm Mädchen in dem Gange bis an die Sacristey Blumen“. „Am dritten November – am Tage nach der Reformationsfeier -, als am Montag Abends, kamen die größern Mädchen aus den Schulen und überbrachten dem Hrn. Superintendenten M. Lommatzsch in ihrem festlichen Anzuge eine Abendmusik nebst Vivat und deren Väter trugen die Fackeln. Jedes im Zuge befindliche Mädchen hatte 2 Gr. zur Abendmusik gegeben. – Sieben der ältesten Mädchen, durch einen Blumenkranz umschlungen, überreichten ihm, dem Hrn. Superintendent, auf einem weißseidnen Kissen folgendes geschriebene Gedicht (gekürzt):

Opfer kindlicher Liebe
dem allgeliebten Hrn. Superintendenten
M. Lommatzsch etc.
dargebracht von einigen Schülerinnen.

Vater Lommatzsch! Dich von Herzen
Lieben alle kindlich wir!
Gütig nimm auch dieses Opfer,
Das wir heute bringen Dir.

O! durch unser ganzes Leben
Wird’s uns unvergeßlich seyn:
Wie Du als ein zweyter Luther
Trat’st in unsre Mitte ein.

Auch auf Dir ruh‘ Gottes Seegen,
Lohne alles Gute Dir,
Das Du schon in unsern Mauern
Hast vollbracht. Dank Dir dafür!

Verfasser Posamentirermeister Weber.

Am folgenden Tag, den 4. November „führten die Quartaner einen eigenen Zug ebenfalls unter Begleitung von Musik, Abends von 6-7 Uhr an der Superintendentur auf. Ein beherzter Knabe las — (ein) Gedicht vor, worauf — ein herzliches aus jugendlicher Brust gerufenes „Lebe tausend Mahl hoch!“ ertönte.“ Sup. Lommatzsch war durch diese Ovationen tief gerührt. Er spendete über 100 Kindern am nächsten Sonntage in der Superintendentur Kaffee und Kuchen und abends Butterbrot, Braten, Obst und Bier. Er hatte auch noch Musiker kommen lassen, die den Kindern zu einem Tänzchen aufspielten.

Mit Absicht habe ich bei dieser Schilderung so lange verweilt, um meinen Lesern einen kleinen Einblick in die damaligen patriachalisch-herzlichen Zustände zu gewähren.

Anläßlich dieser Reformationsfeier erhielt die Kirche zahlreiche Stiftungen und Geschenke. „Herr Johann Christian Eisenstuck, Stadtrichter allhier und Herr auf Schönefeld schenkte 200 Thaler –. 100 Thaler davon sollen der Kirche verbleiben und 50 Thaler wurden zu anderen nothwendigen Zwecken verwendet, z. B. zur Anschaffung des Brustbildes D. Luthers, nach Lucas Cranach gemalt, welches 9 Ducaten gekostet und von dem Hrn. Professor Edlinger in Dresden copirt worden ist.

Hr. Christian Gottlieb Hänel, Senior, Kauf- und Handelsherr allhier, ließ den kostbaren Rahmen um Luthers Bild machen.

Eine Gesellschaft von 12 Frauen besorgte 3 neue Blumenstöcke, einen auf die Kanzel und zweye auf den mittlern Altar –.“

„– Die Posamentir-Innungs-Meisterschaft, 423 an der Zahl, — kleidete die Kanzel mit einem schwarz manchesternen Kanzeltuch, an welchem befindlich ist: 1) doppelt silberne Franzen; 2) silbernes Siegeslamm, und 3) Jahrzahl 1817. Diese Bekleidung hat nach der mir von dem dermaligen Handwerksschreiber Herrn Johann Traugott Zickler (Starb den 9. July 1818) und Obermeister Hrn. Christian Gottlob Schubert und Hrn. Johann Gottfried Gräfe aufgezeichnete Specification in Summa gekostet: 113 Thaler 7 Gr. 6 Pf. –.

