Von R. Hagenloh, Prediger, Weimar.
Es sind nun schon fast 40 Jahre her, seitdem Großmutter uns aufhorchenden Kindern von ihrer alten Heimat Buchholz erzählte. Seit dieser Zeit hat mich das Leben schon viel in unserm lieben Vaterland herumgeworfen, aber erst jetzt hatte ich einmal Gelegenheit, nach Buchholz zu kommen, und da bin ich mit großem Interesse den Spuren meiner Großmutter nachgegangen. Zwar von dem alten Buchholz, wie ich es nach ihren Erzählungen im Sinn hatte, fand ich wenig, überall verhältnismäßig neue Häuser, viele Fabriken, gute und saubere Straßen. Aber da und dort steht doch noch ein altes Häuschen, bei dem ich dachte: so könnte es auch vor 100 und noch mehr Jahren gewesen sein.
Das „Schubertgütel“ ist leider vor Jahren abgebrannt, ich hätte zu gern mal den Teufel aus dem Schornstein herausfahren sehen, wie Großmutter es oft allen Ernstes gesehen haben will! Buchholzer Leute sagten mir aber, daß es auch jetzt noch da und dort „spuke“. Großmutter hat überhaupt viel erzgebirgischen Aberglauben in ihre neue Heimat Liegnitz mitgebracht. Sie konnte sehr böse werden, wenn wir nicht wie sie an die Wirklichkeit Rübezahls glaubten. Sie führte die Sitte ein, daß beim Weihnachtsessen 11 Gerichte auf dem Tisch sein mußten, und da das bei der großen Familie und den teuren Zeiten schwer war, wurden Salz, Brot, Butter usw. auch als Gerichte gerechnet. Das Brot mußte nach dem Weihnachts-Abendessen in dem Tischtuch eingeschlagen auf einer Ecke des Tisches bis zum Morgen liegen bleiben! Aber auch die Freude an den Weihnachtskrippen, die ja eine erzgebirgische Eigenart sind, hat sie uns mitgebracht. Wenn wir als Kinder Papier im Ofen verglimmen ließen, sodaß kleine, glimmende Fünkchen hin und her fuhren und dann erloschen, dann meinte Großmutter, so sähe es aus, wenn die Bergleute mit ihren Lampen ein- und ausführen. Ich hätte dies gern mal gesehen im Reize der Jugenderinnerungen, aber der Bergbau ist ja in Buchholz leider ganz erloschen. Vor der alten Auferstehungslinde in Annaberg stand ich bei meinem Besuch lange innend, von der ich auch viel gehört hatte.
Meine Großmutter entstammte der alten Posamentierfamilie der Blechschmidt, und wie sie zu einer Frau Posamentiermeisterin Hagenloh wurde, soll hier kurz erzählt werden: Im Jahre 1808 kam ein junger Posamentierer, Andreas Hagenloh, auf der Wanderung von seiner Heimat Pfullingen in Württemberg nach Buchholz. Die Geschichte seiner Familie ist mir bis ins 14. Jahrhundert bekannt. Er fand bald Arbeit bei dem Innungsmeister Christoph Körber. Vielleicht kannten sie sich, denn Körbers Vater war auch Württemberger. Durch das Handwerk wurde er mit der Posamentierfamilie Blechschmidt bekannt. Als er nach 3/4 Jahren nach Liegnitz weiterwanderte, bekam er ein Geleitschreiben von der Innung mit, das wir nachstehend zum Abdruck bringen:
Wir geschworne Ober- und andere Meister des Löbl. Handwerks der Posamentierer, in der Bergstadt St. Catharinenberg in Buchholz, bescheinigen, daß bey unserm Mit-Meister Johan Christoph Körber gegenwärtiger Geselle, Namens Hachloch, von Keitling gebürtig, so 26 Jahr alt, und von Statur in Mittel auch braunen Haaren ist, bey uns allhier 3/4 Jahr – Wochen in Arbeit gestanden, und sich solche Zeit über treu, fleißig, still, friedsam und ehrlich, wie einem jeglichen Handwerks-Burschen gebühret, verhalten hat; Welches wir also attestiren, und deshalben unsere sämmtlichen Mit-Meister, diesen Gesellen nach Handwerks-Gebrauch überall zu fördern, geziemend ersuchen wollen. St. Catharinenberg in Buchholz, den 28. September Anno 1808.
Stempel
dieser Zeit Ober- und Vormeister.
Christoph Friedrich Weigolt
Karl Christian Riediger
Johann Gottlob Friedrich Mann
Johann Gottlob Friedrich Kahle.
Diese alte Urkunde ist u. a. auch wegen des religiösen Einschlages sehr interessant. Als Ueberschrift ist zu lesen: „Die Posamentierer allezeit schütze Gottes Gütigkeit“, und: „Gott sei mit euch auf dem Wege und sein Engel begleite euch, Tob. 5, Vers. 23“. Auch der Name Jehovah in ebräischen Schriftzeichen fehlt nicht. In Liegnitz fand Andreas Hagenloch (der Name wandelte sich von da an in Hagenloh) bald lohnende Beschäftigung, er muß überhaupt ein fleißiger und tüchtiger Handwerker in seinem Fach gewesen sein. Schon 1809 wurde er Innungsmeister (sein Meisterstück, eine Borte, ist noch im Besitz der Familie), 1810 leistete er den Bürgereid, verheiratete sich im selben Jahr und kaufte 1815 ein kleines Bürgerhaus, das auch eine lange Geschichte hinter sich hat, indem seine Grundmauern aus dem 13. Jahrhundert stammen. Später kam ein Sohn und eine Tochter jener Familie Blechschmidt, die er in Buchholz kennen gelernt hatte, zu ihm in das Geschäft nach Liegnitz. Wie das nun im Leben einmal so geht: Der Sohn des Posamentiermeisters Blechschmidt heiratete die Hagenloh-Tochter und der Sohn des Posamentiermeisters Hagenloh die Blechschmidt-Tochter – und so wurde Concordia Blechschmidt aus Buchholz meine Großmutter.
Das Posamentierhandwerk stand damals in Liegnitz in voller Blüte. Aber als in der Mitte des vorigen Jahrhunderts die Tuchfabriken aufkamen, wurden die Posamentierer brotlos. Zuletzt bestand die ganze Innung nur noch aus 3 Meistern, meinem Großvater Hagenloh, seinem Schwager Blechschmidt und einem Meister Essenberger. Sang- und klanglos ging die einst so große Innung ein, deren Innungsbücher bis 1658 zurückreichen. Umso erfreulicher ist es, daß die Posamentierkunst in Buchholz sich so gut entwickelt und neue Arbeitszweige hervorgebracht hat.
Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 21 – Sonntag, den 23. Mai 1926, S. 2