Guido Wolf Günther.
Nebel wallen und wogen gespenstisch im Dämmerlicht des Maiabends warnend gellt des Eichelhähers Schrei am Waldrand dahin und erschrocken plustern sich hier und da brütende Weibchen im Neste auf, die Eier zu schirmen vor Marder und rüttelndem Habicht. Schier möchte ein Fröstlein uns überlaufen in diesem wunderlichen Schweigen, in dem doch tausend Stimmen klingen und klagen. Letztes Schauern aus Walpurgisnachtszauber erregt das Blut und treibt es rascher durch die Adern, Vernunft und Alltag ducken sich unter sagenspinnender Dämmerung, und das Auge löst sich aus dem gewohnten Bilderkreis und steht im Banne webender Nebelfetzen, die aus Baumstümpfen und moosigem Gestein eine längst vergangene Welt beschwören, – Sagen, um Oberwiesenthal gesponnen, seltsam gemischt aus Dichtung und Wahrheit.
Im Jungferngrund.
Das war die schöne Jutta, die im lieblichen Wiesenthal zu Füßen des behäbigen Fichtelberges ein stattlich Haus ihr eigen nannte. Des wohlhabenden Bergherren Andreas Wolfer Tochter, hat sie bei des gestrengen Vaters plötzlichen Heimgang über Nacht Haus und Gruben geerbt, und ist schier des Glückes Freude ihr zu viel geworden. Hat doch keine Mutterhand helfend Beistand leisten können in den Jahren, da ein Mädchen zum Weibe wird und Rat und Zucht bitter nötig hat. – War ein traurig Weiblein gewesen, die Mutter, und des lebenswilden Bergherrn Gefährtin sollte wohl flinkeres Blut in den Adern haben. Aber um des Mädels willen, das sie ihm geboren, hat der Wildling sein Weib um sich geduldet wie ein armselig Tierlein, das sein Gnadenbrot hat. Denn in der schwarzhaarigen, wilden Jutta klopfte derselbe Pulsschlag, der Andreas Wolfers Blut brausen ließ wie Bergwassersturz und aus ihren Flackeraugen sprang dasselbe Feuer, das in des Bergherrn Adern glutete! So duldete der heißblütige Mann sein stilles Weib nur neben sich um Juttas willen und in der Hoffnung, daß sie ihm noch den Sohn schenkte, nach dem sein Vaterstolz schrie. – Und als zum zweitenmale nächtlings ein Kinderstimmlein im prunkenden Bergherrnhause ins Leben hineinrief in bangem Fragen, da wars wieder ein Mägdelein! Ein Mägdlein dazu, dem Haar und Augensterne seiner Mutter bedeutsam eigen waren. – Kaum konnte der jähzornige Mann sich bezähmen, den Frieden eines durch Mutterschmerz geweihten Raumes nicht zu stören durch den Ausbruch unverhüllten Zornes über enttäuschte Hoffnung, und wilde Gelage im Böhmischen drüben betäubten nur nächtelang seinen Haß. –
Bis eines Tages die stille Frau mit ihrem Kinde in die weite Welt wanderte, neue Heimat suchend für sich und das Mädchen, dem sein Name Maria Schutz geben sollte im Andenken an die schmerzensreiche Gottesmutter.
Hohnlachend sah der Bergherr das verwaiste Hauswesen, heimkehrend von weinströmender Zechrunde. So war es ihm recht, und Juttas leichtsinnig Blut war bald über das Trennungsweh hinweggehüpft wie draußen vorm Hause der Bergbach über Steine plätscherte.
Schon dachte der stolzherrische Andreas Wolfer daran, ein wildes, schwarzhaariges Weib aus einer Grenzschänke als Frau ins Haus zu nehmen, da schlug ihn sein hitzig Blut in jähem Schlag Becher und Leben in Scherben und gebrochenen Auges trugen seine Zechgenossen ihn Jutta ins Haus. – Wild wie ihr Blut war auch ihr Schmerz um den Vater, aber auch jäh verwunden, als ein neues Erlebnis ihre Sinne rief. War da in dem Bergwerk ein junges Blut, Berthold von Althof geheißen, deß Trachten darauf ging, des reichen Andreas Berganteile zu erwerben ohne Mühen. Ging also der wilden Jutta zu Gefallen und zündete in ihrem Blute Gluten an, die sie nie zuvor gefühlt. So führte ein holder Mai und ein rosenduftatmender Sommer bald zum Verspruch mit des Bergherrn Tochter. – Der Tag rauschenden Hochzeitsgepränges war nicht mehr fern, da erschien im Hause Juttas Maria, die junge Schwester! Grüße bringend vom Sterbebett der Mutter, die im Böhmerland tückischem Fieber klaglos erlegen war. Und Wehmut und bräutlich Glück vereinten sich zu seltener Rührung in Juttas Herzen, also, daß sie der fast vergessenen Schwester Obdach bot im Vaterhaus, nicht ahnend, daß Mariens holde Lieblichkeit neben ihrer Schönheit stand wie Maienzauber gegen Sommerglut.
