Von Studienrat Rudolf Schmidt, Leipzig.
So ganz voller Sonne, so ganz voller Kraft
Auf freier, fröhlicher Wanderschaft.
R. Braun.
„War seine Hamit liebt, liebt a sei Volk,“ so singt Anton Günther, der erzgebirgische Volkssänger. Und in der Tat, die Liebe zur Heimat und zum Vaterland ist es, die uns allsonntäglich hinaustreibt in die Berge zu herzerfrischendem, fröhlichen Wandern. Sonntagsstimmung kommt über uns, wenn wir in Zöblitz den Zug verlassen, der uns aus der Großstadt in die Ferne entführt hat. Golden und klar ist der Morgen. die Höhen schimmern im Sonnenlicht, und in Wanderlust ziehen wir südwärts die Straße hinan, die von dem Bahnhof Zöblitz aus durch das wilde Tal der schwarzen Pockau zum hochgelegenen Grenzdorfe Reitzenhain emporführt. „18 Kilometer Entfernung“ zeigt die Wegetafel an der Brücke an. Die Pockau selbst wird zum zuverlässigen Führer, denn sie begleitet uns bis hoch in das Gebirge hinauf. In ruhiger Hebung erklimmen wir seinen Rücken, und da, wo einst das Saumroß mühsam seinen Weg durch Gestrüpp und Hohlweg bahnte und Rosse und Reisige auf holprigem Pfade nach Böhmens Ebene zogen, schreitet der Wanderer auf wohlgeebnetem Wege dahin und freut sich der herrlichen Landschaftsbilder, die sich gerade hier in dem schönsten Teile des Tales von Minute zu Minute häufen. Immer enger treten die Talwände zusammen. Kulissenartig schieben sich die bewaldeten Hänge gegeneinander und drängen sich hart an Straße und Fluß heran. Wir lassen die letzten Häuser des Tales, den Ortsteil Hintergrund, bald hinter uns und treten nun in ein enges Felsental ein, das an Schönheit und Wildheit dem Bodetal im Harz wenig nachsteht. Eine lange Wald- und Felsengasse tut sich vor unseren Blicken auf, und aus der dunkelfarbigen Flut des Flüßchens steigt eine Riesenmauer, mit Sträuchern und Moosen übersponnen, vor uns auf. Es ist der Glanzpunkt des Tales, der „Katzenstein“ mit seiner gewaltigen Brustwehr, der „Ringmauer“. Im strahlenden Lichte der Morgensonne, die hinter dem Walde bisher verborgen war, stammen die rotschimmernden Gneiswände auf und erinnern uns an die farbige Glut der Dolomiten. Von der Plattform des Katzensteins aus, den wir auf steilem Fußwege bald erklommen haben, lassen wir den Blick schweifen über die grünen Hänge des Kriegwaldes und hinab in die schauerliche Tiefe der wilden Felsenschlucht. Waldige Bergwände senken sich zu beiden Seiten des Tales hernieder. Wie flache, grüne Inseln ruhen die breiten Blätterschirme der Pestwurz auf dem Wasser, und buntfarbige Farnwedel neigen sich nickend über die klare Fläche. Folge mir, Wanderer, zurück zum „Grünen Graben“. An diesem alten Kunstgraben, der sein Wasser weiter oben der schwarzen Pockau entnimmt und ehedem bestimmt war, den zahlreichen Bergwerken des Marienberger Bezirkes seine Kräfte zu leihen, führt der Fußpfad dahin. In angenehmer Wanderung immer den Blick in die Tiefe gerichtet, wo in grotesken Formen die Felsenmassen des Nonnenfelsens und der Teufelsmauer jäh aufragen und die Talsohle einengen, wandern wir an dem schnell fließenden Gebirgsgraben dahin, der teilweise unter Brettern und Planken sein Inneres vor unseren Blicken scheu verhüllt. Doch wir vernehmen sein leises Murmeln und Rauschen, und plaudernd eilen seine Wellen an uns vorüber. Hoch an der Berglehne zieht sich unser Weg hin, und doch nähert er sich mehr und mehr der Straße, die unten im Tale dem schmalen Ufersaume gefolgt ist. Sie steigt merklich an, während unser Pfad fast eben vorwärts geht. Nach kaum einstündiger Wanderung sind wir mit ihr in gleicher Ebene. Da, wo sich das Tal zu einem flachen, grünen Kessel weitet, verlassen wir unsern treuen Begleiter und eilen links über die Bergwiese zur Talstraße hinüber, an die Stelle, wo die „Steinerne Brücke“ den braungetönten Sohn des Moores überspannt. Immer flacher werden nun die waldigen Hänge, immer sanfter die Berglehnen, und schon grüßen aus der Ferne bei einer Waldbiegung die ersten Häuschen des Moor- und Walddorfes Kühnhaide. In weitem Rahmen umschließen schweigende Fichtenwälder und ausgedehnte Moore den ansehnlichen Ort. Weithin liegen die schindelgedeckten Wohngebäude zerstreut. Am Bergeshange gegenüber, durch die Pockau von der sächsischen Seite getrennt, glänzen im Sonnenlichte die verwetterten, schmucklosen Holzhäuschen von Böhmisch-Kienheide in grauen Farbentönen, und Ebereschen begleiten die Bergstraße, die zu dem bescheidenen Gebirgsdörfchen hinanführt. – Durch den Ortsteil Wildhäuser hängt Künhaide mit Reitzenhain fast zusammen, und in wenigen Minuten haben wir den freundlichen Luftkurort auf dem Kamme des Erzgebirges erreicht. Noch einmal nimmt und der Hochwald auf, doch nur kurze Zeit, denn schon öffnet er sich wieder, und ein neues, liebliches Bild nimmt uns gefangen. Ein sanftgeneigtes Wiesental, umsäumt von einem Kranze dunkelgrüner Wälder, breitet sich vor uns aus, und auf weitem, grünen Plane ruhen die schmucken Häuser des einladenden Ortes. Wie zwei liebende Schwestern haben sich die sächsische und die böhmische Hälfte zu einer Ortschaft vereinigt, und friedlich reichen sich die beiden Ortsteile über den Grenzbach die Hände. Nur die hohen Grenzpfähle am Wege verraten, daß hier zwei Länder sich trennen: Sachsen und die Tschechoslowakei. Das Gasthaus „Zum Malzhaus“ überragt durch seine stattliche Größe die malerischen Häusergruppen ringsum. Ueberall, wohin das Auge blickt, begegnet ihm wohltuendes Grün, und weithin dehnen sich die herrlichen Fichten- und Buchenwälder. Doch kommt und seht selbst, wie die Natur die Kammhöhen des Erzgebirges geschmückt hat. Glückauf!
Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 29 – Sonntag, den 18. Juli 1926, S. 2