Schlettau in Feuers- und Wassernot.

Nach alten und neueren Aufzeichnungen.

Es geht den Städten genau so wie den einzelnen Menschen. Manche verfolgt das Schicksal und überhäuft sie mit Unglück und Leid. Anderen dagegen ist das Schicksal gnädiger gesinnt und verschont sie mit schweren Heimsuchungen. Zu den Städten, denen im Laufe ihrer Geschichte der Himmel viel Not und Unglück geschickt hat, gehört auch unser liebes Schlettau. Ich will schweigen von den Kriegsnöten, die Schlettau hat erleiden müssen. Sie waren schwer, überaus schwer. Aber sie werden vielleicht noch übertroffen durch die maßlosen Nöte, die zahlreiche Feuersbrünste über die Stadt gebracht haben. Und zu dem Element des Feuers gesellt sich das Element des Wassers, Schlettau zu plagen und heimzusuchen.

I. Feuersbrünste.

Die erste bedeutende Feuersbrunst, von der uns der Chronist berichtet, war im Jahre 1535. Damals brannte in Schlettau „die obere Seite ab bis an das obere Thor”. Vorher mögen auch größere Feuer gewesen sein. Nachrichten hierüber fehlen jedoch anscheinend. Glücklicherweise hatte 2 Jahre vorher, nämlich 1533, der Abt zu Grünhain den Schlettauern Unterstützung bei Feuersnot zugesagt in der Weise, „daß, wenn Feuernoth vorginge, ihnen Bauholtz und Schindelbäume uff den Aebtischen Wäldern um den Bärenstein uff Ansuchen sollte vergönnt und abgefolget werden.” Aus dieser Zusage könnte man vielleicht schließen, daß Schlettau schon vordem durch Brände in schwierige Lagen geraten war; denn wohl nur aus gewissen Erfahrungen heraus werden die Schlettauer diese Feuerhilfe erwirkt haben.

1570, am 6. Juli, verursachte ein „schweres Wetter“ den Brand von mehreren Häusern.

Während des dreißigjährigen Krieges, vermutlich 1632, wurde die Stadt durch die Horden von General Holck zum Teil angezündet.

Ein furchtbarer Brand war der des Jahres 1659. Den 12. November „kam in des Bürgermeisters Jungmichel Wahlhause Feuer aus, welches die Stadt bis auf das Schloß und 15 Häuser zerstörte.

Auch die St. Ulrichkirche wurde ein Raub der Flammen. Unbeschreiblich war die Not, in die Schlettau durch diese Feuersbrunst geriet, die alles bisher dagewesene in den Schatten stellte.

In Beziehung zu diesem Brande steht folgende überlieferte Erzählung: „Als 1661 im Juli Kurfürst Johann Georg II. in Annaberg war und von hier über Cunersdorf und Sehma nach Crottendorf abging, thaten ihm auf der Höhe 20 Knaben von der Schlettau mit blosem Haupt, oben ohne Wämser, mit aufgehobenen Händen in Anweisung des Kirchvater einen Fußfall wegen des Brandes und Abschaffung des Bürgermeisters.” Unklar ist in dieser Erzählung die Stelle: „Abschaffung des Bürgermeisters.“ Sie läßt vielleicht zwei Deutungen zu. Entweder strebte man darnach, den Bürgermeister, von dessen Wahlhause aus sich das Feuer über die Stadt verbreitet hatte, abzusetzen. Dann schob man ihm wohl die Schuld an dem furchtbaren Unglück zu. Oder der Bürgermeister hatte schon sein Amt verloren und man wollte ihn wieder einsetzen. In diesem Falle hielt man ihn wohl für schuldlos und seine Abschaffung für ungerechtfertigt. Das Wort Abschaffung bedeutet also entweder ein Ziel, das man erreichen will, oder eine schon vollendete Tatsache, die wieder rückgängig gemacht werden soll. Leider standen mir keine Unterlagen zur Verfügung, wenn sie überhaupt noch vorhanden sein sollten, das Dunkel zu lichten.