Auch die Posamentirer-Gesellschaft, 125 an der Zahl, war dem Beyspiele der Meisterschaft gefolgt. Diese ließ ein schwarz manchesternes Pfeilertuch verfertigen, woran befindlich ist: 1) silberne Franzen; 2) eine aus Silber geprägte aufgehende Sonne, welches — gekostet hat 64 Thaler 8 Gr. 6 Pf. –. Im übrigen haben auch noch andere Innungen so wohl wie auch mehrere Familien Beyträge an Geld gegeben –.

Hr. Johann Heinrich Gensel, Kauf- und Handelsherr allhier, ließ durch Mstr. Johann Friedrich Breitfeld, Zinngießer allhier, die messingnen Altar- und beyden Kronleuchter auf eigene Rechnung putzen.

Eine Hällische Handbibel schenkte Hr. Johann Carl Friedrich Mauersberger, Buchbinder, als Meisterstück in die Sacristey zum Gebrauch beym Gottesdienste.“ –

Der Chronist erwähnt noch eine Reihe anderer Legate und Geschenke an die Kirche, die vor und nach dem Reformations-Jubiläum, ohne sich auf dieses zu beziehen, gestiftet worden waren.

So schenkte am 13. März 1818 „Johann Friedrich Löw, Drechslermeister allhier, aus eigenem Antriebe der Hauptkirche einen künstlich von ihm selbst verfertigten Opferstock statt des zeither gewöhnlichen Communicanten-Beckens. Dieser Opferstock ist schwarz gepeitzt, lackiert und versilbert und besteht aus 75 Stücken, die alle bezeichnet sind, um die Zusammensetzung wieder zu treffen. das ganze hält ein starker Drahtstift. In dem untern Deckel, woran drey Füße befindlich sind, ist der Lebenslauf des Verfertigers auf einer verborgenen Scheibe zu finden und lautet wie folgt:

Ich Johann Friedrich Löw habe dieses mit göttlicher Hülfe und Beystand in meinem zu Ende gehenden 53. Lebensjahr Gott und der Kirche zu Ehren verfertigt, da ich das 32. Jahr, als Drechslermeister, noch nicht ganz durchlebt habe. Ich bin allhier geboren und in hiesiger Hauptkirche getauft: den 26. Februar 1765. – Die Drechslerkunst habe ich von meinem Vater erlernt. Ich bitte Gott, daß er mir meine noch übrige Zeit in Noth, Angst und Trübsaal, als einen guten Christen geduldig durch leben läßt, und mir dann dereinst ein seeliges Ende gebe.“

Ob dieser Opferstock noch in Gebrauch oder überhaupt noch vorhanden ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Sei dem wie es wolle, der Bericht unsres Vorfahren ist zeit- und familiengeschichtlich recht bedeutungsvoll und wird namentlich die Nachkommen des Meisters Löw, wenn sie noch am Leben und diese Zeilen zu Gesicht bekommen sollten, sicher interessieren.

„Zur Aufbewahrung dieses Opferstocks“, so fährt unser Chronist fort, „hat eine hiesige Tischlersmeister Wittwe, Fr. Wilhelmine Dorothee Thiermannin, die 8 Kinder hat, einen Schrank machen lassen, den sie ebenfalls den 12. März 1818 der Kirche schenkte. Auch schon in frühern Jahren schenkte gewöhnlich dieser Wittwe seelig verstorbener Mann, C. Fr. Thiermann, wenn eines seiner Kinder das erste Mal communicierte, der Kirche jedesmal zwey Sophabänkchen —.

Legate, z. T. auf beträchtliche Summen lautend, wurden für die Kirche ausgesetzt u. a. ausgesetzt von der Frau Christiane Gensel, der Witwe des Auris-Inspectors und Kauf- und Handelsherrn Johann Gottlob Gensel, ferner von Johann Heinrich Conrad Querfurth, „Bürgermeister, Tranksteuer- und Impost-Einnehmer, wie auch Kauf- und Handelsherr allhier.“

(Schluß folgt.)

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 32 – Sonntag, den 8. August 1926, S. 2