Bis es schmerzhaft hell in Juttas Sinnen wurde, als sie sah in quälender Eifersucht, daß Bertholds Blicke lieber in Mariens sanften Augen ruhten, als im Feuerbrand, der unter Juttas dunklen Wimpern lockte und glühte. Noch schalt sich Jutta selbst ob solcher kindischen Angst, den Liebsten zu verlieren, als ihr argwöhnisches Spähen gewahr ward, daß Bertholds stilles Werben um Mariens Gunst im Herzen der Schwester das Weib erwachen ließ und mit holdseligem Erröten auch ihre Blicke Brücken spannten zu Bertholds Herzen. —
Das war der unselige Tag im Jungferngrund, der zwei Schwestern in Qual und Verdammnis stieß; da über Tisch die Zunge spitze Pfeile sandte, hinüber und herüber, des Liebsten Treue ausspielend gegen neuen Rausch, da eine Schwester der anderen nicht nachstehen wollte im Besitze des Liebsten. Da geschah es, daß die wilde Jutta im jähen Rausch der Eifersucht das Messer warf nach der Schwester Herz, das sein heimlich Liebesglück zur Stund ausjubeln wollte beim Klang der Laute, dessen Spiel Maria im Böhmerland gar trefflich gelernt hatte. Liebeslied und rotes Herzblut mischten sich zum Todesgesang der jungen Schwester, und Jutta stürzte von tausend Teufeln gejagt, durch Wald und Blößung, um vor sich selbst zu fliehen. Raffte endlich, vom erlösenden Irrwahn umfangen, Blüten und grünes Geäst zum Kranze, die tote Schwester zu schmücken. Brachte dann nach entsetzlich wütender Qual der Totenwacht sich und ihr Glut der Schwester zum schuldläuternden Sühneopfer: schaurig züngelnden rote Flammen um Andreas Wolfers stolzes Haus und im Sturze brennenden Gebälkes löschte die wilde Jutta ihre Schuld —.
So spannen sich mir Gestalten und Bilder aus alter Sage, die nur zu berichten weiß, daß die Jungfern Schwestern sind, deren eine klagend Kränze windet, während die andere mit der Laute gesehen worden sein soll. Eine Mär von Schuld und Sühne, – hineingewebt in den grünen Teppich meiner Berg- und Waldheimat, denen zum Gruß, die ein träumend Gemüt haben, um der Muttererde Stimme zu verstehen.-
Der Geldbrunnen auf dem Fichtelberge.
Und ein lustig Geschichtlein, das bange Grausen zu heben zu frohem Lachen: Das war der alte, fromme Hutmann Abraham Musch in Wiesenthal, dem solches geschah, daß er an einem herrgottschönen Tag nach dem Fichtelberg ging, ob etwa die Finken sich locken ließen zu Netz und Leim. Denn in der ganzen Gottesbibel doch kein Sterbenswörtchen steht, daß ein alter, frommer Bergmann nicht zu seines herzens Freude und guter Freunde Nutzen von ohngefähr ein Stieglein Finken fangen dürfte! Schon, wenn man noch dazu Abraham heißt! –
Steigt also unser braver Musch ganz rapplig einem Prachtfinken nach, der ihn lockend von Baum zu Baum hinter sich herlockt. Sieht plötzlich ein gleißend Wasser vor sich im Sonnenlicht und zuunterst auf dem Grunde des Brunnens sitzt sein Prachtfink und sperrt just wieder den Schnabel auf, den goldigen, um einen rechten, zünftigen „Reiterzug“ zu schmettern! Da flimmert’s und glitzert’s dem Abraham Musch vor Augen denn außer dem Finken über ihm in der Fichte spiegelt sich natürlich auch sein eigenes, silberbärtiges Gesicht im Wasser und sein Uhrgehäng blitzt vielfach strahlend ihm aus dem Waldwasser entgegen! Silber und Gold -, und ein Reiterzug-Fink mit korallenleuchtendem Brüstlein, – s’ist zum Närrischwerden! Und die achtundsiebzig Jahre, die der alte fromme Abraham Musch auf seinem Häuerbuckel hat, sind vielleicht mit schuld daran, daß er mit einem tief geseufzten „Walt’s Gott“ tief hineinlangt in den Segen und – längelang hineinpatscht in die große Pfütze! Darob der alte Waldfrosch, der schon sechs Sommer hier haust, vor Aufregung und Schreck eines jämmerlichen Todes verbleicht und endlich dorthin kommt, wohin er von rechtswegen schon lange gehört: ins Krähennest drüben an der Schonung.
Vater und Großvater Abraham Musch aber rappelt sich aus dem wunderschön weichen Schlammboden sehr ernüchtert wieder empor, tut trotz seines ehrwürdigen Rufnamens einen sehr, sehr unchristlichen Fluch, an dessen Ende er als neuen Rufnamen „alter Esel“ hängt und trollt sich schnellstens in die liebe Sonne, um sich Pelz und Gewand trocknen zu lassen, ehe er seiner gestrengen Muschin unter die Augen tritt.- Ist aber pfiffig genug, der fromme Abraham Musch, seiner wundergläubigen Frau zu erzählen, daß er beinahe aus dem Geldbrunnen auf dem Fichtelberge Reichtümer mitgebracht hätte, wenn nicht ein Mönch mit langem Barte und ein Wundervogel mit blutender Brust ihn baß erschreckt hätten! –
Also, daß alle Wiesenthaler Musch-Verwandten noch heute an selbigen Geldbrunnen glauben und ihm eifrig nachspüren! –
Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 22 – Sonntag, den 30. Mai 1926, S. 2