Kaum 50 Jahre sollte Schlettau vor dem furchtbaren Element Ruhe haben. Am 15. März 1700, abends zwischen 9 und 10 Uhr, brach wieder eine Feuersbrunst aus, die der von 1659 an Umfang und Schrecken nicht nachstand. „Es brannten ab die Pfarre, 60 Häuser und vor dem Elterleiner Thore 21 Scheunen.“ Verschont blieben nur die Kirche, das „Lauthaus“ und 26 Scheunen. Bei der Kirche ist allerdings einschränkend zu bemerken, daß ihr Sims auch vom Feuer ergriffen wurde, „doch wurde es mit Schneebällen wieder ausgeworfen“. Dieses Feuer verzehrte also so ziemlich „die ganze Stadt“, wie der Chronist ausdrücklich berichtet.

Für die Abgebrannten wurde überall gesammelt. „1700 am 28. März bezeugt der Rat zu Schlettau, daß die arme, alte, verlebte Witfrau Juliane Jungmichelin mit ihrer Tochter mit abgebrannt (verbrannt)“ sei. Kaum hatten die Schlettauer ihre Stadt notdürftig wieder aufgebaut, traf sie ein neues nicht minder entsetzliches Brandunglück am 18. August 1708. Es schien, als ob Gottes Strafgericht über Schlettau walte. Aber die Stadt war doch auch nicht schlechter als alle übrigen Orte. Wer kennt die Gedanken und Wege der Vorsehung! Nach den Aufzeichnungen des Chronisten zündete „mittags zwischen 2 und 3 Uhr ein Blitz aus hellem Himmel den Turm (der Kirche), der bis auf die Mauern nebst drei Glocken und Kirchendach verbrannte, auch noch die Pfarre, Schule, Lauthaus, alle Kommungebäude und 95 Bürgerhäuser verzehrte“. Da, wie erwähnt, auch die Pfarrwohnung eingeäschert worden war, mußte der Pfarrer nach Walthersdorf ziehen.

Es hat sich eine Urkunde über diesen Brand erhalten, die folgendes besagt (zum besseren Verständnis ist ihre veraltete Schreibweise öfters der jetzigen angepaßt):

„— — — — Der allergerechtigste Gott (hat) am 18. dieses Monats Augusti nachmittags gegen halb drei Uhr hiesiges arme Bergstädtlein des Churfürstenthums Sachsens über den am 15. März Anno 1700 erlittenen Brandschaden abermals mit einer grausamen Feuersbrunst heimgesucht, indem bey entstandenem Ungewitter dasselbe durch den Donner und Blitzen angezündet worden. — — Das Feuer (hat) mit solcher Hefftig- und Geschwindigkeit so entsetzlich gewütet und getobet, daß keine Rettung (hätte) — — gethan — — — (werden) können — — —.

— — Also (ist) in einer halben bis etwa dreiviertel Stunden das ganze Städtlein nebst Kirchen- und Glockenturm, Pfarre und Schulhauß samt dazu gehörigen Scheunen, Ställen, Rat- und Brauhauß, Hospital und 2 Thorhäußer und also in die Fünff- und Neunzig Bürger- und Wohn-Häußer bis aufs Königl. und Churfürstliche Sächs. Schloß und etliche kleine Häußlein eingeäschert. (Dadurch ist) — — die sämbtliche arme Bürgerschafft in äußerste Armuth versetzet worden und ums all das Ihrige gekommen. (Dabei haben) — — nicht alleine verschiedene Personen an Leibe und an der Gesundheit Schaden gelitten, dergestellt, daß zwey Weibspersonen bereits das Leben eingebüßet, sondern auch alle durchgehends von ihren Kleidern, Betten, Wäsche, Hauß- und theils Wagen- und Ackergeräten, Vieh, Getreide und andern Mobilien das wenigste, meistens aber garnichts retten können. (Die Bewohner hatten sich nämlich) — — — bey dem damaligen Heuwetter theils zu Felde, theils aber sonsten sich außerhalb befunden.

— — — (Es) ergehet an Jedermännlich hierdurch unser — — gehorsamb und gebührendes Bitten, es geruhen alle, denen dieses wahrhaffte, pflichtmäßige, gedruckte Attestat vorgezeigt wird, demselben vollen Glauben zu geben und aus chriftliche(m) — — Mittleiden ihnen (den Vorzeigern des Schriftstückes) mit einer freywilligen Beysteuer und liebreichen Almosen an die Hand zu gehen. Solche Liebe und Gutthat wird der allmächtige Gott als ein Vergelter alles an den Armen erzeigten Guten einem Jeden mit reichem Segen wiederumb gut thun und reichlich ersetzen, (wie) — — denn auch der Percipient (Empfänger) sothanen (solchen) Almosens es mit andächtigem Gebeth zu Gott vor (für) die gutherzigen Geber zu verdienen Zeitlebens nicht vergessen — — wird, soll und will.

Signatum Schlettau, — — Anno 1708.“

Aus diesem Dokument, das, wie man aus seinem Inhalte schließen kann, vom Rate für Bedürftige ausgestellt wurde und diese zum Empfang von Almosen berechtigte (in dem Schriftstück kommt noch zum Ausdruck, was jedoch der Klarheit wegen fortgelassen ist, daß der Vorzeiger dieses Schreibens durch das Brandunglück „gleichsam an den Bettelstab geraten“ ist und „dahero sich gemüßigt befindet, fromme, christliche, mitleidentliche Hertzen umb ein Almosen anzulangen“), geht die verzweiflungsvolle Lage der Stadt deutlich genug hervor. Die Stadt, die sonst immer so sehr auf ihr Ansehen hielt, mußte ihren Bürgern Bettelbriefe ausstellen, da sie aus eigener Kraft nicht das maßlose Elend beheben konnte. Ein wahrhaft erschütterndes Bild!

Mit auswärtiger Unterstützung und Anspannung aller Kräfte gelang es den Schlettauern, ihre Stadt aus den Trümmern wieder aufzurichten. Sie hofften, daß ihnen Gott, den sie trotz allen Ungemachs, das er über sie verhängte, den „allergerechtigsten“ nannten, künftig gnädig sein würde. Aber die Prüfungen sollten noch nicht zu Ende sein. „1733, am 3. Mai, brannten abermals 66 Häuser ab. Dabei verbrannte eine Weibsperson Anna Rosine May, da sie, weil im Treudtler’schen Hause die Treppe brannte, sich nicht mehr retten konnte.“

Dann wurde Schlettau mehr als hundert Jahre von größeren Bränden verschont. Kleinere Brände waren jedoch öfters zu verzeichnen. So schlug 1764 „der Blitz in Sebald Hecker’s Haus — —. Das Haus brannte ab, die Frau des Besitzers wurde getötet“.

In den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts weist die Geschichte Schlettaus wieder 2 größere Brände auf. In einem Falle ist die Ursache vielleicht Brandstiftung gewesen. Der Chronist schreibt nämlich folgendes: „1855 endete Karl Gotthold Kupfer am 19. Oktober im Gefängnis freiwillig sein Leben, weil er der Brandstiftung verdächtig eingezogen war. Bei diesem Feuer kamen 2 Personen durch Einsturz einer Wand ums Leben.“

Seitdem wurde Schlettau nach den Angaben des Chronisten von Feuersbrünsten nicht mehr heimgesucht. Kleinere Brände hörten allerdings nicht auf. Aber sie sind auch in der Gegenwart mit ihrem so ausgebildeten Feuerschutz nicht zu vermeiden.

Da die Schlettauer leider nur zu oft die Feuersnot am eigenen Leibe gespürt haben und sich dankbar der Unterstützungen anderer Gemeinden erinnerten, so taten sie auch reichlich ihre Hand auf, als im August 1867 Johanngeorgenstadt abbrannte und in furchtbare Not geriet. Für die zerstörte Stadt wurde damals in ganz Deutschland eine Sammlung veranstaltet, die etwa 600 000 Mk. ergab. Die Bürger Schlettaus beteiligten sich hieran mit einer ansehnlichen Summe. Der Stadtrat „schenkte — — aus dem Stadtvermögen 300 Mk. zum Aufbau der Kirche und öffentlichen Gebäude und gab außerdem 150 Brote und 1 Fuder Heu“.

Durch die vorhin geschilderten großen Brände sind, man kann wohl sagen, fast alle Urkunden und sonstigen Aufzeichnungen aus früherer Zeit vernichtet worden. Ebenso sind zahlreiche Kunstschätze und andere wertvolle Dinge, die uns wichtigen Aufschluß über den Kulturstand, die künstlerischen und gewerblichen Leistungen sowie über die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und rechtlichen Einrichtungen und Verhältnisse usw. unserer Vorfahren hätten geben können, zerstört worden. So tappen wir in der Geschichte Alt-Schlettaus in einem gewissen Dunkel, das nur durch gelegentliche Funde ab und zu erhellt wird. Man ist größtenteils auf Vermutungen angewiesen, die oft mehr oder weniger das Richtige treffen. Mann zieht wohl die Einrichtungen und Verhältnisse gleichartiger Städte zu Hilfe und nimmt an, daß es in Schlettau nicht viel anders gewesen sein könne. —

Meine Leser werden nun vielleicht wissen wollen, weshalb in früheren Zeiten die Brände eine so gewaltige Ausdehnung nehmen konnten, daß der größte Teil einer Stadt, man könnte sogar ohne Uebertreibung sagen, eine ganze Stadt in Flammen aufging. Heute bricht ja auch öfters Feuer aus, aber es wird gewöhnlich auf seinen Entstehungsherd beschränkt und greift nur in seltenen Fällen, wenn die Verhältnisse besonders ungünstig liegen, auf benachbarte Gebäude über. Es ist daraus zu erklären, daß früher der sogenannte Feuerschutz bei weitem nicht so ausgebildet wie heute war. „Früher“ bedeutet die Zeit bis etwa Anfang des vorigen Jahrhunderts, vielleicht sogar noch darüber hinaus.

Der Begriff Feuerschutz umfaßt alle Vranstaltungen zur Vorbeugung, schnellen Bekanntmachung, Abwehr, Unterdrückung und Gefahrlosmachung von Feuerschäden. Genauer ausgedrückt, gehört unter anderem zum Feuerschutz die Feuerpolizei, das Feuermelde- und Feuerlöschwesen.

Die Feuerpolizei hält, um nur einiges aus ihrem überaus umfangreichen Tätigkeitsfeld herauszugreifen, beim Bebauungsplan auf breite Straßenzüge, hauptsächlich aber auf feuersichere Treppen in den Gebäuden, auf möglichst massive Bauart der Wände und Dächer. Wie oft und wie sehr ist dagegen früher verstoßen worden. Ich erinnere an die in der Regel sehr schmalen und engen Straßen der alten Städte, die das Feuer leicht von einer Straßenseite auf die andere überspringen ließen. Ferner erinnere ich daran, daß früher die massive Ausführung der meisten Gebäude, besonders der Häuser, in denen die ärmere Bevölkerung wohnte, viel zu wünschen übrig ließ, wenn auch natürlich Ausnahmen vorhanden waren (z. B. öffentliche Gebäude, namentlich Rathäuser, Kirchen usw., aber auch Patrizierhäuser). Die Häuser wiesen in ihrer Mehrzahl viel Holzwerk auf, das dem Feuer reichliche Nahrung bot und seine Verbreitung begünstigte.

Das Feuermeldewesen möchte ich übergehen, weil es schon in früherer Zeit auf einer gewissen Höhe stand, freilich noch nicht auf solcher wie heute.

Dem Feuerlöschwesen dagegen möchte ich einige Zeilen widmen. Heute unterscheiden wir Berufsfeuerwehren, bezahlte Feuerwehren und Pflichtfeuerwehren, welche die Löschhilfe ausüben. Neben diesen obrigkeitlich errichteten Organisationen gibt es die sogenannten freiwilligen Feuerwehren in kleineren Orten. Es ist also immerhin eine gewisse Mannigfaltigkeit in dem Feuerwehrwesen zu bemerken. Aber alle Feuerwehren haben das Gemeinsame, daß sie straff organisiert, vorzüglich durchgebildet und mit den neuesten Erfahrungen auf dem Gebiete des Feuerlöschwesens vertraut, vor allem aber von größtem Pflichtgefühl durchdrungen sind. Wie traurig sah es aber damit in früheren Zeiten aus.

(Fortsetzung folgt.)

Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 6 – Sonntag, den 5. Februar 1928, S. 2